10-31-2023, 05:44 PM,
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Louarn
Schlechter Druide, guter Krieger
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RE: Niamhs Hütte
Ich war fast jeden Tag gekommen, um beim Bau von Niamhs Hütte zu helfen. Solange der Sommer noch schön war, ging die Arbeit gut und leicht voran, und wir wollten unbedingt fertig sein, ehe der Herbst mit seinem Regen und kalten Winden Einzug hielt. Aber nach und nach entstanden die Wände, der gestampfte Boden, die Feuerstelle, die tragenden Pfeiler, die Dachkonstruktion. Bein Eindecken des Daches kam ich ganz schön ins Schwitzen und wir hatten regelmäßig erstaunlich viele Frauen am Boden zu Gast, die uns aufmunternd zuriefen und Tipps gaben, wo wir besser decken mussten.
Und irgendwann war die Hütte fertig. Sie war sicher nicht perfekt, aber sie war stabil, der Abzug funktionierte und sie schien dicht zu sein, so dass Niamh einziehen konnte. Und, naja, so ein bisschen ich auch.
Also ich zog nicht wirklich ein, aber mein Weg führte Abends so häufig hierher und nicht in Alans Stall, dass der alte Mann mir irgendwann nahegelegt hatte, doch meinen Krempel endlich mitzunehmen und auszuziehen. Ich hatte protestiert, immerhin brauchte er meine Hilfe, aber er hatte nur gelacht, mir die Wange getätschelt und mir viel Glück gewünscht, und, naja, irgendwie war es das dann. Und ab da führte mich mein abendlicher Weg eigentlich immer nach Cheddar.
Mein Pferd hatte jetzt hier auch einen eigenen Unterstand und Stroh, einen Eimer und einen Futterbeutel, und ich wollte noch darüber verhandeln, dass es eine vernünftige Tränke bekam, die nicht so leicht umkippte wie der Eimer. Irgendwie hing mein langes Schwert jetzt hier im Reet versteckt zwischen den Dachsparren, und meine Stiefel hatten eigenen Platz auf einer Matte. Und ich verstand es immer noch nicht so wirklich, wie das passieren konnte.
Heute war Samhain, und weil ich es für zu gefährlich hielt, zur Quelle zu gehen nach allem, was letztes Jahr passiert war, hatte ich den Tag mit Niamh verbracht. Abends lag sie in meinen Armen und ich kuschelte mich eng an ihren nackten Körper. Ich wusste, sie wollte eigentlich noch mehr, wartete darauf, dass ich bereit wäre, mit ihr Kinder zu zeugen, und das schlechte gewissen nagte deshalb auch an mir. Aber heute, wenn die Tore der Welten offen standen, würde das ganz sicher nicht passieren. Am Ende bekam sie einen Wechselbalg.
Ich zog sie im Halbschlaf wieder ganz dicht an mich, nachdem das Licht gelöst war, und schlief ein mit dem Duft ihres Haares in meiner Nase und ihrem Rücken fest an meine Brust gepresst.
An diesem Ort hier war ich schon einmal gewesen. Aber er sah anders aus. Damals war es nach gewesen, als ich auf dieser endlos wirkenden, glatten Wasserfläche gestanden hatte, und es hatte so ausgesehen, als wäre der Himmel über und unter mir. Aber jetzt war es Tag, und der dünne Wasserfilm spiegelte in einem hellen weiß. Auch der Himmel über mir war nicht wirklich blau, sondern von einem sehr hellen grau, ohne Sonne. Es waren Wolken zu sehen, die sich endlos auftürmten, aber sie spiegelten sich nicht im Wasser. Der Ort war mir unheimlich und hatte ncihts von der Freiheit in der Nacht an sich.
Ich zog leicht den Kopf ein und huschte auf flinken Pfoten vorsichtig voran, suchte nach einem Ausgang. Mir schien, als würden sich die Wolken unterhalten, aber die Worte drangen nur als dröhnende Fetzen an mich heran.
“Weiß nicht…. Beim letzten Mal….“ “Was wissen wir über sie? … Hah, das ist…. Nichts…. Nicht gewiss….“ “Muss den Pfad….. darf nicht…. Nicht wieder….“ “Aber der Aufwand! Wir können nicht noch einmal….“
Mein Fell sträubte sich. Ich hatte keine Ahnung, worum es ging, war mir nur sehr sicher, dass ich das alles gar nicht hören sollte. Ich beschleunigte meine Schritte – als ich unvermittelt in Nebel lief und gerade noch rechtzeitig bremste, als der Wanderer von damals vor mir auftauchte.
“Ich grüße dich, Louarn“, sagte er, wie damals auch schon.
Als Antwort knurrte ich ihn an. In meiner Traumwelt hatte er ncihts zu suchen, ich wollte ihn hier nicht haben und nicht mit ihm reden. Aber statt beeindruckt zu sein, lachte er und schnippste mit seinen Fingern. Im nächsten Moment fühlte ich die Wandlung in meinem Körper und stand schließlich auf zwei sehr menschlichen Beinen. Gut, dann eben so. “Lass mich in Ruhe. Ich will mit dir nicht reden.“
Er legte den Kopf leicht schief, was mich an irgendwas erinnerte, und murmelte vor sich hin. “Das ist interessant“, murmelte er, ließ mich aber nicht in Ruhe, als ich weiter ging. Nein, der Kerl kam mit. Auch dann, als ich ihn mit einem “Verschwinde!“ anschnauzte.
