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Tribunenjagd
01-14-2024, 10:14 AM,
Beitrag #11
RE: Tribunenjagd
Ich erschrak bis ins Mark, als plötzlich der Römer neben mir auftauchte. Er hatte den Pfeil abgebrochen, doch die Spitze und ein Teil des Schaftes steckte immer noch in seinem Arm. Dadurch vermied er es, dass Blut austrat. Sein Gesicht war von Zorn verzerrt, eine Reaktion, die ich durchaus nachvollziehen konnte. Immerhin hatte ich ihm ja den Pfeil verpasst. Es schien ihm auch nicht zu gefallen, dass ich sein hübsches Pferd beruhigt und es gestreichelt hatte. Bevor ich auch nur einen Gedanken fassen konnte, rammte er mir bereits sein kräftiges Knie in den Unterleib und schlug mit seiner linken Faust gegen meine Stirn. Ein stechender Schmerz durchzuckte mich, aber dann wurde alles schwarz. Ich sank auf die Knie und kippte zur Seite. Was danach passierte, entging meiner Wahrnehmung. Vielleicht war das auch besser so, denn so musste ich nicht mitansehen, was dieser verrückte Kerl mit seinem armen Pferd anstellte.
 
Das erste, was ich wieder wahrnahm, war ein kräftiger Tritt in meine Seite. Langsam kehrte das Bewusstsein zurück und ich spürte die Schmerzen in meinem Bauch und dort, wo mich sein Fuß getroffen hatte. Auch mein Kopf schmerzte fürchterlich, als ob tausend Hämmer darauf einschlugen. Zu allem Übel bemerkte ich, dass meine Hände und Füße mit groben Seilen gefesselt waren. Ich konnte mich kaum bewegen. Ich fragte mich, wie er das mit nur einer Hand geschafft haben konnte. Da dieser Kerl mich nicht geknebelt hatte, fing ich lauthals an zu schreien und zu schimpfen. Wahrscheinlich war mein Gesicht schon ganz rot vor Wut. Ich wand mich wie ein Fisch auf dem Trockenen, um mich von den Fesseln befreien zu können, doch das half alles nichts. Ich war gefangen. Dieser Kerl würde mich bestimmt wieder nach Iscalis bringen,. Dort würde ich mich dann Furus Saturus' unliebsamen Fragen zu Erwans Ableben stellen müssen. Wenn er die Wahrheit heraus bekam, war ich erledigt! Und das alles nur, weil Ceridwen ihre Klappe nicht halten konnte.
[Bild: 3_15_08_22_9_39_13.png]
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01-16-2024, 01:08 PM,
Beitrag #12
RE: Tribunenjagd
Mein Arm begann, nachdem mein erster Zorn sich gelegt hatte, jetzt doch zu schmerzen. Immer noch hing er herab wie ein toter Aal. Mir war kalt, und das Wetter wurde trüber und trüber. Bald würde der Himmel seine Schleusen öffnen und es würde regnen. Ich hatte mich zu weit von den anderen entfernt, und auch wenn ich die Himmelsrichtung zuverlässig bestimmen konnte, würde mir bis ich wieder die Zivilisation erreichte, ein veritabler Marsch bevor stehen. 
Ich hatte große Lust, mit meiner gesunden Hand der Barbarin, die schuld an meiner Misere war, aufs Maul zu hauen. Zumal sie jetzt erwacht war und begann wie ein Rohrspatz zu zetern. Wenn man die tötete, musste man ihr Mundwerk vermutlich noch extra totschlagen. Sie würde als Sklavin zweifellos unterhaltsam sein. In der Castra hatte ich ganz andere Möglichkeiten, sie mir zu unterwerfen als hier. 
Ich wollte gerade ausführen, was ich gedacht hatte und ballte schon meine Faust, da hörte ich von weitem Hundegebell und Rufen. Ich vergaß für einen Moment lang meine würdige Haltung, die einen römischen Offizier auszeichnen sollte. Ich packte die Keltin an der Kehle, stellte sie auf ihre Füße und stieß sie vorwärts.
Gleichzeitig rief ich aus Leibeskräften: "Hierher! Hier bin ich!" Und tatsächlich traf ich sie auf halber Strecke, meine Mittribunen Maecius Catus, Asinius Rupa, Helvius Claudus und Iunius Varius samt ihres Gefolges, der Treiber und ihrer Hunde.
" Ovidius! Hast du den Bären? Ich alleine habe zwei Hirsche erlegt, kapitale Burschen! Du bist ganz schön weit vom Weg abgekommen! Wir haben stunden nach dir gesucht!", rief Varius schon von weitem, der Angeber. Außer Hirschen gab es Wildschweine, Rehe und noch weitere Beute. Die Sklaven und Lastesel schleppten sich ab.
Dann erst fiel ihr Blick auf die Barbarin, die gefesselt und reichlich zerschunden nun aufrecht neben mir stand. 
Varius und Claudus  brachen in Gelächter aus:
"Bist wohl eher ein Schürzen- anstatt ein Bärenjäger gewesen?", sagte Claudus: " Bestimmt gibt es hier im Umkreis von Meilen nur ein einziges Weib und du hast es erlegt, alter Stockfisch" 
Ich mochte dieses verbrüdernde Getue nicht leiden und zuckte zusammen, als der Kamerad mich einen "Stockfisch" nannte. Als er mir dann noch freundschaftlich auf die rechte Schulter schlug, wurde mir schwummrig vor Augen, ich schwankte vor jähem Schmerz.
"Was ist, Ovidius? Oh, du bist ja verletzt!", ihre Stimmen klangen verzerrt zu mir:
"War die das? Die Barbarin?", ich nickte: "Scheiße! Medicus!" Der Sanitätsoffizier, der die Gruppe begleitete, schaute sich das ganze an. Kein Gift, kein Widerhaken. Ein glatter Durchschuss, der nichts Wichtiges verletzt hatte. Ich würde den Arm behalten und auch wieder gebrauchen können.
" Brauchst du Opiumsaft, wenn ich dir den Pfeil rausziehe?"
Ich kräuselte verächtlich die Lippe: "Tu, was zu tun ist, Medicus" Das wurde getan. Kurze Zeit später war der Pfeil draußen, mein Arm verbunden. Die Gruppe beschloss, sich einen Rastplatz zu suchen und sich zu stärken, bevor es nach Hause ging. Die Frau nahmen wir mit. 

