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Normale Version: Niamhs Hütte
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Schon am Tag nach Lughnassadh hatte Eoghan mit den Vorbereitungen des Hausbaus begonnen. Dort, wo schon bald Niamhs Hütte stehen sollte, steckte er eine runde Fläche ab. Dort, wo er schon bald hohe runde Tragbalken in die Erde rammen wollte, ragten ebenfalls einige hölzerne Markierungen aus der Erde heraus.

In den Tagen darauf schaffte er die benötigten Materialen herbei.  Schwere Stämme aus Tannenholz, Flechtwerk und Lehm. Mit vereinten Kräften wurde dann mit dem Bau begonnen. Zwischen die stützenden Holzbalken wurde ein Flechtwerk gelegt, das dann mit Lehm verputzt wurde. Nachdem der Lehm getrocknet war, konnte endlich mit dem Decken des Daches begonnen werden. Dafür wurde Stroh gebraucht.

Wie in allen Rundhäusern war auch hier der zentrale Punkt die offene Herdstelle. Darin befand sich ein Feuerbock aus Eisen, auf dem das Feuerholz gelegt wurde. An einem Dreibein, der ebenfalls aus Eisen geschmiedet war, befand sich ein Kessel, der zum Kochen benutzt wurde. Um die Herdstelle herum wurden später dann Sitzmöglichkeiten aus Strohballen gestellt, die mit Tierfellen bedeckt wurden. In einer Truhe wurde Geschirr und Kochutensilien aufbewahrt.

Niamhs Hütte war noch mit einem Bett ausgestattet, das aus einem großen Heuballen bestand und der ebenfalls mit Tierfellen bedeckt wurde. Ihre Kleidung bewahrte sie in einer weiteren Truhe auf.  In einem Waidenkorb unweit des Bettes, befanden sich einige Handspindeln aus Knochen und Ton und ungesopnnene Wolle. Vielleicht würde Louarn ihr später noch einen Webstuhl bauen, damit sie nicht nur ihre Wolle spinnen konnte, sondern auch ihre Stoffe für ihre Kleidung selbst weben konnte.

Nachdem das Haus fertig war, begann Niamh noch ein Gärtchen anzulegen, um Kräuter dort anzupflanzen. Im kommenden Jahr würde sie dann auch Gemüse anbauen. Nun hatte sie endlich ein eigenes Heim! Sie sah mit einem zufriedenen Blick auf all das, was Louarn und sie geschaffen hatte. Nun hatte sie endlich eine neue Heimat gefunden!
Ich war fast jeden Tag gekommen, um beim Bau von Niamhs Hütte zu helfen. Solange der Sommer noch schön war, ging die Arbeit gut und leicht voran, und wir wollten unbedingt fertig sein, ehe der Herbst mit seinem Regen und kalten Winden Einzug hielt. Aber nach und nach entstanden die Wände, der gestampfte Boden, die Feuerstelle, die tragenden Pfeiler, die Dachkonstruktion. Bein Eindecken des Daches kam ich ganz schön ins Schwitzen und wir hatten regelmäßig erstaunlich viele Frauen am Boden zu Gast, die uns aufmunternd zuriefen und Tipps gaben, wo wir besser decken mussten.

Und irgendwann war die Hütte fertig. Sie war sicher nicht perfekt, aber sie war stabil, der Abzug funktionierte und sie schien dicht zu sein, so dass Niamh einziehen konnte. Und, naja, so ein bisschen ich auch.

Also ich zog nicht wirklich ein, aber mein Weg führte Abends so häufig hierher und nicht in Alans Stall, dass der alte Mann mir irgendwann nahegelegt hatte, doch meinen Krempel endlich mitzunehmen und auszuziehen. Ich hatte protestiert, immerhin brauchte er meine Hilfe, aber er hatte nur gelacht, mir die Wange getätschelt und mir viel Glück gewünscht, und, naja, irgendwie war es das dann. Und ab da führte mich mein abendlicher Weg eigentlich immer nach Cheddar.
Mein Pferd hatte jetzt hier auch einen eigenen Unterstand und Stroh, einen Eimer und einen Futterbeutel, und ich wollte noch darüber verhandeln, dass es eine vernünftige Tränke bekam, die nicht so leicht umkippte wie der Eimer. Irgendwie hing mein langes Schwert jetzt hier im Reet versteckt zwischen den Dachsparren, und meine Stiefel hatten eigenen Platz auf einer Matte. Und ich verstand es immer noch nicht so wirklich, wie das passieren konnte.


