Ankunft im neuen Leben
Mir war kalt, ich war müde, und ich war so knapp davor, einen Mord zu begehen, wie noch nie in meinem Leben. Wer das nicht nachvollziehen kann, dem rate ich, einen Umzug in eine fremde, nasse Provinz zu planen, noch dazu mit der eigenen Familie, und dann mit Mutter und Großvater in einem engen Gefährt dorthin zu reisen. Ehrlich, wenn ich noch einmal hörte, dass früher alles besser war, würde ich wohl wild kreischend um mich schlagen und alles kurz und klein hauen. Ich liebte meine Familie, aber grade wünschte ich mir, die beiden wären in Roma geblieben, auch wenn das aus vielerlei Gründen nicht ging.
Zum Glück war Narcissus mit uns mitgekommen. Ich glaube, wäre er nicht dabei gewesen, um mich bisweilen auf ganz andere Gedanken zu bringen, es hätte sicher auf der Überfahrt von Gallia nach Britannia mindestens einen Toten gegeben. Vielleicht auch mich selber, weil ich mehr als einmal am Liebsten vom Schiff gesprungen wäre. Aber dieses Schnuckelchen hatte so seine Art, mich davon abzulenken und mich auf andere, viel wärmere Gedanken zu bringen, dass glücklicherweise noch alle lebten.
Als die Kutsche langsam nach Iscalis hineinrollte, hoffte ich, das wirklich alles so hier geklappt hatte, wie es ausgemacht war. Es war schwer, ein Haus über eine so große Entfernung zu kaufen, wo man selber dort doch gar nicht war, und darauf zu vertrauen, dass alles hergerichtet sein würde. Und es hatte ein Schweinegeld gekostet, einen Vermittler zu finden mit den nötigen Verbindungen, der hier alles in die Wege geleitet hatte. Aber das Geld war auch viel weniger ein Problem. Nicht, seitdem mein Senatörchen verstorben war und mir einen wirklich dicken Batzen davon vermacht hatte. Was auch der Grund war, warum wir nicht mitsamt eben jenem Batzen in Roma bleiben konnten, und noch nicht mal ins sonnige Alexandria oder wenigstens nach Athen hatten ziehen können. Mein Senatörchen hat leider seinen ehrgeizigen Sohn und seine alte, faltige, giftzüngige und äußerst nachtragende Ehefrau nicht so reich bedacht wie mich, und irgendwie nahmen die beiden mir das sehr übel. Da sie aber aus einem wohlhabenden Haus mit einigen Rittern und Senatoren in der erweiterten Verwandtschaft stammte und mich wohl nur kurz jemand vermissen würde, wenn ich mitsamt meiner Mutter und meines Großvaters tot im Tiber trieb, war es besser, möglichst weit weg von ihr und ihrer buckligen Verwandtschaft zu sein. Und das hieß, in eine neue Provinz zu gehen, die grade erst im Aufbau war, da hier keiner ihrer Handlanger hockte, der mir nach dem Leben trachtete.
Ich schaute also aus dem winzigen Kutschfenster hinaus, als wir hier durch die Straßen rappelten und seufzte einmal theatralisch. Nein, das war ganz und gar nicht Rom. Ich ließ mich gegen Narcissus gekonnt sinken und sah mit ebenso gekonntem Schmollmund zu ihm auf. “Mir ist ein wenig kalt“ sagte ich geübt leidend, was wohl in der weniger verkünstelten Übersetzung und für ihn wohl durchaus deutlich hieß: Mir ist langweilig, ich bin scharf und will heute Nacht nicht allein schlafen.
In dem Moment hielt die Kutsche auch an und gab den Blick auf unser neues Zuhause frei. Die Tür wurde von außen geöffnet und jetzt wurde mir wirklich kalt. Diese Provinz war doch etwas garstiger, als angenommen. Fast hatte ich ein schlechtes Gewissen, Narcissus überredet zu haben, mit uns zu kommen. Andererseits, er verdiente bei uns gut und wenn das Haus wirklich so war, wie es bestellt worden war, würde er fürstlicher leben als je zuvor. Da hielt sich das Gewissen dann gleich wieder in grenzen.
“Sind wir da?“ fragte ich trotzdem auch mal meine Mutter und Opa, die sicher genauso gespannt waren wie ich, ob dieser windige Verkäufer nun wirklich Wort gehalten hatte. Da er aber von uns noch einen riesigen Batzen Geld bekam, nahm ich es doch an.
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