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Normale Version: Im Morgengrauen
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Die Kelten feierten ihr Fruchtbarkeitsfest Beltane. Das bedeutete, dass Cheddar in dieser Zeit nur von den Alten und Kranken bewohnt sein würde. Es war der perfekte Zeitpunkt, dort eine Razzia durchzuführen. Diesmal hatte ich eine Vexillation von achzig Mann dabei. Einige der Milites waren ortskundig. Doch das hätten sie nicht sein müssen. Was für ein Dreckskaff. Der Geruch hätte mich auch ohne Ortskundige geleitet. Die "Häuser" glichen eher umgestülpten Halbkugeln. Die Wege waren ungepflastert, und eine Weile wateten wir im Dreck.
Ich beugte mich zu Plinius "Plattmachen und ein paar schöne Insulae errichten", schlug ich ihm als Witz vor und dann lauter für alle: "Ausschwärmen. Ort sichern. Wollen wir doch mal sehen, wem wir einen Besuch abstatten"
Alles Wichtige hatte ich der Vexillation zuvor zugesichert: Kleinere Beute wie Wertsachen durften beschlagnahmt werden, denn wozu sollten Barbaren Wertsachen haben wenn nicht zu Unrecht? Die Weiber, wenn es denn sein musste. Es würde ihnen nichts schaden. Ich ging davon aus, dass sie ohnehin alle alt und hässlich sein würden. Ich musste meinen Männern jedoch auch ein wenig Vergnügen gönnen. Das Vieh und die Leute sollten sie am Leben lassen. Nur wer uns dumm käme, würde eins aufs Maul bekommen. 
Ab da waren wir leise. Meine Legionäre hatten ihre Schwertgehänge und Gürtel mit Binden umwickelt, um sich nicht durch Klirren zu verraten. Ohne bemerkt zu werden, zogen wir den Kreis um Cheddar.
Nicht einmal die Dorfköter gaben Laut, bis wir fast in ihren Vorgärten standen.
Ein paar Gebäude und ihre Einwohner hatte ich vor, genauer zu inspizieren. Es waren ein fast römisch anmutendes kleines Haus und eine Schmiede, deren Besitzer gewechselt hatte. Und sonst diejenigen, der uns verdächtig erscheinen würden.

Erst als wir in Position waren, ließ ich den Lituus - Trompeter zu mir kommen. Der Lituus war jenes Signalinstrument mit dem hellen, metallischen Ton, der auf die Nerven ging wie Zahnweh.
Wir warteten bis kurz vor Morgengrauen.  Dann würde der Lituus schrillen und die wenigen verbliebenen Bewohner Cheddars aus dem Schlaf reißen.
Plinius kannte seine Kameraden. Alle die sich freiwillig gemeldet hatten, vertraten die gleiche Meinung. Ihnen wäre lieber gewesen, die Kelten restlos zu vernichten. Die überlebenden sollte man gefangennehmen, versklaven und in der gesamten römischen Welt verteilen, somit hätte man sie entwurzelt und es wäre Ruhe. Oder den tapfersten der Legion welche als Leibsklaven zur Belohnung schenken. Trotzdem der Tribun hatte ihnen Zusagen gemacht, soweit er es in seiner Position vertreten konnte und damit waren sie zufrieden. Als Ovidius den Vorschlag machte von wegen alles platt machen, lachte er. „An mir soll es nicht liegen, ich gebe mein bestes.“
Nachdem sie schon einige Zeit in ihrer lauernden Wartestellung verharrt warteten, spürte er wie sich immer mehr innerlich anspannte. Endlich der Lituus wurde gerufen lange konnte es nicht mehr dauern.
Für Plinius stand fest, er würde sich weiter in der Nähe seines Tribun aufhalten. Vielleicht wenn er sich gut anstellte, gab es bald dann endlich doch eine Beförderung. Schon lange hatte er das Gefühl, dass man seinen Einsatz gegen die Kelten nicht zu schätzen wusste.
Ein ganz anderes Morgengrauen