Heute war Samhain, und weil ich es für zu gefährlich hielt, zur Quelle zu gehen nach allem, was letztes Jahr passiert war, hatte ich den Tag mit Niamh verbracht. Abends lag sie in meinen Armen und ich kuschelte mich eng an ihren nackten Körper. Ich wusste, sie wollte eigentlich noch mehr, wartete darauf, dass ich bereit wäre, mit ihr Kinder zu zeugen, und das schlechte gewissen nagte deshalb auch an mir. Aber heute, wenn die Tore der Welten offen standen, würde das ganz sicher nicht passieren. Am Ende bekam sie einen Wechselbalg.

Ich zog sie im Halbschlaf wieder ganz dicht an mich, nachdem das Licht gelöst war, und schlief ein mit dem Duft ihres Haares in meiner Nase und ihrem Rücken fest an meine Brust gepresst.


An diesem Ort hier war ich schon einmal gewesen. Aber er sah anders aus. Damals war es nach gewesen, als ich auf dieser endlos wirkenden, glatten Wasserfläche gestanden hatte, und es hatte so ausgesehen, als wäre der Himmel über und unter mir. Aber jetzt war es Tag, und der dünne Wasserfilm spiegelte in einem hellen weiß. Auch der Himmel über mir war nicht wirklich blau, sondern von einem sehr hellen grau, ohne Sonne. Es waren Wolken zu sehen, die sich endlos auftürmten, aber sie spiegelten sich nicht im Wasser. Der Ort war mir unheimlich und hatte ncihts von der Freiheit in der Nacht an sich.
Ich zog leicht den Kopf ein und huschte auf flinken Pfoten vorsichtig voran, suchte nach einem Ausgang. Mir schien, als würden sich die Wolken unterhalten, aber die Worte drangen nur als dröhnende Fetzen an mich heran.
“Weiß nicht…. Beim letzten Mal….“ “Was wissen wir über sie? … Hah, das ist…. Nichts…. Nicht gewiss….“ Muss den Pfad….. darf nicht…. Nicht wieder….“ “Aber der Aufwand! Wir können nicht noch einmal….“

Mein Fell sträubte sich. Ich hatte keine Ahnung, worum es ging, war mir nur sehr sicher, dass ich das alles gar nicht hören sollte. Ich beschleunigte meine Schritte – als ich unvermittelt in Nebel lief und gerade noch rechtzeitig bremste, als der Wanderer von damals vor mir auftauchte.
“Ich grüße dich, Louarn“, sagte er, wie damals auch schon.
Als Antwort knurrte ich ihn an. In meiner Traumwelt hatte er ncihts zu suchen, ich wollte ihn hier nicht haben und nicht mit ihm reden. Aber statt beeindruckt zu sein, lachte er und schnippste mit seinen Fingern. Im nächsten Moment fühlte ich die Wandlung in meinem Körper und stand schließlich auf zwei sehr menschlichen Beinen. Gut, dann eben so. “Lass mich in Ruhe. Ich will mit dir nicht reden.“
Er legte den Kopf leicht schief, was mich an irgendwas erinnerte, und murmelte vor sich hin. “Das ist interessant“, murmelte er, ließ mich aber nicht in Ruhe, als ich weiter ging. Nein, der Kerl kam mit. Auch dann, als ich ihn mit einem “Verschwinde!“ anschnauzte.
“Das geht nicht, Louarn“, meinte er viel zu ruhig für meinen Geschmack. “Es gibt Dinge, die du wissen musst.“
Ich verdrehte die Augen. “Von irgendwelchen Ebern und Drachen? Danke, ich habe vom letzten Mal noch genug.“
Der Mann schüttelte den Kopf. “So ein Kind“ meinte er und kam schnell zu mir, stellte sich mir in den Weg.
“Verzieh dich, oder ich sorg’ dafür, dass du gehst“ drohte ich ein letztes Mal, weil ich wirklich keine Lust darauf hatte, hier zu sein auf dieser unheimlich weißen Ebene.
“Nein“, sagte der Wanderer streng, und während ich noch Luft für eine gepfefferte Erwiderung holte, stieß er mir seinen verdammten Stab so hart gegen die Brust, dass ich das Gefühl hatte, aus mir selbst zu fallen.

