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Aillte an Ual
02-11-2023, 02:39 PM,
Beitrag #1
Aillte an Ual
Die Grenze zum Totenreich war hier dünn, sagte man. Früher, in alten Zeiten, hatte man diesen Ort gemieden und nur selten Opfer dargebracht, wenn diese Grenze in besonderen Nächten – wie Samhain – durchbrochen zu werden drohte. Die Aillte an Ual waren kein Ort für die Sterblichen.
Heute freilich glaubte niemand mehr daran. Die Klippen wurden immer noch nicht oft besucht. Das lag aber vor allem daran, dass es einen Umweg bedeutet hätte für jeden, der von Cheddar nach Iscalis reiste. Und auch heute war niemand hier. Nun, fast niemand.
Calum kannte den Weg hier herauf inzwischen ziemlich gut. Selbst im strömenden Regen rutschte er auf den schmalen Felspfaden nicht mehr aus. Cathbad hätte ihm davon abgeraten, diesen düsteren Ort aufzusuchen. Doch dann wiederum hatte Cathbad im Allgemeinen nicht sehr oft recht behalten. Und als der Junge oben angekommen war, war der Ort schon gar nicht mehr düster. Es war ein herrlicher Anblick über die Wälder unter den Klippen und das ferne Cheddar, auch wenn die Welt in dem strömenden Regen beinahe zu verschwinden schien. Heute war der Schleier dünn.

Calum kam gerade von dem Treffen in Cheddar und seine Gedanken kreisten um das Gesagte in der kleinen Hütte. Es fühlte sich alles so furchtbar weit weg an. Er wusste nicht mehr, ob er sich überhaupt noch Falke nennen konnte. Aber vielleicht lag es ja daran. Er wusste schon lange, dass Cathbad ihn nicht mehr für wertvoll hielt. Wieso sonst hätte er Raven dazu geholt? Von den Plänen für Mine war er nicht einmal informiert gewesen.
Raven… Der Gedanke an sie machte ihn so wütend. Wie lange hatte er in der Gosse von Iscalis verbracht? Sich an Verbrecher und anderen Abschaum herangemacht, um sein Netzwerk auszuweiten? All die Arbeit, die Jahre der Vorbereitung… Alles, damit Raven sich ins gemachte Nest setzen konnte. Doch was ihn wirklich fertig gemacht hatte, war diese verdammte Prophezeiung und das Verschweigen dieser. Nur um jenen Bruder zu schützen, von dem er wusste, dass er ihn immer für seine Schwäche verachtet hatte. Und dieser schimpfte den Druiden, der sie verfasst hatte, noch einen Lügner und zog das Opfer Caradocs in den Schmutz.
Er konnte nicht mehr. Es war alles zu viel. Nicht einmal auf seiner Arbeit bei Cynric konnte er sich konzentrieren und war immerzu gefangen zwischen der Angst und der Traurigkeit. Er wollte einfach nur ein normales Leben. Vielleicht geliebt werden… Stattdessen besaß er einen einzigen Lebenssinn. Und diesen hatte man ihm weggenommen. Jetzt kam es auf nichts mehr an.

Calum trat an die Kante. Der eiskalte Regen hatte seine Kleidung durchnässt und lief in Strömen an ihm herunter. Es fröstelte ihn. Er blickte hinunter auf das Dorf, wo die anderen noch sitzen und streiten würden. Jetzt wo er weg war, kamen sie mit ihren Plänen vielleicht voran. Bei dem Gedanken an seine Brüder schluchzte er. Er vermisste sie. War erfüllt von einem Verlangen, das er nicht befriedigen konnte. Es war unerträglich.
Doch heute würde er sich davon befreien.
Nur noch ein Schritt und das Elend war vorbei. Calum machte sich keine Illusionen. Seine Landsleute hassten ihn. Und die Römer, wüssten sie, was er war, würden ihn auch hassen. Und seine Familie? Sie hasste ihn ebenso, genau wie seine Mutter. Warum also sollten die Götter anders sein?
Aber vielleicht würden sie ja Gnade haben? Ihn an einen Ort bringen, an dem er die Ewigkeit in Stille und Einsamkeit verbringen konnte? Oder ihm ein neues Leben gewähren, in dem er alles besser machen konnte? Nicht als Sohn eines Monsters und einer Priesterin, sondern einer unbedeutenden Familie, weit weg? Er musste nur noch diesen Schritt machen. Nur ein paar Zentimeter…

Der Fall kam nicht. Calums Fuß wollte sich einfach nicht rühren. Und als er es merkte, stöhnte er frustriert und wütend. Er konnte es nicht! Wieso konnte er es nur nicht? Der Falke ging auf die Knie und weinte jetzt ungehemmt, weit weg von allen, welche diese Schwäche hätten bezeugen können. Schlug mit der Faust auf den nassen Stein und spürte die heißen Tränen neben dem kalten Regen auf seinen Wangen.
Einige Minuten hörte er sein Wimmern inmitten des Rauschens des Regens. Als er schließlich kraftlos innehielt, wusste er, dass er es heute nicht tun würde. Er würde zurückkehren zu Cynric und würde ihm erklären müssen, wo er schon wieder gewesen war. Und dann würde er damit fortfahren, seinen Meister zu enttäuschen, wie er alle enttäuschte.
Aber vielleicht, dachte er hoffnungsvoll als er sich erhob, um nach Iscalis zurückzukehren, vielleicht schaffte er es beim nächsten Mal…
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Falke
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