RE: Cubiculum | Das Reich des Narcissus
Dass Narcissus nicht einmal versuchte, meinen Kuss zu erwidern, sagte mir eigentlich schon alles, was ich wissen musste. Er war traurig, das spürte ich, aber er würde mich nicht zurückzuhalten versuchen. Er hatte es akzeptiert und schloss damit ab. Und irgendwie fühlte sich das so viel schwerer an, als ich es mir vorgestellt hatte. Vielleicht, weil ich ihn immer sicher bei mir gehabt hatte, seit wir eigentlich noch Kinder waren. Wie alt war ich gewesen, als ich ihn angeschleppt hatte? Zwölf, vielleicht? Oder eher jünger. Ich war mir nicht sicher, ob das gewesen war, bevor oder nachdem meine Mutter mich das erste Mal verkauft hatte. In jedem Fall war es lange her.
Ich atmete also auch noch einmal tief durch. Ich machte Narcissus jetzt nicht darauf aufmerksam, dass ich vermutlich sehr viel weniger frei sein würde als er, denn ich hatte vor, jetzt für sehr lange eine Rolle zu spielen. Frei würde ich sein, sollte mein Plan funktionieren und ich einen alten, wohlhabenden Mann finden, der dann bald hoffentlich versterben würde. Dann würde mein Name und der meiner Tochter reingewaschen sein von meiner Vergangenheit und mein Geld würde mir Freiheit ermöglichen. Ohne Männer, die mich als ihr Spielzeug behandelten, die eifersüchtig waren und mich nur besitzen wollten, die nur ein Bild von mir haben wollten, aber niemals wirklich mich. Die mich nur liebten, solange ich ihnen schmeichelte und gefiel, aber nicht, wenn ich eine eigene Meinung hatte.
“So bald wie möglich. Ich wollte noch ein paar Dinge besorgen und dann auch zügig abreisen. Du weißt, ich hasse lange Abschiede, und dann sitzt man nur herum und fühlt sich seltsam, will abschließen und kann es nicht… Ich mag so ein Damokles-Schwert nicht über diesem Haus. Ein paar Tage also“, sagte ich. Im Grunde brauchte ich nur noch jemanden, der mich nach Londinium fuhr, was jetzt im Frühjahr mit den Händlern einfacher werden würde. Den Rest hatte ich schon erledigt.
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