Und auf einmal war die Ebene nicht mehr leer. Es war, als wär sie bevölkert von Schatten. Undeutliche Umrisse bewegten sich überall, und ich brauchte einen Moment, um darin Menschen zu erkennen. Dann Häuser, Tiere, den gestampften Boden eines Gemeindeplatzes. Alles wirkte etwas verwaschen und undeutlich, die Menschen zogen beim gehen Schatten ihrer Selbst hinter sich her. Ich sah mich um und drehte mich, rief einmal nach dem Kerl, aber weder sah ich ihn, noch nahm irgendwer Notiz von mir. Nein, im Gegenteil, eine der Frauen lief direkt durch mich hindurch, als wäre ich aus bloßer Luft!

“Ich kenn das hier“, bemerkte ich, auch wenn ich mich nicht erinnerte, wo das hier war. Aber es kam mir vertraut vor.
Und dann sah ich MICH. Nicht wirklich mich, aber ein kleines Kind mit feuerrotem Haar, das im Dreck buddelte. Ich wusste, dass das ich war, aber…. Das hieß….
“Komm schon her, kleiner Dreckspatz“, sagte eine Stimme, und ich drehte mich um, zu dem Schatten, der zu dem Kind kam. Ihre Umrisse waren völlig unscharf und undeutlich, als sie sich bückte und das Kind hochhob. Aber ich wusste, wer das war, und mein Herz blieb beinahe stehen. “Warte!“ rief ich, als sie sich umwandte und wegging, aber sie hörte mich nicht. Ich lief ihr nach und berührte ihre Schulter, aber meine Hand griff durch sie hindurch und sie verwehte wie ein Nebelfetzen.

Die Szene änderte sich, während ich noch erschreckt dastand und fast verzweifelte. Wieder das Kind am Boden, vor einer Hütte, der von Niamh nicht unähnlich. Von drinnen drangen Stimmen. Die Stimme meiner Mutter. Ich konnte mich gar nicht bewegen, weil ich ihre Stimme hörte. So hatte sie sich angehört. Es war sie. Und ich zitterte, weil ich mich daran erinnerte. Sie stritt mit jemand anderem. Seine Stimme war wie dumpfer Donner, undeutlich, grob, unverständlich. Aber meine Mutter stritt sich heftig mit ihm und schließlich riss jemand die Tür auf und eine Wolke reinster Schwärze floss heraus und verschwand in der Ferne. Meine Mutter kam heraus, straffte einmal ihre Gestalt und ging dann zu meinem Kind-Ich. Ich konnte ihre Züge nicht erkennen, es war zu verschwommen, aber sie hatte rotes Haar, wie ich, und helle Haut. Und sie lächelte, als sie mich sah und hochnahm und mich küsste. Sie küsste mich! Mir flossen Tränen, die ich nicht zurückhalten konnte, über die Wangen, und ich wollte sie so sehr berühren, aber ich traute mich nicht, aus Angst, sie würde wieder zerfließen wie Nebel.
“He, mein kleiner Fuchs“, sagte sie sanft, und es zerriss mein Herz, das zu hören. “Wir machen eine Reise. Was hältst du davon? Ja?… JAAA! Ein großes Abenteuer. Du wirst viele neue Leute kennen lernen, und sehr viel lernen, mein kleiner Fuchs. Kämpfen, und reiten, und alles, was du willst.“
Ihre Stimme verblasste immer mehr und ich hörte nicht, was mein Kind-Ich antwortete, aber sie entschwanden, ganz langsam. Ich schritt vor und versuchte wider besseren Wissens, sie festzuhalten. “Nein, geh nicht! Bitte! BITTE!