In Cheddar war längst wieder Friede eingekehrt. Zumindest fühlte es sich so an der Oberfläche an. Wie es darunter allerdings aussah, war nur wenigen Menschen bekannt. Die Mehrheit empfand eine gewisse Sicherheit, seit sich Furius Saturninus zum Patron des Dorfes erhoben hatte. Er hatte sein eigenes Vermögen dafür genutzt, um die Schäden der letzten Militärrazzia zu beseitigen. Das hatte ein gewisses Vertrauen bei den Leuten wachsen lassen. Doch dieses zarte Pflänzchen war noch sehr fragil und bedurfte noch einiges an Pflege, damit aus ihm eines Tages ein fester starker Baum werden konnte. Nichtsdestotrotz war jeder Bewohner des Dorfes gut beraten, sich ein gesundes Misstrauen gegenüber allem, was römisch war, zu bewahren.

So verließ ich mit einer zufriedenen Miene kurz nach Sonnenaufgang meine Hütte und ließ das Dorf hinter mir, um die Frische des Morgens und die Ruhe des Waldes zu genießen. Ich hatte meine Schuhe ausgezogen und ließ nun mit nackten Füßen über die Wiese, auf der noch ganz unberührt der Morgentau lag. Es war ein herrliches Gefühl, welches mich ein wenig an meine Jugend erinnerte. Zu dieser Tageszeit konnte ich die Seele baumeln lassen, weil niemand da war, der mich störte oder etwas von mir wollte. Glückselig atmete ich tief ein und aus und erfreute mich meines Daseins. Dies war in der Tat die schönste Zeit des Tages!
Es war der Morgen nach Vollmond. Geschlafen hatte ich auch heute Nacht nicht besonders viel. Deirdre war wirklich ein unersättliches, kleines Biest. Nicht, dass ich mich beschweren wollte. Ganz sicher nicht. Aber ich fragte mich wirklich, mit wem sie es außerhalb von Vollmond trieb, da ich mir nicht vorstellen konnte, dass eine derart hungrige Frau mit einer Nacht im Monat zufrieden war.
Inzwischen war auch ihr Bauch zu sehen, und ich meinte, eine Bewegung darin gefühlt zu haben, ein lindwurmartiges Schlingern unter meiner Handfläche, als ich sie auf die leichte Wölbung gelegt hatte. Ja, mein Drache hatte mich begrüßt, da war ich mir sehr sicher, und es gab mir ein Hochgefühl. Nicht dieses emotionale Blabla werdender Väter, die Stolz auf ihr ungeborenes Kind empfanden. Ich hatte keine wirklich väterliche Bindung zu diesem Kind. Aber ich hatte eine sehr enge Bindung zu seinem Schicksal, und diese erfüllte mich gerade mit ausgesprochen guter Laune.

Vielleicht war ich deshalb auch etwas spät dran. Meistens vertrieb Dierna mich schon vor Morgengrauen, warum auch immer. Ich glaube, sie genoss die Heimlichtuerei, weil das der Sache einen verruchten Anstrich gab. Weiber! Aber solange sie gut für meinen Drachen sorgte, sollte es ihr vergönnt sein.
Ich trat nach draußen in die aufgehende Sonne und streckte mich erst einmal genüsslich und laut gähnend. Nur vereinzelt waren die Leute wach. Alles Schlafmützen hier, wie es schien. Ich trat zu der Pferdetränke in der Nähe, um mich wie jedes Mal kurz zu waschen. Ausführlich tat ich das später am Bach, und wie immer war das auch nötig. Ich roch überdeutlich nach Sex und Schweiß und Ruß des Feuers. Mich selber störte das nicht, aber das Wild, das ich jagte, roch mich so schon lange, bevor ich es fand. Also musste ich mich in eisige Fluten stürzen und mich waschen. Aber nicht hier auf dem Dorfplatz und auch nicht in dem nahen Fluss. Der wäre zwar gegangen und ich war auch ein guter Schwimmer, aber er war dreckig von der Stadt etwas Flussaufwärts und stank nach Fäkal, zumindest für meine empfindliche Nase.
Als ich mich wieder aufrichtete, merkte ich, was fehlte: Mein Pferd. Ich hatte das Vieh hier angebunden, wie immer, aber es war nicht hier. Wer wäre dumm genug, es zu stehlen? Das konnte nur ein bald sehr toter Mensch sein. Oder aber, mein kleiner Hengst hatte sich losgerissen, weil irgendwo eine rossige Stute war. Da war er schlimmer als ich, was das anging. Keinerlei Selbstbeherrschung oder Impulskontrolle.

