RE: Deirdres Haus
Wieder ging ein heller und runder Mond über der Welt auf und leuchtete mir den Weg. Ich war schon deutlich vor Einbruch der Nacht losgeritten, so dass ich mit den letzten Sonnenstrahlen das Dorf Cheddar erblickt hatte, und ließ mein Pferd langsam am Fluss entlang dorthin gehen, während ich die Geräusche der Natur in mich aufnahm. Jetzt im sommer war alles so entsetzlich voll mit Leben, dass es fast platzen wollte. Die grillen in den Gräsern, die Frösche am Ufer, die Mäuse zwischen dem getreide und die Eulen, Füchse, Luchse und Marder, die diesen Mäusen nachstellten. Ich hörte sie alle. Ich fühlte sie alle. Dieses ganze Leben schien die Waagschale der Balance auf ihre Seite drücken zu wollen, und langsam meldete sich der drang wieder, dem etwas entgegenzusetzen. Etwas größeres. Etwas perfektes.
Aber nicht heute Nacht. Nein, die heutige Nacht galt der Zukunft der Welt in Gestalt meines Drachens. Und vielleicht ein klein wenig dem Vergnügen und der Frau, die ihn gebären würde. Aber ja, ich war neugierig. Sie hatte noch nichts gesagt, aber ich war mir so sicher, dass meine Prophezeiung stimmte. Ich wollte es wissen. Eigentlich wäre ich bei dieser Aussicht euphorisch gewesen und voller Neugierde, sie aufzuschneiden und zu sehen, wie das war, wenn ein Kind in einer Frau wuchs. Aber ich fühlte bei ihr noch immer nicht diesen Drang. Nicht einmal ein bisschen. Ein wenig verwirrte mich das, aber es war nur logisch. Wenn ich die Mutter des Drachens töten würde, würde er nie geboren werden. Und die Götter wollten seine Geburt und sein Leben, und ich war ihr Werkzeug. Also war es verständlich, dass sie mir bei ihr diese Neugierde nahmen und mich dagegen mit beschützendem Willen erfüllten. Seltsam, aber ich akzeptierte es.
Ich band mein Pferd hinter ihrem Haus fest, wo eine Kerze im Fenster flackerndes Licht spendete. Ich wusste, wo die Tür war und hätte sie auch dann gefunden, wenn mich nicht zusätzlich noch lockender Flötenton in diese Richtung geführt hätte. Ich lauschte einen Moment, dann öffnete ich leise die Tür und schlüpfte wie ein Schatten hinein.
Sie saß am Bettchen ihres Kindes und spielte Flöte. Ihr Kind hatte die Augen geschlossen und die Arme links und rechts neben dem Kopf wie erschlagen abgelegt. Und sie schaute irgendwie erfüllt auf ihn und spielte eine süße, tiefe, traurige Melodie. Ich blieb einfach in den Schatten stehen und beobachtete sie, wie ich schon viele Frauen in den Schatten beobachtet hatte. Aber auch so wollte das Gefühl nicht kommen.
Ich wartete, bis sie geendet hatte, ehe ich mich bewegte und leise wie ein Schatten hinter sie trat. Ich beugte mich leicht vor und hatte wieder ihren Geruch nach Mondschein und Quellwasser in der Nase. Ich beugte mich weiter vor, um sie nach hinten gegen meinen Körper ziehen und die weiche Stelle knapp unterhalb ihres Ohres küssen zu können zur Begrüßung.
“Das war schön, Nachtigall“, begrüßte ich sie und küsste gleich noch ein wenig weiter ihren Hals. Hier war ihr Geruch am stärksten, und irgendwas daran machte mich ganz angespannt und gleichzeitig ruhig.
Meine Hände wanderten tiefer auf ihren Bauch und blieben da liegen. Ich versuchte, zu fühlen, zu spüren, ob da Leben war. Ich wusste, es war da. Es musste da sein. “Ich habe den Vollmond herbeigesehnt“, sagte ich ihr. Mein Blick wanderte etwas höher und blieb auf ihrem Kind hängen. “Das ist der Bruder meines Drachen?“ fragte ich sie und legte den Kopf schief. Der Junge war wie so viele andere Kinder. Im Grunde wie wir Falken: zu dunkel für einen Kelten, zu hell für einen Römer. Ich wusste, dass Deirdre wollte, dass er ein Kelte würde.
Falke
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