Ich wachte auf mit heiserer Stimme und nassen Wangen. War es nur ein Traum gewesen, oder eine Erinnerung? War sie hier? Ich hatte sie gerufen, meine Stimme fühlte sich rau an. Hatte ich mich selbst mit meinem Ruf geweckt? Ich wusste es nicht. Ich wusste gerade gar nichts mehr.
Louarn hatte Wort gehalten! Nachdem die Hütte fertig geworden war und  Niamh einziehen konnte, war er fast jeden Abend bei ihr. Diese Zeit mit ihm genoss sie in vollen Zügen. Es fühlte sich an, als seien sie endlich ein richtiges Paar. Ein verheiratetes Paar! Ein Paar, das sich liebte und gemeinsam  die Nächte verbrachte.  Mit der Zeit war er dann jeden Abend bei ihr. Seinen Schlafplatz in Iscalis hatte er aufgegeben und war schließlich ganz mit seinem Pferd nach Cheddar gezogen. Nun fehlte eigentlich nur noch ein Kind, dachte sich Niamh. Doch sie wollte ihn nicht drängen, sondern warten, bis er dafür bereit war. Dass er das eines Tages sein würde, war sie sich gewiss.

Auf diese Weise verging Tag für Tag und auf den Sommer folgte der Herbst. Aus Niamh war eine richtige Hausfrau geworden, die hier im Dorf ihren Platz gefunden hatte. Wenn man sie sah, ging stets ein Strahlen von ihr aus, denn sie war sich sicher, hier nun endlich in Cheddar ihr Glück gefunden zu haben.
Wenn abends Louarn zu ihr kam, freute sie sich wie am ersten Tag auf ihn. Manchmal kam es dann auch vor, dass er auch den Tag mit ihr verbrachte. Dann schien ihr Glück vollkommen zu sein. Jede Minute des Tages, die sie mit ihm verbringen konnte, hatte sie genossen und als dann in der Nacht beisammen lagen und sich liebten.

So war es dann auch an Samhain gewesen. Louarn war bei ihr im Dorf geblieben. Viele Leute aus Cheddar hatten es ihm gleich getan. Sie hatten nicht vergessen, was letztes Jahr an der Quelle passiert war und auch die Erinnerung an Beltane saß vielen noch immer in den Knochen! So hatten die Bewohner des Dorfes ein eigenes Samhainfeuer entzündet, an dem sich jede Familie ihr Herdfeuer mitnehmen konnte. Das Feuer würde die Dunkelheit des Winters verbannen und sie vor eisigen Winterkälte schützen. Außerdem würde das Feuer die bösen Geister der Unterwelt fernhalten.

Niamh fühlte sich in der Gegenwart ihres Geliebten vollkommen sicher. Ganz dicht lag sie in der Nacht bei ihm, so dass sich ihre Körper gegenseitig wärmen konnten. Doch in dieser Nacht schien Louarns Schlaf unruhiger als sonst zu sein. Irgendwann war sie wach geworden, als er etwas zu murmeln begann. Sie streichelte ihn sanft und küsste ihn, was ihn fürs Erste zu beruhigen schien. Aber dann rief er plötzlich laut, sie solle bei ihm bleiben. Niamh, die bereits wieder eingenickt war, erschrak und nahm ihn dann in ihre Arme. "Aber ich bin doch bei dir! Und ich werde nie wieder fort gehen! Das verspreche ich!"
Mein Herz klopfte noch wie verrückt, während ich realisierte, wo ich war. Es brauchte einen Moment, bis ich Niamh erkannte, die sich an mich schmiegte und umarmte und mir beteuerte, dass sie immer bei mir bleiben würde. Ich blinzelte in die Dunkelheit, die nur von der Glut des runtergebrannten Feuers etwas aufgehellt wurde, und stand kurz auf, um ein Stück Holz nachzulegen, und um ein wenig zu mir zu kommen. Nachdem das Stück Scheitholz auf der Glut lag, ging ich zurück ins Bett, legte mich neben Niamh und zog sie ganz fest in meine Arme. Noch immer war die Stimme so deutlich in meinem Ohr. Ich glaubte nicht, dass das ein Trugbild war.

“Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe“, sagte ich, und meine stimme fühlte sich noch immer rau an. Ich verstand den Sinn dieses Traumes nicht. Ich wusste nur, dass er Dinge in mir aufgewühlt hatte, die sich lange schlafen gelegt hatten. Ich zog Niamh noch ein wenig dichter. Ihr warmer Körper fühlte sich so real an, so sicher. “Ich hab den Wanderer wieder gesehen. Er wollte mir etwas sagen, aber ich wollte nicht zuhören. Und dann hat er… ich glaube, es war eine Erinnerung. Es war da, und doch wieder nicht. Wie ein Schatten. Wie Nebel. Ich war da, als kleines Kind. Und meine Mutter war da.“ Bei diesen letzten Worten verstärkte sich mein Griff um Niamh und ich hielt mich an ihr fest. Ja, Männer sollten stark sein, die Frauen beschützen und nie heulen, aber gerade brauchte ich ihren Halt wohl sehr viel mehr als sie den meinen.
“Ich konnte sie nicht wirklich sehen, aber ihre Stimme… Sie hat mit mir geredet. Also mit mir als Kind. Und… sie hat mich geliebt, Niamh. Meine Mutter hat mich geliebt.“ Verdammt, ich zitterte und heulte wohl doch. Zumindest fühlten sich meine Augen nass an. “Trotz allem, was ihr passiert ist. Sie hat mich wirklich geliebt.“ Ich konnte das noch immer nicht wirklich fassen. Wie hatte ich das vergessen können? Wieso war ich mir dessen nicht sicher gewesen so lange? Ich wusste es nicht, aber jetzt gerade war es mir auch recht egal.
Ich drehte mich auf Niamh und hielt sie ganz fest in meinen Armen und küsste sie, sanft und doch begehrend. Ich brauchte jetzt etwas, um mich zu fühlen, um mich geliebt zu fühlen, und ja, vielleicht war das jetzt grade nicht die beste Idee, vor allem heute Nacht nicht. Trotzdem bat ich sie: “Halt mich ganz fest“ und fing nach und nach an, mich erst auf ihr, und als sie erregt genug war auch in ihr zu bewegen. Und dieses Mal zog ich mich dabei nicht zurück.
Niamh hielt ihn ganz fest in ihren Armen, als er langsam aus seinen Träumen zu ihr zurückfand. Aber dann entglitt er ihr, als er sich erhob, um einen weiteren Holzscheit ins Feuer zu legen. Sie sah ihm nach und empfing ihn wieder, als er sich wieder neben sie hinlegte und sie zu sich zog. Sie küsste ihn und streichelte sanft über sein Haar. Sie hörte seine raue Stimme und die entschuldigenden Worte. "Du hast mich nicht erschreckt," gab sie sanft zurück. Niamh wusste inzwischen, dass seine Träume sehr intensiv sein konnten und  ihn manchmal an fremde und weitentfernte Orte schickten, zu denen kein anderer Mensch Zugang hatte. Sie wusste, dass er in seinen Träumen Dinge sehen konnte, die bereits geschehen waren, aber auch Dinge, die noch nicht eingetreten waren. Damals, als Erwan sie in seinem Keller gefangen gehalten hatte, hatte Louarn sie in ihrem dunklen Gefängnis sehen können.
Er berichtete ihr, er habe wieder jenen seltsamen Wanderer, von dem er ihr schon einmal erzählt hatte. Diesmal hatte er ihm eine art Erinnerung gezeigt. Er hatte sich als kleines Kind gesehen und auch seine Mutter. Niamh wusste nur zu gut, wie sehr ihn das traurige Schicksal seiner Mutter belastete. Sie spürte, wie sein Griff mit einem Mal fester wurde. Gerade jetzt schien er sie am meisten zu brauchen. Aber sie war für ihn da! Sie wollte ihm Trost und Sicherheit spenden, denn genau das brauchte er gerade am meisten.