Ich betrachtete also die Spuren am Boden und folgte dem Pfad der Abdrücke, die am wahrscheinlichsten von meinem Gaul stammten. Ich folgte ihnen etwas außerhalb der Siedlung auf die nächste Wiese, wo eine alte Frau herumlief. Ich legte kurz den Kopf schief und schaute mir an, was die da trieb. Sie hatte keine Schuhe an und lief verträumt herum. Pilze oder Altersdemenz, entschied ich.
“Hast du mein Pferd gesehen?“, sprach ich sie an, ehe sie noch sämtliche Spuren platttrampelte. Ich bezweifelte zwar, dass sie den Hengst gesehen hatte – sonst wäre der ja hier und ich würde ihn auch sehen – aber man konnte nie wissen.
Einen Moment hatte ich mir den Luxus gegönnt und die Augen geschlossen. Dabei war ich einfach meinem Instinkt gefolgt und weitergelaufen. Ja, das war gut! Sich wieder auf das Wesentliche beschränken. Auf das, was man fühlte, hörte und roch. Dabei war der Morgentau unter meinen Füßen erst der Anfang gewesen. Nun kam noch der leichte Wind hinzu, den ich auf meiner Haut spürte oder den unverkennbaren Ruf der Schafstelze, welcher an mein Ohr drang und ich mir vor meinem inneren Auge ihr schönes gelbes Gefieder vorstellte. Und dann war da noch dieser spezielle Duft nach Frische, den es nur an einem Sommermorgen geben konnte, nachdem es am Abend zuvor geregnet hatte. 
Dieses wundervolle Idyll fand ein jähes Ende als ich plötzlich leiser Schritte gewahr wurde, die jemand machte, als er eilig durchs Gras watete und mich kurz darauf aus meiner Meditation riss. Was da auf mich zusteuerte, war eine Beleidigung für meine Nase! Ich roch den Testosteron geschwängerten Schweiß eines jungen Mannes, der sich noch immer in der Wachstumsphase befand. Hinzu kam der Geruch von Samen, den er entweder alleine oder im Beisein eines weiblichen Wesens verloren hatte. Letzteres musste eher zutreffen, wie ich fand. Denn da lag noch ein kleiner feiner Rest seines femininen Gegenstücks in der Luft. Auch der Duft des Herdfeuers, dem er zweifellos in der Nacht ausgestzt gewesen war und der nun noch in seiner Kleidung und seinen Haaren steckte, war nicht zu ignorieren. 
Letztendlich drang dann auch noch seine Stimme an mein Ohr. Das gab dem letzten Quäntchen Ruhe schließlich den Todesstoß! Ich blieb stehen, öffnete meine Augen und richtete meinen Blick dorthin, woher die Stimme gekommen war. "Hä? Was? Siehst du hier etwa ein Pferd?" gab ich reichlich übellaunig zurück.  Mein strenger Blick lag einen Moment auf den jungen Mann, dessen Anblick mir irgendwie vertraut vorkam. Einen Moment musste ich überlegen, Dann kam eines zum anderen. "Bist du nicht einer der Sieben?" fragte ich ihn. Ganz bestimmt musste er einer von ihnen sein! Ich hatte alle ihre Mütter gekannt. Mehr oder weniger. In der letzten Zeit waren einige seiner Brüder hier im Dorf gewesen. Die letzte dieser Begegnungen war nicht so glücklich verlaufen.
Sie war nicht gerade freundlich. Ich hatte noch nicht herausgefunden, wann es als angemessen galt, unfreundlich zu reagieren, und wann nicht. Das gehörte zu dem Bereich zwischenmenschlichen Handelns, der mir verborgen blieb und keinen Regeln zu folgen schien. Aber vielleicht bewegte sie sich auch außerhalb der Regeln, was den Versuch, die Regeln zu erkennen, überflüssig machte.
Dann fragte sie mich, ob ich einer der sieben war. Einer der sieben was? Ich legte den Kopf schief. Ich kannte sie nicht, also kannte sie mich auch nicht, und Cinead hätte mir erzählt, wenn er eine verrückte Alte getroffen hätte. Sowas war auch nicht üblich für ihn, erst recht nicht, dass er sich enthüllen würde. Er war da so geheimniskrämerisch wie Cathbad, nur dass er cleverer war.