In den Tribunen Rupa und Claudus erwachte Gier, ihre Lust an der Barbarin zu stillen. Sie fragten mich als deren neuer Herr, ob sie sie während der Rast haben dürften. "Selbstverständlich", erwiderte ich. Geizig oder ungefällig war ich nicht. Das ich selbst keine Lust haben würde, schien ihnen angesichts meiner Verwundung nicht eigenartig.

Wir schlugen uns dort durch, wo der Weg gut begehbar war. Wir kamen zwar weit nach Süden, aber zu gegebener Zeit würden wir einen Bogen zurückschlagen können. Mir deuchte es auch, dass es vor uns heller und heller wurde, bis wir auf eine Lichtung traten.

Aber was wir sahen....Oh Ihr Götter! Ich schrie nicht, doch einige der anderen schrien auf! Einige übergaben sich sogar auf unmännlichste Weise.

Ein Leichnam hing nämlich hoch in den Bäumen. Er war auf eine Weise zerfleddert worden, dass sich sein Fleisch mit den Zweigen und Ästen der Bäume verband. Ich konnte nicht erkennen, wo der Mensch anfing, und das Holz aufhörte. Man musste ihn in Streifen geschnitten und sorgfältig verflochten haben. Wer immer das getan hatte, er hatte stundenlang daran gearbeitet. Es war meisterlich. Niemals zuvor hatte ich ein solches Meisterwerk der Todeskunst  gesehen. 
"Ob Römer oder Kelte, wir müssen ihn herunterholen und begraben!", schlug Cattus vor. 
Er hatte ganz Recht damit, wenn man dachte, wie sie alle dachten. Tote mussten beerdigt werden, um ihre Totengeister zu besänftigen. Ich fürchtete die Totengeister aber nicht. Mir tat es Leid um das schöne Kunstwerk.
Und die anderen taten es in großer Hast. Sie entflochten den Kadaver, holten ihn mühesam herunter, errichteten einen Scheiterhaufen und verbrannten ihn. Dabei fiel ihnen auf, dass die wenigen Stofffetzen, die noch an dem Gerippe hingen, von kostbarer Machart waren. Entweder war der Tote ein reicher Römer oder Britannier gewesen. Nach dem Verbrennen begruben sie die Asche in einer der metallenen Schatullen, die der Medicus für seine Medikamente mitgeführt hatte:

"Unbekannter, wir haben dich ins Grab gelegt. Finde du nun den Weg in die Unterwelt und zürne bitte den Lebenden nicht länger. Vale bene, möge dir die Erde leicht werden!", hielt Catus, der von uns der Älteste war, eine Grabrede. Während er sprach, schaute er sich mehrere Male ängstlich um. Wer immer das getan hatte, war vielleicht in der Nähe, auch wenn der Tote eindeutig nicht erst seit gestern im Baum hing. 