Während sie ihn fest umarmt hielt, erzählte er weiter, was er gesehen und gehört hatte. Zwar hatte er sie nur schemenhaft wahrnehmen können, doch ihre Stimme hatte zu ihm gesprochen. Sie hatte ihm das gesagt, was wohl jede Mutter zu ihrem Kind sagte. Dass sie es liebte. Seine Mutter hatte ihn geliebt, obwohl er ein Kind der Gewalt gewesen war. Für Louarn war das so überwältigend, dass er zu zittern begann. Auch einige Tränen lösten sich aus seinen Augen. Aber das war nicht verwerflich! Sollte er nur seinen Gefühlen freien Lauf lassen. Auf diese Weise konnte in ihm besser heilen, was ihn schon so lange schmerzte. "Ja, sie hat dich geliebt, mein Liebster!" sagte sie sanft zu ihm. Niamh fühlte sich plötzlich an das Gespräch mit der alten Ceridwen erinnert, das er an Lughnassadh mit ihr geführt hatte. Sie hatte seine Mutter gekannt und hatte ihm einiges über sie erzählt. Unter anderem auch, dass sie ihn sehr geliebt hatte.
Er drehte sich dann auf sie und begann sie leidenschaftlich  zu küssen und hielt sie fest in seinen Armen. Auch Niamh hielt ihn ganz fest und erwiderte seine Küsse. Schließlich vereinigten sie sich in ihrer Liebe und er blieb in ihr bis zum Schluss! Für sie war dies wie die Erfüllung eines lang gehegten Wunsches. Sie war so glücklich und wollte ihn am liebsten nie wieder loslassen. Wenn es der Wunsch der Götter war, würde nun ein Kind in ihr heranwachsen.
Ich konnte auch danach nicht mehr einschlafen. Ich hielt Niamh fest in meinen Armen, bis sie eingeschlafen war. Sie war glücklich über das, was passiert war. Ich konnte es ihr ansehen und ich wollte es ihr nicht kaputt machen, auch wenn bei mir schon sehr bald die Zweifel einsetzten, ob das eine gute Idee gewesen war.

Oder nein, es waren keine Zweifel. Ich war mir sicher, dass es die dümmste Idee in einer Reihe sehr dummen Ideen war und ich ein Idiot und ein Scheißkerl war, dass ich sie dafür benutzt hatte, mich besser zu fühlen. Wie konnte ich nur so dumm sein? Ich war ein echter Arsch. Und ich hatte keine Ahnung, ob und wie Niamh es verstehen würde, wenn dieses Ereignis erst einmal einmalig blieb. Ja, verdammt, kurze Zeit überlegte ich sogar, ob ich Ciaran oder Dunduvan oder sogar Calum fragen sollte, ob sie nicht ein Mittel wüssten, wie man eine Schwangerschaft jetzt noch verhindern könnte. Aber das konnte ich Niamh nicht auch noch antun. Ich war vielleicht ein Arsch, aber kein so dermaßen riesiger. Hoffte ich zumindest.

Ich lag noch lange wach und konnte nicht mehr einschlafen. Stattdessen lauschte ich auf die Geräusche der Nacht und des nahen Waldes und überlegte mir, was das alles zu bedeuten hatte, kam aber zu keinem Ergebnis. Als der Morgen nicht mehr fern war, schälte ich mich ganz vorsichtig aus Niamhs Umarmung und achtete dabei darauf, dass sie nicht aufwachte. Ich deckte sie vorsichtig wieder zu, damit sie nicht fror, und schnappte mir leise meine Hose und meine Stiefel, ebenso wie den Gürtel mit meinen Handäxten. So bewaffnet schlich ich leise nach draußen, um so vielleicht einen klaren Kopf zu bekommen.

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Geborgen in Louarns Armen war Niamh hatte sie sich sicher und behütet gefühlt. Von seiner Rastlosigkeit hatte sie nichts mitbekommen. Ebenso wenig von dem Zwiespalt, in dem er sich befand. Sie war im festen Glauben, dass er nun endlich auch diese eine Hürde überwunden hatte, sich gegen ein normales Zusammenleben mit ihr zu sträuben. So war sie mit einem Lächeln eingeschlafen und schlief auch noch am frühen Morgen so tief, dass sie nicht merkte, wie er sich davongestohlen hatte.

