Jetzt war es wohl amtlich, Leander würde in den Minen landen. Zumindest dachte er das, während er die Post vorsortierte und dabei auf das Schreiben der Stadtverwaltung stieß, die sehr viel schneller gewesen war, als er das gedacht hätte. Er atmete noch einmal tief durch, ehe er sich zu seinem Herren begab.
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ich saß mit dem Kopf in Gedanken in der Bibliothek und rauchte friedlich und ncihtsahnend vor mich hin, als Leander mit der Korrespondenz hereinkam. Ich würde nie verstehen, warum alle Welt meinte, mir schreiben zu müssen, wo ich mich doch extra zurückgezogen hatte, um Ruhe zu haben. Aber gut, Menschen waren einfach aufdringlich.
Ich wollte mich also wieder meiner Pfeife zuwenden und Leander ignorieren, als mir auffiel, wie
schuldig er aussah. Nein, er machte sich nicht klein oder guckte bedauernd oder irgendeinen Mumpitz, das nicht. Aber ich kannte ihn jetzt schon wie lange? Dreißig Jahre? Und dieses auffällig ruhige Gesicht hatte er immer, wenn er etwas ausgefressen hatte oder eine schlechte Nachricht überbringen musste.
“Wer ist gestorben?“ fragte ich also resignierend nach, als er mir die Post überreichte.
“Niemand“, sagte er verwundert. Ja, ja, als ob er sich wundern würde!
“Und was ist dann los?“
Leander lächelte leicht.
“Die Stadt hat dich zum Ehrenbürger ernannt, vorbehaltlich der Zahlung des Standesgeldes, natürlich. Herzlichen Glückwunsch, Seneca.“
Bitte WAS?!
“Wie kommen die darauf, mich einfach so einbürgern zu wollen?“ schimpfte ich ungehalten. Das war doch wirklich eine unerhörte Schweinerei! Das war ja noch schlimmer als betteln und hausieren! Brauchten die so dringend Geld, dass die arme, alte Rechtsgelehrte ausnehmen mussten? Das war ja wohl die Höhe!
“Wahrscheinlich, weil ich mich mit einem Stadtbeamten darüber unterhalten habe“, sagte Leander ganz ruhig, als wäre es die normalste Sache der Welt.
Ich stutzte und versuchte, die Information zu erfassen.
“Und warum solltest du so etwas tun?“ fragte ich erst einmal nach.
“Weil es in der Stadt amoklaufende Legionäre gab, wie ich dir sehr wohl berichtet habe, und mir eine Beschwerde angebracht erschien.“
“Du willst mir jetzt allen ernstes sagen, dass ich jetzt Stadtbürger bin, weil dir jemand auf die Nase gehauen hat?“
“Nein, du bist Stadtbürger, weil diese Stadt hier dringend ein angemessenes Ordnungssystem und eine gewisse eigenständige Wehrhaftigkeit gegenüber der Legion benötigt und du als Rechtsgelehrter dafür bestens geeignet bist. Achja, es könnte sein, dass der Stadtrat dich in seine Reihen als Berater beruft.“ Ganz ungerührt räumte Leander die Schriftrollen, die mir auf den Boden gefallen war, wieder an ihren Platz im Regal.
Ich unterdessen starrte ihn nur an und wusste nicht, wie ich am besten explodieren sollte. Ich war so baff, dass ich nicht einmal schimpfen konnte. Naja, einen Moment nicht. Dann brach es aus mir heraus und jenseits aller stoischen Selbstbeherrschung.
“Bist du mein Eheweib?! Ich dachte, ich hätte diese“ – es folgten ein paar sehr explizite und für unbescholtene Ohren wohl grobschlächtigen Beschreibungen –
“hinter mir! Die Minen! Ich sag dir! Die Minen wären noch zu gut für dich! Ans Kreuz sollte ich dich schlagen lassen. Das… das ist Verrat, Leander!“
ich ließ meinem Zorn noch eine Viertel stunde freien Lauf, in der Leander viel zu stoisch für meinen Geschmack dastand und alles über sich ergehen ließ, was ich über ihm ausgoss, bis ich ihn erst einmal wegschickte. Oh, ich sollte ihn wirklich verkaufen, eindeutig!
Ich setzte mich tief in meinen Lieblingssessel und paffte schlimmer als ein Vulkan vor mich hin, während ich über diese neue Situation nachdachte.