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Tablinum
02-19-2023, 02:56 PM,
Beitrag #2
RE: Tablinuium
Wie schon die Tage zuvor, saß ich am alten Schreibtisch meines Vater, der nun mir gehörte. In all den Jahren seiner Dienstzeit hatte viele Notizen und Aufzeichnungn hinterlassen. All diese Unterlagen hatten sich lose in einer hölzernen Kiste befunden, die jahrelang achtlos in einer Ecke gestanden hatte. Seitdem ich nun wieder zu Hause war, hatte ich mich daran gemacht, alles chronologisch zu ordnen. Manchmal gestalltete sich dies als sehr schwierig, da schlichtweg das Datum fehlte, wann er diesen oder jenen Bericht verfasst hatte. Im Grunde war jedes einzelne Papier wie ein Mosaiksteinchen, das zusammengesetzt ein Bild ergab. Das Bild meines Vaters, als Soldat und als Mensch.
Als sich plötzlich die Tür aufschob und meine Mutter im Türrahmen stand, um nach mir zu sehen, hob ich meinen Blick an. Ich wusste, wenn sie so da stand, dann wollte sie mir etwas sagen. Einen Moment lang lag mein Blick auf ihr. "Setz dich doch, Mutter!" bot ich ihr an und wies einen Sklaven an, uns etwas zu trinken zu bringen. 

[Bild: Naevia-Calida-klein.jpg] | Naevia Calida

Meine Mutter trat näher und nahm Platz und schaute auf die vielen Schriftrollen und Papyri, die auf dem Schreibtisch verteilt lagen. "Du arbeitest sehr viel! Dein Vater wäre stolz auf dich, wenn er wüsste, mit wie viel Akribie du seinen Nachlass ordnest." 
Ich lächelte und fühlte mich irgendwie geschmeichelt. Aber ich wusste auch, dass dies nicht der Grund war, weswegen sie gekommen war. Der Sklave war in der Zwischenzeit herbei geeilt und goß mir etwas Posca in einen Becher. Auch wenn ich kein Soldat mehr war, hatte ich deswegen nicht aufgehört, tagtäglich dieses Essigwasser zu trinken. Meine Mutter indessen zog lieber etwas verdünnten Birnensaft vor. Posca hatte sie noch nie gemocht.
"Ich denke, damit werde ich noch einige Zeit zu tun haben," entgegnete ich ihr und nahm einen Schluck. Eigentlich war ich sehr froh, endlich eine Aufgabe gefunden zu haben, die mich vom vielen Nachkrübeln ablenkte. Das einzige, was mich an meine Misere erainnerte, war mein Bein, Gerade jetzt im Winter schmerzte es oft. An manchen Tagen schaffte ich es deshalb nicht einmal, aufzustehen. Auch nun, da ich hier saß, hatte ich es auf einem kleinen Hocker gelagert.
"Ja, aber du kannst dich nicht für immer hinter diesem Schreibtisch verstecken. Du solltest auch einmal raus und unter Leute gehen!"  Aha, da war er also, der Grund für ihr Kommen! In letzter Zeit lag sie mir oft damit in den Ohren. Ich sollte mal wieder in die Stadt gehen und dies und jenes tun. Mich mit Leuten treffen. Vielleicht sogar auch noch von der Legio? Ausgerechnet von der Legio!
Bisher hatte ich immer eine gute Ausrede parat gehabt. Entweder hatte es geschneit und die Straßen waren glatt, oder mein Bein hatte sich wieder entzündet, was in diesem Fall nicht das Schlimmste war oder ich gab einfach vor, viel zu viel zu tun zu haben. Kurz um, ich wollte niemanden sehen! Keine anderen Leute und schon gar keiner von der Legio! Aber meine Mutter ließ nicht locker!
"Heute ist das Wetter ganz gut! Midas und Artas könnten dich begleiten. Lass dich mal wieder auf dem Forum sehen!" Midas und Aratas waren beide von meiner Mutter dazu verdonnert worden, sich von meinem ersten Tag an um mich zu kümmern. Sie waren sozusagen meine lebenden Stützen, meine Leibwächter und meine Mädchen für alles.  Aber ich verstand genau, was sie damit meinte, ich solle mich mal wieder auf dem Forum zeigen. Seht her, ich bin noch am Leben. Bedauerlicherweise bin ich aber auch ein Krüppel! Nein, darauf hatte ich leine Lust. Ich wollte nicht auch noch bemittleidet werden. Es war auch schon so schlimm genug!
"Ach Mutter! Was soll ich denn auf dem Forum! Sollen mich etwa alle begaffen?" Ich hatte heute wirklich keinen Nerv, diese Diskussion immer wieder zu führen. Hier im Tablinium fühlte ich mich wohl. Hier hatte ich eine Aufgabe und hier musste ich mir keine dummen Fragen über meinen Gesundheitszustand anhören. Ich brauchte kein Publikum, dass mich bemitleidete.

"Oh, ich wüsste da eine Menge! Du könntest zur Zivilverwaltung gehen und dort abklären, ob dir ein Stück Land zusteht. Dann könntest du dir überlegen, ob du in naher Zukunft vielleicht eine Arbeit annehmen möchtest. Und außerdem wäre es nun an der Zeit, dich um eine Braut zu kümmern. Meinst du vielleicht, ich will ewig auf Enkelkinder warten?" 
Meine Mutter konnte sehr direkt sein, wenn sie wollte und gerade war so einer dieser Momente, in denen sie kein Blatt vor den Mund nahm.

"Welches Land sollte mir denn zustehen? Ich habe meine Dienstzeit nicht voll abgeleistet.Und außerdem, wozu brauche ich Land?`Aus mir wird kein Bauer mehr werden! Nicht mit diesem Bein! Und nach einer Arbeit suchen? Wer wird denn einer wie mich nehmen wollen? Ein Krüppel?! Und mit der zukünftigen Braut sieht es genauso aus? We will seine Tochter einem Mann wie mir geben? Ich kann einer Frau nichts bieten!" Das waren verbitterte Worte. Aber ich hatte schon lange damit aufgehört, mir Illusionen zu machen. Eigentlich wäre es besser gewesen, wenn ich damals gestorben wäre. Natürlich sagte ich das nicht meiner Mutter, denn sonst regte sie sich wieder auf und weinte dann auch noch. Aber meine Antwort hatte meine Mutter bereits schon auf die Palme gebracht. Ich konnte es ihr ansehen, wie sich ihr gesicht zu röten begann und sie mir diesen Blick zuwarf, der unter Umständen auch töten konnte.
"Was redest du denn da? Natürlich steht dir etwa zu! Und hör endlich auf, dich in deinem Selbstmitleid zu räkeln! Das ist ja widerwärtig! Steh endlich auf und tu etwas! Du tust gerade so, als wärst du schon längst tot! Wenn das dein Vater wüsste! Der würde dir Beine machen!"

Sie war richtig laut geworden und funkelte mich nun wütend an. So erlebte ich meine Mutter höchst selten. Dann erhob sie sich und ließ mich, ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren, allein. Ich seufzte und schob die Papiere beiseite. Danach stand mir jetzt nicht mehr der Sinn, denn wenn ich ehrlich war, wusste ich, dass meine Mutter recht hatte.
[Bild: 3_15_08_22_9_36_30.png]

Honoratior von Iscalis
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