“Du bist die Dorfhexe“, schloss ich meine Beobachtung ab. Das war die einzige Erklärung für eine alte Frau, die barfuß durch die Gegend lief, unfreundlich daherredete und solche Fragen stellte. Und ja, ich beantwortete ihre frage nicht oder war jetzt im Nachhinein davon besonders beeindruckt. Wenn sie eine Hexe war, hatte sie Gaben, und wenn es nur eine besondere Auffassungsgabe und das Filtern von Gerüchten war. Wenige hatten ein echtes, zweites Gesicht und konnten Dinge sehen, die meisten dachten einfach nur sehr schnell. Die meiste Zeit hatte ich auch keine Eingebungen, sondern nahm nur das auf, was ich sah.
“Und natürlich sehe ich hier ein Pferd. Du nicht? Hier lief es entlang, kraftvoll, so dass das Gras ausgerissen wurde, wo die Hufe den Boden aufwühlten. Ein Stein steckt in seinem Huf, den ich entfernen muss, deshalb ist sein Gang nicht ganz rund gerade. Dort strich es am Ginster entlang und ließ sein braunes Haar in den Ästen. Ah, und dort vorne hat es ein paar Kletten abgerissen, die nun an seinen Beinen kleben.“
Ich deutete auf die Stellen, die ein guter Fährtenleser sicher gesehen hätte. Alte Hexen waren das nicht immer, aber ich wollte wissen, ob sie nur so tat, als wisse sie etwas, oder ob sie tatsächlich auch Dinge sah, die nicht da waren. “Wie du siehst, mein Pferd ist hier, nur nicht zu dieser Zeit.“
Nein, ich hatte nicht das Bedürfnis, freundlich zu sein! Nicht jetzt, zu dieser frühen Stunde. Wer mich freundlicher erleben wollte, musste eben später zu mir kommen! Gerade jetzt, wo der Tag noch jungfräulich war und so voller Unschuld vor mir lag, war die beste Zeit, seine Sinne zu schärfen, um mit den Geistern, die uns umgaben, eins zu werden. Denn schließlich war alles beseelt, was uns umgab. Nur wenigen Menschen war bewusst, dass auch sie Teil dieses Kosmos waren. Daher hasste ich jegliche Störung. Es sei denn, ich traf auf einen Gleichgesinnten, was allerdings nur sehr selten der Fall war. Im Augenblick jedoch schien nichts darauf hinzudeuten. Der junge Mann legte zwar seinen Kopf etwas schief, als ich ihn fragte, ob er einer der Sieben sei, verzichtete jedoch auf eine Antwort. Nun, das brauchte er auch nicht, denn ich war mir ziemlich sicher, dass es so war. In seinem Gesicht erkannte ich ein kleines bisschen von Mairead wieder. Ein junges Ding, hoch aus dem Norden. Auch sie war den Römern zum Opfer gefallen, wie all die anderen jungen Priesterinnen und Novizinnen, die nicht sofort getötet worden waren. Wenn er wirklich, Maireads Sohn war, dann musste es noch einen Zwilling dazu geben. Ich sah mich nach ihm um, aber der junge Mann schien allein unterwegs zu sein.

Offenbar hatte er von mir gehört, denn er schloss daraus, dass ich die Dorfhexe sei. Ich sah ihn ein wenig forschend an, als wolle ich in ihn hineinblicken, antwortete aber noch nicht. So kam ich schnell zu dem Schluss, dass er schon häufiger in Cheddar gewesen sein musste. Was ihn hierher führte, hatte sicher mit dem markanten Geruch zu tun, der ihm immer noch anhaftete. Jene feine feminine Nuance inbegriffen, die er versucht hatte, wegzuwischen.

