RE: Ablenkungen
Der Leibwächter zog sich ein Stück zurück, was ich als Erfolg verbuchte. Der Mann hier gab sich zwar garstig, aber ganz uninteressiert schien er dann doch nicht zu sein. Wahrscheinlich musste man ihn nur eine Weile bearbeiten und umgarnen, bis er auf die Idee kam, doch mehr zu wollen. Vielleicht war er einer von der moralischen Sorte oder so etwas. Stoiker. Oder wie hießen die Typen, die im Fass wohnten? Kyniker! Genau! Vielleicht war er so einer. Auch wenn er dafür zu vornehm wirkte.
Jetzt, wo ich näher war, konnte ich ihn besser in Augenschein nehmen. Er hatte eindeutig Geld, an seiner Kleidung war nichts ausgefranst oder schäbig, noch nicht einmal schmutzig. An seiner Hand war ein Ritterring, also hatte er definitiv Geld und einen wichtigen Namen. Er war älter als ich, aber noch nicht wirklich alt, seine Haut gepflegt, keine sichtbaren Narben oder Schrammen. Und er roch sauber. Es gab schlechtere Kandidaten als ihn als mein neuer Mäzen.
“Du hast recht, ich bin erst seit zwei Tagen hier in der Stadt. Ich komme aus Rom, aber familiäre Verpflichtungen führten meine Verwandtschaft hier her.“ Das war nicht gelogen, sogar ziemlich dicht an der Wahrheit. Aber ich hatte auch keinen Grund, hierbei zu lügen, und so, wie er aussah, konnte ich ihn damit wahrscheinlich eher beeindrucken als mit irgendeiner Geschichte über das arme Provinzmädchen, welches ich sowieso nicht wirklich verkörpern konnte. “Daher wäre ich wirklich dankbar, wenn jemand, der die Besonderheiten der Stadt und ihrer Bewohner kennt, mich aufklärt.“ Ich sah kurz zu ihm auf, überlegte, ob ich mir auf der Lippe herumkauen sollte, entschied mich aber dagegen. Nein, weltmännisch offen, nicht schüchternes Mädchen. Ich glaubte, dass das mehr ziehen würde, also sah ich ihn stattdessen recht offen und abschätzend an und platzierte dann ein wohldosiertes Lächeln. “Ich heiße Aglaia“, stellte ich mich vor. “Liciniana Aglaia.“ womit er wohl wusste, dass meine Ahnenreihe wohl nicht bis nach Troja zurückverfolgt werden konnte, sondern wohl noch recht frisch im römischen Reich war und vermutlich deutlich griechischen Einfluss hatte.
Frech nahm ich die Amphore mit Wein aus seiner Hand und besah sie mir genauer. "Cumaner?" fragte ich mit Blick auf das Etikett. "Du magst es also herb und schwer?" Ich lächelte ihn vielsagend an. "Den Wein, meine ich", fügte ich neckend hinzu.
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