RE: Im Morgengrauen
Es war der Morgen nach Vollmond. Geschlafen hatte ich auch heute Nacht nicht besonders viel. Deirdre war wirklich ein unersättliches, kleines Biest. Nicht, dass ich mich beschweren wollte. Ganz sicher nicht. Aber ich fragte mich wirklich, mit wem sie es außerhalb von Vollmond trieb, da ich mir nicht vorstellen konnte, dass eine derart hungrige Frau mit einer Nacht im Monat zufrieden war.
Inzwischen war auch ihr Bauch zu sehen, und ich meinte, eine Bewegung darin gefühlt zu haben, ein lindwurmartiges Schlingern unter meiner Handfläche, als ich sie auf die leichte Wölbung gelegt hatte. Ja, mein Drache hatte mich begrüßt, da war ich mir sehr sicher, und es gab mir ein Hochgefühl. Nicht dieses emotionale Blabla werdender Väter, die Stolz auf ihr ungeborenes Kind empfanden. Ich hatte keine wirklich väterliche Bindung zu diesem Kind. Aber ich hatte eine sehr enge Bindung zu seinem Schicksal, und diese erfüllte mich gerade mit ausgesprochen guter Laune.
Vielleicht war ich deshalb auch etwas spät dran. Meistens vertrieb Dierna mich schon vor Morgengrauen, warum auch immer. Ich glaube, sie genoss die Heimlichtuerei, weil das der Sache einen verruchten Anstrich gab. Weiber! Aber solange sie gut für meinen Drachen sorgte, sollte es ihr vergönnt sein.
Ich trat nach draußen in die aufgehende Sonne und streckte mich erst einmal genüsslich und laut gähnend. Nur vereinzelt waren die Leute wach. Alles Schlafmützen hier, wie es schien. Ich trat zu der Pferdetränke in der Nähe, um mich wie jedes Mal kurz zu waschen. Ausführlich tat ich das später am Bach, und wie immer war das auch nötig. Ich roch überdeutlich nach Sex und Schweiß und Ruß des Feuers. Mich selber störte das nicht, aber das Wild, das ich jagte, roch mich so schon lange, bevor ich es fand. Also musste ich mich in eisige Fluten stürzen und mich waschen. Aber nicht hier auf dem Dorfplatz und auch nicht in dem nahen Fluss. Der wäre zwar gegangen und ich war auch ein guter Schwimmer, aber er war dreckig von der Stadt etwas Flussaufwärts und stank nach Fäkal, zumindest für meine empfindliche Nase.
Als ich mich wieder aufrichtete, merkte ich, was fehlte: Mein Pferd. Ich hatte das Vieh hier angebunden, wie immer, aber es war nicht hier. Wer wäre dumm genug, es zu stehlen? Das konnte nur ein bald sehr toter Mensch sein. Oder aber, mein kleiner Hengst hatte sich losgerissen, weil irgendwo eine rossige Stute war. Da war er schlimmer als ich, was das anging. Keinerlei Selbstbeherrschung oder Impulskontrolle.
Ich betrachtete also die Spuren am Boden und folgte dem Pfad der Abdrücke, die am wahrscheinlichsten von meinem Gaul stammten. Ich folgte ihnen etwas außerhalb der Siedlung auf die nächste Wiese, wo eine alte Frau herumlief. Ich legte kurz den Kopf schief und schaute mir an, was die da trieb. Sie hatte keine Schuhe an und lief verträumt herum. Pilze oder Altersdemenz, entschied ich.
“Hast du mein Pferd gesehen?“, sprach ich sie an, ehe sie noch sämtliche Spuren platttrampelte. Ich bezweifelte zwar, dass sie den Hengst gesehen hatte – sonst wäre der ja hier und ich würde ihn auch sehen – aber man konnte nie wissen.
Falke
|