Als er dann wieder von seinem Pferd sprach, begann ich dann endlich auch zu sehen. Ich folgte seinen Worten und sah sein Pferd! Dort, wo es so kraftvoll entlang gelaufen war und dabei die Grasnarbe leicht beschädigt hatte. Einige seiner braunen Haare waren an einem abstehenden Zweig des Ginsterbusches hängen geblieben, bevor das Pferd weiter gelaufen war und sich an der Hainklette einige Kletten eingefangen hatte, wie man noch deutlich an den plattgedrückten Blättern der Pflanze erkennen konnte. 
"Tatsächlich ein Pferd! Nun sehe ich es auch!" antwortete ich voller Stauenen und sah in das Gesicht des jungen Mannes. "Mein Name ist Ceridwen. Doch für die Leute im Dorf bin ich die Dorfhexe. Oder schlimmer noch, die Gwrach. Und was ist mit dir? Wo hast du deinen Bruder gelassen?"
Sie beobachtete mich, wie ich sie beobachtete. Inzwischen war ich mir auch recht sicher, dass keine Pilze im spiel waren, denn ihre Pupillen waren weder zu weit, noch zu klein, sie schwitzte nicht und ihre Atmung war ruhig. Selbst die Geübtesten unter uns blieben nicht so ruhig, wenn der Geist geöffnet war.
Sie folgte meiner Beschreibung und das Erstaunen auf ihrem Gesicht schien echt zu sein, als sie meinte, jetzt auch das Pferd zu sehen. Nur war es dadurch dennoch nicht hier. Aber ich würde es finden. Erst einmal musste ich herausfinden, was das hier war, denn die übliche Unterhaltung mit einem normalen Menschen verlief anders. Schon allein, weil die schnell das Weite zu suchen tendierten, sobald sie mich begrüßt hatten.
“Warum ist das eine Wort schlimmer als das andere?“ fragte ich und legte den Kopf wieder leicht schief. So etwas hatte ich noch nie verstanden, wieso irgend jemand durch ein Wort verletzt sein sollte. Oh, ich verstand, dass die meisten Menschen das so fühlten, ich verstand nur nicht, warum das so war. “Alle Worte sind letztendlich nur Käfige für die Kräfte in und um uns herum. Gibt es wirklich schönere Käfige?“ Denn ja, genau das verstand ich nicht. Es war ein Wort, das eigentlich etwas anderes transportierte. Dass die Leute Angst vor ihr und ihrer Macht hatten. Diese Tatsache änderte sich aber nicht durch ein anderes Wort.

Ich zuckte die Schultern, so wichtig war es nicht, und versuchte weiter die Spuren zu lesen. Sie fragte nach meinem Bruder und ich blickte noch einmal auf. Offenbar hatte sie Kontakt zu einem geschwätzigen Druiden gehabt, was hieß, dass sie prinzipiell von diesem als vertrauenswürdig befunden worden war. Immerhin fragte sie nach meinem Bruder, Singular, nicht meinen Brüdern, was ohnehin falsch gewesen wäre. Also musste sie wissen oder zumindest ahnen, wer ich war. Gefiel mir nicht wirklich.
“Er ist kein Hammer. Er geht dahin, wo die Götter ihm eingeben, ohne dass ich damit etwas zu tun habe.“ Ich zuckte mit den Schultern. Ich ging kurz weiter und suchte den Boden ab, ehe mir auffiel, dass die gesellschaftliche Konvention wohl verlangte, dass ich mich auch vorstellte. “Man nennt mich Ciaran“, sagte ich also und ging langsam weiter. “Und ich hoffe, dass niemand so dumm war, dieses Pferd zu stehlen.“ Sicher war ich mir nicht. Wenn ein Reiter auf ihm saß, musste er sehr leicht sein. Eine Frau oder ein Kind. Ich hatte keine Lust, ein Kind zu töten, das gab immer so viel Ärger.
"Das eine wiegt schwerer, als das andere," gab ich nachdenklich zurück. Ja, ich war ein wenig eitel!  Trotz meines Alters. Denn auch ich war einmal jung und schön gewesen. Doch wie alles Schöne und Junge der Vergänglichkeit anheimfiel, war auch ich mit der Zeit gealtert und  wer wollte schon mit einem hässlichen alten Weib verglichen werden, das den Tod ankündigte? Aber natürlich verlieh mir die Furcht der Leute eine gewisse Macht über sie. Jedoch war ich genügsam geblieben und kostete diese Macht nicht über alle Maßen aus. Letztendlich war es aber nur ein Wort, nichts weiter. "Aber du magst Recht haben, es gibt keine schöneren Käfige!" antwortete ich lächelnd.

