RE: Bibliotheca | Eine kleine Rechtsberatung
“Sie ist Witwe, die bis dahin einen untadeligen Lebenswandel hatte und er hat sie verführt. Das ist wohl unstreitig, unbeachtet der Begleitumstände. Daher kann er nach Lex Iulia de adulteriis coercendis in jedem Falle auf stuprum angeklagt werden, und eine Verteidigung dagegen dürfte wohl reichlich schwer fallen. Immerhin hat er sie ja offensichtlich verführt. Das würde bedeuten, dass er die Hälfte seines Vermögens verliert und auf eine Insel verbannt wird. Allerdings könnte deine Cousine dann auch als Mittäterin in Betracht kommen, was hieße, dass sie dann auf eine andere Insel verbannt werden würde und ein Drittel ihres Vermögens an den Staat einbüßt.“
Ich nahm ein paar Züge aus meiner Pfeife, während ich vor mich hinsinnierte. “Ist sie hingegen das Opfer, käme auch eine Anklage nach Lex Iulia de vi infrage. Dann wäre er ihr Vergewaltiger, und würde entsprechend dem Gesetz zum Tod verurteilt. Ich müsste nochmal genau nachsehen, aber ich glaube, wilde Tiere in der Arena ist da das übliche, keine schlichte Enthauptung. Seit spätestens Caligula sind ja solche Dinge immer sehr beliebt. Allerdings könnte es dann dazu kommen, dass deine Cousine gefragt wird, ob sie ihrem Vergewaltiger vergeben möchte, indem sie ihn heiratet, wodurch die vorherige Gewalt dann zu einem ehelichen Akt – wir Juristen nennen es – geheilt wird. Allerdings möchtest du eben das ja nicht, und als ihr Tutor hast sowieso nur du das Recht, für sie vor Gericht zu sprechen. Frauen ist sowas ja genau wegen solcher Dinge zurecht verboten.
Ersitzen kann er sich das Recht an ihr nicht, da keine gültige Ehe ohne Konsens zustande kommen kann. Sie hat ihren Konsens zwar durch Handlung erklärt, aber als Frau kann sie so eine Entscheidung nicht alleine treffen. Wenn sie klug ist, versucht sie, nach Londinium zum Statthalter zu kommen und in seiner Eigenschaft als stellvertretender Prätor für diese Provinz sein Einverständnis zur Ehe zu bekommen. Durch ein ordentliches Gerichtsurteil könnte deine Stimme da schlicht durch die des Prätors ersetzt werden. Aber ich nehme mal an, dass weder der Germane, noch deine Cousine über solche Feinheiten Bescheid weiß. Solange sie also keinen gerichtlichen Beschluss haben, der ihr die Ehe erlaubt, kann das keine gültige Ehe sein, und du hast jedes Recht, mindestens zu fordern, dass er irgendwo auf einer einsamen Insel versauert, wo sie nicht hingehen darf, da er sonst getötet würde, weil er gegen sein Urteil, sie nicht mehr zu sehen, verstößt.
Unschön wird die ganze Geschichte natürlich, wenn er es in der Zwischenzeit schafft, sie zu schwängern. Ein uneheliches Kind ist zwar kein Weltuntergang, aber an dem Ruf deiner Cousine könnte das ziemlich zehren.“
Ich überlegte noch weiter, was noch in Betracht kommen könnte. Immerhin kamen hier verschiedene Dinge zusammen. "Du könntest auch eine Klage wegen Plagium, also Entführung mit böswilliger Absicht, in Betracht ziehen. Da wäre die Strafe üblicherweise für einen humilior wie den Plebeier die Kreuzigung oder eine Verurteilung zu den Minen. Wär das nicht irgendwie ironisch, wenn er dafür hier in der Bleimine die nächsten zehn Jahre arbeiten müsste, sofern er so lange lebt?"
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