RE: Eichenhain östlich von Cheddar
Natürlich kam ich mit, als sie mich darum bat. Sie verstand es. Ich konnte es in ihren Augen sehen, in der Art, wie sie zu mir aufschaute, wie sich ihre Wangen leicht röteten und der Puls an ihrem Hals flatterte. Sie war noch nicht ganz bereit dafür – ich dafür aber umso mehr, seit ich den Drachen gesehen hatte – und wollte es noch ein wenig in die Länge ziehen. Frauen waren manchmal kompliziert, und doch eigentlich ganz einfach. Sie waren von Natur aus schwach und zerbrechlich geschaffen, und sie überlebten dennoch. Sie die blühenden Blumen, so zart und zerbrechlich, und doch gab es jedes Jahr wieder erneut tausende. Vielleicht lag darin das Geheimnis, dass ich nicht ergründen konnte, dass ihre Schwäche im Endeffekt keine war. Nur etwas, dessen Geheimnis ich noch nicht durchdrungen hatte.
Sie führte mich zu einem Eichenhain. Die Bäume standen alt und fast im Kreis zueinander. In ihren Ästen flüsterte der Wind verheißungsvoll. Ein Hase suchte Schutz zwischen ihren knorrigen Wurzeln. Sie setzte sich und wies neben sich, dass ich mich zu ihr setzte. Das tat ich dann auch, dicht neben sie. Sie roch nach Mondschein und dem klaren Wasser einer Quelle. Anders als ihre Schwester, die mehr nach moosbewachsenen Steinen und Gewitterwolken gerochen hatte. Ich vergaß nie, wie ein Mensch roch, und an was es mich erinnerte. Mein erstes Mädchen damals hatte nach Gras im Sonnenschein gerochen…
Sie wollte etwas von mir und Cinead wissen. Ich legte den Kopf leicht schief und sah zu, wie der Wind ganz langsam eine Haarsträhne von ihrer Schulter pustete, ganz zart immer ein Haar nach dem anderen.
“Cinead und ich sind selten getrennt. Manchmal denke ich, dass er der einzige Mensch ist, der mich wirklich versteht“, erzählte ich und berührte vorsichtig die Stelle, die der Wind eben gestreichelt hatte, kurz über dem Schlüsselbein. “Ich sehe Dinge, die die meisten Menschen nicht sehen. Die sie sich weigern, zu sehen. Der Hase eben zum Beispiel. Erwan wurde Andraste geweiht. Jetzt sehe ich, dass sie es angenommen hat und das hier befürwortet. Oder als sein Haus brannte, da sah ich den Drachen, der dadurch erwachte, aber die Römer sahen es nicht und versuchten, mit Wasser zu löschen, was nicht gelöscht werden kann. Es ist… anstrengend. Manchmal verstehe ich die Dinge auch nicht, die ich sehe, ich weiß nur, dass sie getan werden müssen und die Götter es wollen. Ich sehe die Fäden, die alles zusammenhalten, aber ich sehe nicht immer das Ende, zu dem sie führen.
Ich habe Dunduvan einen Zaubertrank an Beltane gegeben und wusste noch nicht, zu welchem Zweck. Aber er hat mit einem Mädchen dadurch geschlafen, das von Erwan gefangen gehalten wurde, weshalb er sie heute befreien wollte. Und wir brauchten ihn für ihre Befreiung, ohne seinen Beitrag wäre es nicht gegangen. Mein Bruder sieht diese Dinge nicht, er versteht auch nicht immer, was ich tue. Aber er vertraut mir. Er versteht, dass ich diese Dinge aus einem Grund tue. Er… er ist wie du bei deiner Schwester. Du hast sie beschützt und tust es noch. Du verstehst sie, auch wenn du ihre Gabe nicht teilst.“
Ja, auch das wurde mir gerade klar und fügte sich ineinander. Dierna war wie ich mit der Gabe gesegnet. Aber Deirdre war wie Cinead die andere Hälfte, die wir brauchten, die uns erdete. Vielleicht war es doch kein Zufall, dass ich heute allein hier war. Vielleicht hatte Dierna von Cinead das Kind empfangen, weil sie seine andere, weibliche Hälfte war, und ich würde mit Deirdre ein Kind zeugen, weil sie für mich war. Oder vielleicht war ich auch einfach nur verrückt.
“Ich sehe auch andere Dinge. Hier auf der Wiese wachsen vierzehn Kräuter, die dich heilen können, und drei, die dich töten können. Für zwei könnte ich aus den anderen Dingen ein Gegengift herstellen. Für eines nicht.
Deine Schwester, sie hatte zu Imbolc ein Kind geboren. Du hast auch ein Kind geboren. Das sehe ich. Es bevorzugt deine linke Brust, weil es von da besser in dein Gesicht beim trinken sehen kann. Sie ist manchmal etwas wund und tut weh. Wenn du die ungewaschene Wolle eines Schafes darauf legst, ist es einen Tag später weg.“ Ich fuhr mit den Fingerspitzen ihren Hals entlang und rückte etwas näher mit meinem Kopf. “Ich sehe, wie dein Puls flattert an deinem Hals, wenn du nur ganz sanft berührt wirst. Ich sehe, wo deine Haut sich erhitzt bei der Berührung, und wo sie erschaudert, weil es dir unangenehm ist.“ Ich küsste sie vorsichtig auf das blanke Stück Haut an ihrer Schulter und streifte ihren flatternden Puls zärtlich mit meiner Nase. “Ich werd es so machen, wie es dir gefällt, Deirdre. Und du wirst einen Sohn bekommen. Ein Kind mit leuchtend rotem Haar. Ich kann es fast schon sehen.“ Ich beobachtete sie, ob ich weiter gehen konnte, und bedeckte ihren Körper ganz sachte mit kleinen Zärtlichkeiten, um sie zu entspannen. Wenn sie einwilligte, würden wir hier ziemlich lange im Mondschein bleiben. Wenn sie nicht flüchtete, auch die ganze Nacht, wie ihre Schwester. Wenngleich mit Pausen dazwischen, weil mein Bruder fehlte. Aber das machte nichts.
Falke
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