Wir hatten nun aber wenig Lust, an diesem Ort zu rasten. Wir kehrten um. Wir sprachen wenig. Jeder hing seinen Gedanken nach. Der Schreck war allen außer mir in die Glieder gefahren. Rupa und Claudus hatten ganz vergessen, sich an der Barbarin gütlich zu tun. 

Ich ritt auf Invictus. Sie lief mit im Pulk der Sklaven. Es war mir gleich, dass der Weg lange war für eine Frau. Peitschen würden sie schon aufmuntern, falls es ihr einfiel, schlapp zu machen. Würde sie dabei draufgehen, war es mir auch gleich. Schloss ich die Augen, sah ich vor mir den Toten in den Bäumen. Ein angenehmer Schauder durchbebte mich wie ein köstliches Fieber.
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01-19-2024, 12:38 AM,
Beitrag #13
RE: Tribunenjagd
Ich hatte wirklich gute Arbeit geleistet, als ich dem Kerl in den Arm geschossen hatte. Er hing schlaff herab, unfähig, weiteren Schaden anzurichten. Bedauerlicherweise verfügte er jedoch noch über einen intakten Arm. Während ich noch schrie, ballte er erneut seine Faust. Plötzlich verstummte ich, denn ich hatte wenig Interesse daran, erneut einen Schlag einzustecken. Der Römer zögerte auch, zuzuschlagen, als in der Ferne erneut das Hundegebell erklang. Offensichtlich gehörten diese Hunde zu ihm! Anstatt zuzuschlagen, packte er mich an der Kehle, hob mich hoch und stellte mich auf die Füße, nachdem er die Fußfesseln durchschnitten hatte. Er stieß mich an, um mich zum Laufen zu bewegen, und trieb mich dann vor sich her, während er etwas schrie – vermutlich um Aufmerksamkeit zu erregen. Das gelang ihm auch, denn schon bald trafen wir auf weitere Römer, die von einem Gefolge und natürlich den Hunden begleitet wurden. Sogar einige Einheimische waren darunter! Dass die sich nicht schämten!
 Als die Römer mich sahen, brachen sie in Gelächter aus, wahrscheinlich, weil sie Wild erlegt hatten, während der blonde Narr, dem ich begegnet war, nur mich als Beute vorweisen konnte.
Die Freunde des Blonden halfen ihm mit dem Pfeil, einer von ihnen verarztete ihn. Sie zogen den Pfeil heraus und legten ihm einen Verband an, bevor es weiterging.
Eine geraume Zeit musste ich laufen, was mit gefesselten Händen nicht immer einfach war, besonders wenn der Weg durch unwegsames Gelände führte. Gelegentlich stürzte ich, fand jedoch stets jemanden, der mir wieder aufhalf. Schließlich erreichten wir eine Lichtung, wo die Reiter abrupt stoppten. Plötzlich herrschte Unruhe, auch unter den Kelten. Es dauerte nicht lange, bis auch mir klar wurde, warum: Eine halbverweste Leiche eines Mannes hing in einem Baum, mit den Ästen und Zweigen verwoben. Die Römer erkannten nicht, dass sie sich auf heiligem Boden befanden, während ihre keltischen Begleiter genau wussten, dass dies ein Opfer für die Götter war. Wahrscheinlich hing er bereits seit Samhain hier. Ehrfürchtig blickte ich zu ihm hinauf. Die Römer holten den Toten vom Baum herunter und verbrannten ihn, seine Asche wurde begraben. Verflucht seien sie!

Zumindest gewährte mir dies eine längere Verschnaufpause von einigen Stunden, bis der Marsch weiterging, der mich zurück nach Iscals führen sollte – zumindest glaubte ich das. Auf dem Weg dorthin kreisten meine Gedanken immer wieder um Louarn. Diesmal würde er mich nicht retten. Niemand würde mich retten. Falls er jemals zur Quelle käme und herausfände, dass ich niemals angekommen war, würde er vielleicht darüber stutzen, falls es ihn überhaupt interessierte. Wahrscheinlich würde er glauben, ich sei an einen anderen Ort gegangen. Das Band zwischen uns war nun endgültig durchtrennt.
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