Erst als die ersten Sonnenstrahlen dieses Herbsttages in ihre Hütte drangen, kam sie langsam wieder zu sich. Schlaftrunken suchte ihre Hand nach ihrem Geliebten. Doch der Platz neben ihr war leer. Sie dachte sich nichts dabei, denn Louarn verließ sie häufig schon sehr früh am Morgen, wenn er nach Iscalis zur Arbeit musste.

Mit einem Lächeln auf ihren Lippen dachte sie darüber nach, was in der letzten Nacht passiert war. Der Traum, in dem Louarn seine Mutter gesehen hatte, musste von  den Göttern geschickt worden sein! Sie verließ ihr Lager, kleidete sich an und flocht ihr Haar. Ihre Hand fuhr ehrfurchtsvoll über ihren Bauch. "Oh Brigid, große Mutter! Bitte lass neues Leben in mir wachsen!" sprach sie du hoffte, die Göttin würde ihre Bitte erhören. Sie wünschte sich so sehr ein Kind von Louarn! Vielleicht, so dachte sie plötzlich, sollte sie zu Ceridwen hinüber gehen. Die Alte kannte sicher einen Zauber, um die Göttin milde zu stimmen, damit der Samen in ihr aufging. Sie nahm ihren wollenen Umhang und schlang ihn um sich. Dann verließ sie ihre Hütte.
Nach eine fürchterlich kalten Nacht und einem Vormittag voller Gedanken, ging ich schließlich doch nach Cheddar. Wahrscheinlich war ich ein ziemlicher Arsch, dass ich das tat, aber ich war müde, mir war kalt und ich fühlte mich einsam. Und ja, ich mochte Niamh ja auch. Ich wollte mit ihr zusammen sein und dass sie glücklich war. Ich mochte sie nur nicht genug, als dass ich deshalb Kinder wollte, trotz all den Dingen, die das bedeutete.
Aber weglaufen löste dieses Problem nicht, und das Nachdenken hatte auch nur Kopfschmerzen gebracht. So oder so, ich sollte mich wohl bei ihr entschuldigen, weil ich ohne ein Wort zu sagen verschwunden war. Wahrscheinlich hatte sie sich Sorgen gemacht. Und das war auch nicht meine Absicht. Es fühlte sich nur einfach falsch an, bei ihr zu sein und über Raven nachzudenken.

Ich hatte also beschlossen, mich wie ein Mann zu benehmen, Raven aus meinen Gedanken zu verbannen und mich auf das Leben zu konzentrieren, das ich gerade drauf und dran war, zu zerstören, und war nach Cheddar geritten. Vor Niamhs Hütte stieg ich ab und murmelte noch einmal die Erklärung vor mich hin, die ich mir zurechtgelegt hatte.
“Haia, Niamh. Ich weiß, es war nicht fair von mir, ohne ein Wort zu verschwinden. Ich hätte dir Bescheid geben sollen. Es gibt nur im Moment so viele Dinge, die mir im Kopf herumgehen und die ich für mich selbst sortieren musste. Ich weiß, ich hätte nicht einfach wegbleiben sollen, aber ich brauchte die Zeit alleine. Es tut mir...“
An dieser stelle kam ich an einer verschlossenen Tür an. Sie war nicht einfach zugezogen, sondern der Riegel war vorgelegt und das Schloss geschlossen. Gut, ich wusste, wie es funktionierte und hätte es jederzeit öffnen können. Aber wenn die Tür so geschlossen war, hieß das, dass Niamh nicht da war und auch nicht in der Nähe. Was zur Anderswelt war hier los?

Die alte Eleri von nebenan kam grade vorbei und sah mich da stehen wie ein Kalb bei Donner.
“Sie ist nicht da.“
Das sah ich auch. Ich drehte mich zu der alten Frau um. “Wo ist sie?“
“Ist in die Stadt gefahren mit der Gwrach. Wollten sich das Spektakel der Römer ansehen. Hat sich rausgeputzt wie eine Prinzessin dafür.“
Ich schaute wahrscheinlich noch verwirrter drein. “Das Schauspiel in der Stadt? Das Wagenrennen?“
“Das für den römischen Herrscher, der nach Iscalis gekommen ist. Hywel hat sie hingefahren und gegrinst, als würde er zwei Fürstinnen zu ihrer Hochzeit fahren.“
Das alles war sehr seltsam. War das die Retourkutsche, weil ich weggegangen war? War sie deshalb zu Ceridwen gegangen und wollte sich jetzt mit den Spielen ablenken? Ich hatte ein echt ungutes Gefühl bei der Sache.

