“Ach, dass das Imperium irgendwann einmal untergeht, haben auch schon die Etrusker vor dreihundert Jahren vorhergesagt. Und irgendwann wird uns unsere eigene Dekadenz auch auf die Füße fallen, da bin ich mir sicher. Aber ich glaube nicht, dass ich das noch erleben werde. Definitiv nicht unter Vespasian, und auch nicht unter Titus“, sagte ich bestimmt, denn die beiden waren meiner bescheidenen Meinung nach so, wie Kaiser sein sollten: Militärisch geschult und erfolgreich, beliebt beim Volk, geachtet unter den Senatoren, gemäßigt im Auftreten und den Sperenzchen, die sie sich leisteten.
“Und wenn der edle Augustus wirklich gewollt hätte, dass die Patrizier nicht aussterben, hätte er die Gesetze anders formulieren müssen. Unter anderem so, dass Scheidung einfacher ist und, wenn es denn schon sein muss, man die Kinder von Geliebten auch zu Erben ernennen kann. Aber doch nicht so, wie es jetzt geregelt ist, wo es nur als Zwang empfunden wird und man diese Ketten nicht einmal von sich streifen kann, wenn man denn möchte.“ Hach, was hätte ich Calpurnia gerne zur Unterwelt verwünscht mitunter. Aber die Scheidung wäre teuer gewesen, ihre Verwandten hätten gezetert, und ich hätte erst noch einmal heiraten müssen. Wenigstens meine letzten zehn Jahre, bis dieses Joch von mir genommen werden würde, wollte ich das aber aussitzen. Zur Not ließ ich auf dem Sterbebett eben irgendeine Sklavin frei, um sie schnell zu ehelichen, damit meine gierigen Töchter ihr Erbe bekamen, aber mehr musste wirklich nicht sein. Und ja, ich verstand durchaus den Wink mit der halben Säulenhalle, die der Furier da grade anführte wegen seiner Cousine!
“Du solltest sie die Steuern von ihrem Vermögen selbst tragen lassen. Wenn sie nicht verarmen will, wird sie sich dann schon fügen. Mit meinen Töchtern hab ich da gar nicht verhandelt, geb ich zu. Aber als Vater hat man auch mehr Rechte als als Vetter.“ Wenigstens ein Vorteil an der ganzen Sache. Nein, ich hatte meinen Töchtern einen Mann gesucht und ihnen gesagt, dass sie ihn gefälligst zu nehmen hatten, wenn sie weiterhin ein bequemes Leben haben wollten. Wer frei sein wollte, konnte im Wald frei sein, bei den Wilden Tieren, im Regen, ohne essen. Ja, Freiheit war weit überschätzt, und meiner Erfahrung nach wählten die meisten Menschen doch die Sicherheit eines warmen Herdfeuers und eines vollen Bauches, und zwar ohne zu zögern. Egal, wie pathetisch einige Philosophen auch meinten, die Freiheit verklären zu müssen.
“Ach, so etwas wie bei Nero wird unter Vespasian nicht passieren“, winkte ich auch die Sorge vor einem weiteren Bürgerkrieg ab.
“Titus ist zu perfekt geeignet, als dass es da Probleme geben würde. Der müsste schon vergiftet werden, damit da noch einmal so ein Chaos geschieht. Neros Fehler war, zu emotional zu sein und zu sehr an Ideen und Gefühlen zu hängen. Hätte er mit Octavia seine Pflicht erfüllt, wäre vieles anders gekommen. Hätte er sich nicht in Poppea Sabina verliebt, ebenso. Wäre er dieser Liebe nicht so nachgegangen, und selbst, als dies geschehen war, hätte er sie nicht vor Wut getreten, so dass sie mitsamt ihrem Kind gestorben ist, hätte er sich halten können. Hätte er danach nicht diesen Sklaven in eine Parodie von Poppaea Sabina verwandelt, sondern legitime Erben gezeugt, hätte er sich gehalten. An sich war er kein schlechter Herrscher, er hat ja lange Jahre den Staat gelenkt und alles zum Fortbestand getan. Aber diese emotionalen Ausbrüche, dieses, dieses Griechische an ihm, das war einfach irgendwann zu viel, so dass die Prätorianer einen Schlussstrich gezogen haben. Er hätte da schon einen zehnjährigen Sohn haben können, wenn er sich nur ein bisschen mehr zusammengerissen hätte.“ Ja, sehr viel Leid wäre ganz Rom erspart worden, wenn der Mann nur Stoiker gewesen wäre und kein flatterhafter Schöngeist!
Als mein Gastgeber nach einem Termin fragte, konnte ich wohl nur sehr schlecht ablehnen. Das wäre wirklich sehr unfreundlich gewesen, und auch, wenn ich wirklich eine Pause von dem ganzen Gezanke Roms haben wollte, war ich ja auch neugierig, was es denn geben konnte, hier in der Provinz. Und eine unverbindliche Beratung war ja nichts schlimmes.
“Natürlich empfange ich dich, werter Furius Saturninus. Wenn es dringend ist, muss ich dich nur vorwarnen, dass ich dir dann kein Mahl anbieten können werde, da wir im Moment noch auf der Suche nach einer geeigneten Köchin sind, sofern es hier so etwas gibt. Wenn dich das nicht schreckt, kannst du gerne in den nächsten Tagen vorbeikommen – vorzugsweise vormittags, wenn dies deine Amtsgeschäfte zulassen.“ Nachmittags wollte ich sehen, was die Thermen hier denn konnten. So etwas gehörte schließlich dazu, und er würde sicher keine delikaten Angelegenheiten in der Öffentlichkeit einer Therme klären wollen.
Als er später dann nach einem hypothetischen Fall fragte, hörte ich fast schon die Nachtigallen trapsen.
“Natürlich rein fiktiv“, stimmte ich zu und überlegte.
“Und in diesem fiktiven Fall würde es einige Einzelheiten zu bedenken geben. Zunächst einmal, für wen argumentiere ich? Ein Verteidiger argumentiert schließlich anders als ein Ankläger. Dann: Wenn sie freiwillig gegangen ist, ist es dann eine Entführung? Was soll mit dieser Entführung bezweckt werden? Wem gereicht es zum Schaden, und worin besteht dieser Schaden? Wer hat die Gewalt über die Bürgerin? Ist sie verheiratet? Verwitwet? Führt sie einen ehrbaren Lebenswandel? Gehört sie zu den Honestiores gar? Und der Entführer, was will er? Verlangt er Lösegeld? Weiß er, dass er sie entführt hat, wenn sie doch freiwillig mit ihm geht? Du siehst, es gibt viele Einzelheiten, die da zu klären sind, ehe man entscheiden könnte, wie die strafe ausfallen würde. Von Freispruch über Verbannung bis hin zum Tod kann da alles dabei sein.“