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Lughnasadh
Ich war Niamh an den Rand des Waldes gefolgt. Hier war es wesentlich ruhiger als in Cheddar, wo heute Lughnasadh gefeiert wurde. Auch von hier konnte man das Reden und Lachen und die Rufe hören, die vor allen Dingen von dem Feld herstammten, auf dem Iomaint gespielt wurde. Aber alles war gedämpft und ruhiger, und hier draußen waren wir allein. Ich sah mich kurz um, ob wirklich nicht doch irgendwo ein Pärchen zwischen den Büschen gerade ihre Handfeste feierte, aber nein, wir waren wirklich allein.
Niamh hatte sich auf einen Findling gesetzt, der hier herumlag wie von einem Riesen hingeworfen. Ihr kariertes Kleid fiel sanft um ihre Gesalt und ihr rotes Haar leuchtete in der Sonne. Verdammt, sie war so hübsch, und die Worte, die sie gesagt hatte, brannten immer noch tief in mir wie ein Feuer, das ich nicht eindämmen konnte. Aber ich sollte. Ich musste. Sobald sie wusste, was ich ihr sagen musste, würde sie verstehen, und all die schönen Worte würden zu bitterer Galle werden, die nur Schmerzen würde. Ich würde ihr noch ein letztes Mal weh tun müssen. Und ich hasste den Gedanken auf jedem Schritt hier her mehr.
Als sie saß und zu mir schaute, wusste ich im ersten Moment gar nicht, wie ich anfangen sollte. Ich fuhr mir mit den Händen einmal über mein Gesicht und die langen, roten Haare und atmete tief durch.
“Es gibt Dinge, die du nicht weißt, Niamh, und… Ich fang einfach ganz am Anfang an. Hör einfach zu, in Ordnung?“
Ich lief ein paar Schritte, weil es in Bewegung leichter zu sein schien und cih sie so nicht immer ansehen musste und mich ihr treuherziger Blick nicht von dem ablenkte, was ich tun musste. Ich atmete noch einmal tief durch und fing dann an.
“Meine Mutter Gwyneth war die jüngste Tochter von Gahareet, dem König der Silurer, und seiner Frau Gwendolen, einer Tochter von Huawar von den Ordovicern. Ihre drei älteren Schwestern waren alle schon an verschieden Fürsten und hohe Gefolgsleute verheiratet worden, aber sie… Es gab niemand geeigneten. Also beschlossen ihre Eltern, sie nach Mona zu schicken, in der Hoffnung, dass sie sich in einen jungen Druiden verlieben würde und bis es so weit war, die Kunst einer Priesterin lernen würde. Sie war zehn, als sie nach Mona kam. In dem Jahr, in dem die Römer nach Mona kamen, wurde sie im Sommer vierzehn.“
Ich musste nicht erzählen, was auf Mona geschehen war, als die Römer gekommen waren. Sie hatten die Hälfte der Männer und Frauen bei der Eroberung abgeschlachtet. Die übrigen Mädchen, die sie erwischen konnten, wurden vergewaltigt, teilweise verschleppt oder verkauft. Wir alle wussten das. Hätte Boudicca nicht ihren Aufstand genau dann angefangen, das Schlachten und Vergewaltigen wäre ewig weitergegangen.
“Viele der geschändeten Mädchen töteten sich danach gleich selbst. Diejenigen, die lebten, blieben oft Priesterin. Aber einige wurden auch schwanger. Die, die Mädchen geboren hatten, töteten sich nach der Geburt mitsamt dem Kind, weil die Druiden es so entschieden hatten. Aber diejenigen, die Jungen geboren hatten, sollten sie aufziehen, bis die Jungen sieben waren, und sich erst dann töten und ihre Söhne den Druiden übergeben.“ Diesen Teil der Geschichte wussten wenige. Es gab hin und wieder Gerüchte, aber offiziell waren alle Kinder, die die Römer gezeugt hatten, mitsamt ihren Müttern gestorben.
Ich machte eine etwas längere Pause, weil es mir schwer fiel, weiter zu sprechen. Aber ich musste. Niamh sollte alles wissen.
“Meine Mutter starb schon, als ich ungefähr fünf war. Ich... ich erinnere mich kaum an sie. Deshalb kam ich zuerst zu Cathbad. Die anderen kamen dann später dazu. Er unterrichtete uns. Ließ uns schwören, unsere Mütter zu rächen. Die Römer aus diesem Land zu vertreiben und ihre Seelen an der Wiedergeburt zu hindert. Er ließ uns schwören, notfalls dafür zu sterben. Und wir lernten zu kämpfen, zu spionieren, zu… zu töten.“
Ich seufzte leicht und fuhr mir noch einmal durchs Haar.
“Er hat versucht, meine roten Haare schwarz zu färben, damit ich mich als Römer ausgeben konnte. Aber sie fielen nur aus und kamen rot wieder. Die meiste Zeit bin ich für ihn nur ein riesiger Fehlschlag. Aber trotzdem gilt mein Schwur. Und dafür muss ich Dinge tun, die gefährlich sind. Verstehst du, Niamh? Eines Tages werden sie mich fangen, und dann werden sie mich foltern und hinrichten für das, was ich bin. Ich habe schon Männer unter der Folter zerbrechen sehen. Ich hoffe nur, dass ich die Gelegenheit habe, mir dann selbst das Leben zu nehmen, bevor… bevor ich jemanden verrate. Aber wenn sie wissen, wer alles zu meiner Familie gehört...“
Ich wollte es nicht aussprechen. Aber es sollte Niamh auch so klar sein. Der Grund, warum ich nicht mit ihr so zusammen sein konnte, wie sie das wollte, hatte nichts damit zu tun, dass ich das nicht wollte. Aber wie könnte ich ihr das antun? Wie könnte ich sie so in Gefahr bringen?
“Jetzt weißt du es“, schloss ich also und wartete nur darauf, dass sie mich wieder verlassen würde. Wie könnte ich auch nur auf irgend etwas anderes hoffen?