“Danke, Eleri“, bedankte ich mich und stieg schon wieder auf meinen Braunen, um in Richtung Iscalis zurück zu reiten. Die Chancen standen zwar schlecht, aber vielleicht fand ich sie ja in dem Gewimmel.
Am Nachmittag des Tages vor dem, an dem wir die Mine überfallen wollten, betrat ich Niamhs Hütte. Hätte ich meine Waffen nicht gebraucht, ich hätte es wohl noch länger hinausgeschoben. Aber ich musste für morgen gerüstet sein, also musste ich das jetzt erledigen.

Die Hütte war erstaunlich kalt und sah nicht nur leer aus, sie fühlte sich auch leer an. Die Truhe – ein verdammt schweres Ding, das sie von einer Nachbarin erhalten hatte und bei dessen Transport ich ganz schön geschnauft hatte – stand offen, doch darin war nichts mehr. Keine Kleider, keine Stoffe, keine Gürtel. Die Feuerstelle war schon eine Weile heruntergebrannt und kalt. Kein neues Holz aufgeschichtet, weil man später zurückkehren wollte. Der Kessel darüber leer.
Einen sehr langen Moment stand ich einfach im Eingangsbereich und bewegte mich nicht. Es fühlte sich so falsch an. Das alles hier. Hier sollte Leben sein. Lachen. Hier hatte ich gedacht, dass es sowas wie eine Zukunft geben könnte, deren Teil ich sein durfte. Hier hatte ich geglaubt… dass mich jemand wirklich liebte.
Ich schüttelte den Kopf und drängte die Gefühle zurück. Die waren jetzt nicht hilfreich. Ich musste einen klaren Kopf behalten für das, was am nächsten Tag kommen würde.
Ich ging zu den mir vertrauten Orten, wo ich meine Waffen gelagert hatte und holte mein Schwert und einen Dolch, ebenso meine Äxte. Ich kam mir vor wie eine kleine Armee, als ich mich umdrehte und meinen zweiten Dolch auf dem Tisch bemerkte. Ich hatte ihn Niamh geschenkt. Zweimal, wenn man es genau nahm. Aber sie hatte ihn nicht mitgenommen. Ich ignorierte den Stich, den mir diese Erkenntnis versetzte und nahm die Waffe an mich. Damit war wohl endgültig der Beweis erbracht, dass sie nichts mehr von mir wollte und dass das hier endgültig vorbei war.

Ich machte mich auf den Weg nach draußen, hielt aber kurz vor der Türe noch einmal an. Niamh hatte mich losgelassen. Es tat weh, aber es war besser so. Ich sollte dasselbe tun. Langsam griff meine Hand zum Gürtel und fummelte das dort so lange festgehaltene Band frei. Das, welches ich in Erwans Laden gekauft hatte, um mit ihr sprechen zu können. Das, dass ich weggeworfen hatte und das der Wind zu mir zurückgetragen hatte. Das, von dem ich mir so oft vorgestellt, so oft gewünscht hatte, es um ihr und mein Handgelenk zu schlingen und ihr das zu erfüllen, was sie sich so lange schon von mir wünschte: Eine richtige Ehe.
Mein Daumen fuhr über das gewebte Muster, ein letztes Mal, dann griff ich nach oben und band das bunte band in das Reetwerk des Daches. Es war nicht besonders schwer, es dort einzuflechten. Zuletzt band ich eine Schleife und ließ meine Hand noch ein wenig darauf ruhen. “Leb wohl“, sagte ich leise, ehe ich mich losriss und nach draußen trat, um meine Sachen auf mein Pferd zu laden.

Dieses Kapitel war nun beendet.