Er suchte weiter nach seinen Spuren und wirkte ein wenig überrascht, als ich ihn nach seinem Bruder fragte. Er sei kein Hammer, meinte er dann und sei dort, wo die Götter ihn hinschickten. Ich nickte verstehend.  Dann nannte er seinen Namen. "Ciaran," echote ich. "Ciaran und Cinead." Ja, genau, das war der Name seines Bruders. Ich erinnerte mich wieder und schwelgte noch ein wenig in Gedanken an damals, während der Junge weiter nach seinem Pferd suchte und dabei hoffte, dass niemand es gestohlen hatte. "Ach nein! Siehst du es denn nicht?" gab ich zurück und deutete auf die Stelle, die etwas weiter weg von uns lag, so dass man sie eigenlich kaum erkennen konnte. Dort hatten die Hufe des Tieres deutliche Spuren hinterlassen hatten. "Es hat einen Haken geschlagen, weil es sich erschreckt hat. Und schau, dann ist es weiter gelaufen. Direkt in den Wald hinein!" Ich deutete auf den Waldrand. Dort würde er eine junge Eiche vorfinden, deren Zweigr an der Stelle geknickt waren, an der sich das Pferd einen Weg in den Wald gesucht hatte. "Geh ein kleines Stück hinein. Dort wirst du dein Pferd dann finden!" sagte ich mit Bestimmtheit und lief ebenso auf den Waldrand zu.
Ich beobachtete sie aus den Augenwinkeln und überlegte, ob ich sie töten sollte. Sie wusste offenbar, wer ich war und vielleicht sogar, was ich war, und sowas war gefährlich. Und gerade war weit und breit niemand, der mir verbieten könnte, genau das zu tun, um diese Gefahrenquelle auszuschalten. Wahrscheinlich würde noch nicht einmal das Dorf besonders traurig sein, wenn sie verschwand. Sie hatten Angst vor ihr, das führte selten dazu, dass jemand gemocht wurde. Vielleicht würde man sie suchen, aber traurig wäre niemand, wenn sie gar nicht oder tot gefunden werden würde.

Nur das Gefühl fehlte. Nichts in mir war unruhig oder zappelig, nichts juckte, abgesehen vom trocknenden Schweiß und auch sonst waren meine Gedanken ganz fokussiert und klar. Ich verengte die Augen leicht zu schlitzen. “Ich mag dich nicht“, stellte ich ganz nüchtern und offen erst einmal fest. Eine Frau, die beleidigend zu mir war und nichts bei mir auslöste, um ihre Existenz zu beenden, war eine Neuerung. Sie war mir nicht gleichgültig, das war es nicht. Viele Leute waren mir einfach nur gleichgültig und interessierten mich nicht. Aber sie interessierte mich, obwohl ich sie nicht töten wollte, und das war… nervig.
Ich ging ruhig neben ihr her in den Wald und folgte den Spuren meines Pferdes. “Ich kenne dich nicht. Ich vergesse selten Namen oder Gesichter. Ich würde mich an dich erinnern, wenn ich dich schon einmal getroffen hätte. Dass du weißt, wie mein Bruder heißt, macht mich unruhig. Das mag ich nicht“, redete ich ganz offen weiter, was ich gerade empfand, als würde ich über das Wetter reden. Für mich machte eine Unterhaltung über das Wetter tatsächlich keinen Unterschied zu einer Unterhaltung wie dieser. “Woher kennst du mich und ihn?“ fragte ich also und hielt einmal kurz an, um von einem Baum eine Flechte abzukratzen und in einem meiner Behältnisse zu verstauen, da ich diese für einen meiner Zaubertränke gebrauchen konnte.
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