“Das geht nicht, Louarn“, meinte er viel zu ruhig für meinen Geschmack. “Es gibt Dinge, die du wissen musst.“
Ich verdrehte die Augen. “Von irgendwelchen Ebern und Drachen? Danke, ich habe vom letzten Mal noch genug.“
Der Mann schüttelte den Kopf. “So ein Kind“ meinte er und kam schnell zu mir, stellte sich mir in den Weg.
“Verzieh dich, oder ich sorg’ dafür, dass du gehst“ drohte ich ein letztes Mal, weil ich wirklich keine Lust darauf hatte, hier zu sein auf dieser unheimlich weißen Ebene.
“Nein“, sagte der Wanderer streng, und während ich noch Luft für eine gepfefferte Erwiderung holte, stieß er mir seinen verdammten Stab so hart gegen die Brust, dass ich das Gefühl hatte, aus mir selbst zu fallen.
Und auf einmal war die Ebene nicht mehr leer. Es war, als wär sie bevölkert von Schatten. Undeutliche Umrisse bewegten sich überall, und ich brauchte einen Moment, um darin Menschen zu erkennen. Dann Häuser, Tiere, den gestampften Boden eines Gemeindeplatzes. Alles wirkte etwas verwaschen und undeutlich, die Menschen zogen beim gehen Schatten ihrer Selbst hinter sich her. Ich sah mich um und drehte mich, rief einmal nach dem Kerl, aber weder sah ich ihn, noch nahm irgendwer Notiz von mir. Nein, im Gegenteil, eine der Frauen lief direkt durch mich hindurch, als wäre ich aus bloßer Luft!
“Ich kenn das hier“, bemerkte ich, auch wenn ich mich nicht erinnerte, wo das hier war. Aber es kam mir vertraut vor.
Und dann sah ich MICH. Nicht wirklich mich, aber ein kleines Kind mit feuerrotem Haar, das im Dreck buddelte. Ich wusste, dass das ich war, aber…. Das hieß….
“Komm schon her, kleiner Dreckspatz“, sagte eine Stimme, und ich drehte mich um, zu dem Schatten, der zu dem Kind kam. Ihre Umrisse waren völlig unscharf und undeutlich, als sie sich bückte und das Kind hochhob. Aber ich wusste, wer das war, und mein Herz blieb beinahe stehen. “Warte!“ rief ich, als sie sich umwandte und wegging, aber sie hörte mich nicht. Ich lief ihr nach und berührte ihre Schulter, aber meine Hand griff durch sie hindurch und sie verwehte wie ein Nebelfetzen.
Die Szene änderte sich, während ich noch erschreckt dastand und fast verzweifelte. Wieder das Kind am Boden, vor einer Hütte, der von Niamh nicht unähnlich. Von drinnen drangen Stimmen. Die Stimme meiner Mutter. Ich konnte mich gar nicht bewegen, weil ich ihre Stimme hörte. So hatte sie sich angehört. Es war sie. Und ich zitterte, weil ich mich daran erinnerte. Sie stritt mit jemand anderem. Seine Stimme war wie dumpfer Donner, undeutlich, grob, unverständlich. Aber meine Mutter stritt sich heftig mit ihm und schließlich riss jemand die Tür auf und eine Wolke reinster Schwärze floss heraus und verschwand in der Ferne. Meine Mutter kam heraus, straffte einmal ihre Gestalt und ging dann zu meinem Kind-Ich. Ich konnte ihre Züge nicht erkennen, es war zu verschwommen, aber sie hatte rotes Haar, wie ich, und helle Haut. Und sie lächelte, als sie mich sah und hochnahm und mich küsste. Sie küsste mich! Mir flossen Tränen, die ich nicht zurückhalten konnte, über die Wangen, und ich wollte sie so sehr berühren, aber ich traute mich nicht, aus Angst, sie würde wieder zerfließen wie Nebel.
“He, mein kleiner Fuchs“, sagte sie sanft, und es zerriss mein Herz, das zu hören. “Wir machen eine Reise. Was hältst du davon? Ja?… JAAA! Ein großes Abenteuer. Du wirst viele neue Leute kennen lernen, und sehr viel lernen, mein kleiner Fuchs. Kämpfen, und reiten, und alles, was du willst.“
Ihre Stimme verblasste immer mehr und ich hörte nicht, was mein Kind-Ich antwortete, aber sie entschwanden, ganz langsam. Ich schritt vor und versuchte wider besseren Wissens, sie festzuhalten. “Nein, geh nicht! Bitte! BITTE!“
Ich wachte auf mit heiserer Stimme und nassen Wangen. War es nur ein Traum gewesen, oder eine Erinnerung? War sie hier? Ich hatte sie gerufen, meine Stimme fühlte sich rau an. Hatte ich mich selbst mit meinem Ruf geweckt? Ich wusste es nicht. Ich wusste gerade gar nichts mehr.
Falke
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