RE: Die Hütte von Boduognatus
Es sagte zwar niemand was, aber ich sah durchaus, wie sie es alle vermieden, mich anzusehen. Verdammter Mist, ich würde viele Dinge besser überspielen müssen, damit dieser Verdacht von mir und Raven genommen wurde. Es war ja auch nichts passiert! Nur ein Kuss! Mehr war es nicht gewesen! Auch wenn dieser eine Kuss anders war als die vielen, die ich zuvor in meinem Leben gehabt hatte. Auch wenn er mich noch immer verbrannte, tief in mir, wie ein beginnender Waldbrand, der nur darauf wartete, dass der Wind auffrischte. Auch wenn alles in mir danach schrie, selbst den Windstoß herbeizuführen und mich verbrennen zu lassen. Nicht, weil es irgend einem niederen Trieb entsprang, sondern weil es sich zum ersten Mal richtig anfühlte. Als wäre ich endlich da, wo ich sein sollte. Als hätte das Universum aufgehört, sich wie wild um mich herum zu drehen und als wären endlich alle Teile dieses großen, kosmischen Puzzles an ihrem Platz und würden nur darauf warten, dass ich das Bild endlich erkannte. Ja, so, genau so fühlte es sich an, wenn ich Raven ansah. Und es fühlte sich so unendlich falsch an, so zu tun, als wäre es nicht so, nur weil mein Verstand wusste, dass das nicht die Wahrheit sein durfte. Weil sie meine Schwester und eine Priesterin und die Jungfräuliche war, und ich wusste, dass jeder dieser Punkte allein schon genug Grund war, jegliches Gefühl niederzukämpfen und nicht weiter darüber nachzudenken. Alle drei zusammen waren aber geradezu ein göttliches Urteil, an dem ich nicht zu rütteln hatte.
Und trotzdem sagte mir alles, dass es falsch war, sie gehen zu lassen.
Ich vertrieb die launigen Gedanken und schaute bewusst meine Brüder an, als wollte ich sie fragen, was sie so komisch schauten. Es war ja nichts. Es durfte nichts sein. Also sollten sie nicht denken, dass da etwas wäre. Sie kannten mich. Ich hatte schon häufiger ein Mädchen im Arm gehalten, und auch, wenn es bei weitem nicht mit allen über das Küssen hinausgegangen war, war bisher keines dabei gewesen, das mich wirklich hätte fesseln können. Sie hatten also keinen Grund, anzunehmen, dass die momentane Schwärmerei, die ich offenbart hatte, irgendwie anders wäre.
Ich setzte mich also betont entspannt und nahm auch einen Becher Met, von dem ich einen kleinen Schluck nahm. Irgendwie schmeckte er bitter. Aber ich wollte mich ohnehin nicht betrinken. Ich setzte mich also und hörte mir die Worte von Cartivel an. Zum Glück sagte er nichts mehr zu Raven oder mir, also betrachtete ich die Verdächtigung als erst einmal erledigt. Als er Cathbads Nachricht übermittelte, verzog sich mein Gesicht ganz kurz zu einem zynischen Lächeln. Ja, genau, wir sollten unseren verstand entscheiden lassen. Mir war sofort klar, dass er damit nicht meinen Verstand meinte, sondern viel eher den von Dunduvan. Und dass wir einander beistehen sollten, war für mich auch nur wieder ein Zeichen, Kontrolle ausüben zu wollen. Als hätte einer von uns die anderen jemals hintergangen. Es war wie eine beständige Schwere, die sich auf mich legte und das Licht von eben erdrückte. Ich wusste genau, was Cathbad wollte. Was er immer gewollt hatte. Rache. Blut und Feuer. Wir waren nur willfährige Werkzeuge, keine Menschen. Nur eine Waffe, die er benutzen konnte. Und wenn einer von uns dabei zerbrach…
Ich schaute zu Calum und fasste mich wieder. Ja, ich hatte ihm versprochen, zu ihm zu halten, egal, was heute passieren würde, und ich hatte ja auch schon mein Möglichstes im Vorfeld getan. Auch Dunduvan beherrschte sich und wartete für seine Verhältnisse sehr geduldig, was Calum zu sagen hatte. Und der fing dann auch an und berichtete, was Caradoc ihm gesagt hatte.
Jetzt, wo ich die Prophezeiung in ihrer Gänze hörte, sah ich das alles gar nicht mehr so schwarz, wie ich befürchtet hatte. Ich verstand zwar wie meistens nicht, was das bedeuten sollte. Aber so war es immer, alle Prophezeiungen waren immer so vage, dass ja niemand einen verlässlichen Schluss daraus ziehen könnte. Ein Kind von zweierlei Blut, das konnte alles heißen. Das konnte auf zwei keltische Blutlinien hinweisen oder auch ein Mischlingskind zwischen Römern und Kelten oder sogar zwischen Mensch und Ziege. Wobei ich mich da fragte, wer sich in eine Ziege verlieben würde. Vielleicht doch kein Ziegenmischling. Aber der Rest war vollkommen offen.
Und auch die vielen Sommer und Winter konnten drei oder dreitausend sein. Calum hatte mir zuvor gesagt, dass er dachte, dass es noch Jahrhunderte dauern würde, aber eigentlich war es eben nicht so eindeutig.
Calum wollte auch gleich wieder gehen, weshalb ich aufstand und ihn erst einmal aufhielt. Nein, ich ließ ihm keine Wahl, als ich ihn am Arm griff und zu mir zog, so dass ich meine Stirn an seine legen konnte. “Schau mich an, kleiner Bruder“, sagte ich und wartete, bis er es tat. So bei dieser Nähe wirkten seine Augen riesig. Und traurig. Weshalb ich all das, was in mir auch toben mochte, nach hinten drängte, um jetzt die Stärke zu haben, die er brauchte. “Es wird alles gut werden. Und niemand ist wütend auf dich. Die Prophezeiung spricht auch von Hoffnung. Und wir werden sie finden, in Ordnung?“ Ich schaute ihn lange an, damit meine Worte zu ihm durchdringen konnten, ehe ich ihn aus meinem Griff ließ und zum Schluss nochmal meine Hand auf seine Schulter legte und sanft drückte. “Wir schaffen das. Was immer auch passieren wird, zum Guten oder zum Schlechten. Wir schaffen das. Ich lass nicht zu, dass einem von euch ein Leid geschieht.“ Würde ich nicht. Hatte ich noch nie. Ich konnte zwar nicht viel, aber wenigstens kämpfen konnte ich. Und für meine Familie kämpfte ich. Ohne wenn und aber.
Falke
|