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Normale Version: Ankunft im neuen Leben
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Mir war kalt, ich war müde, und ich war so knapp davor, einen Mord zu begehen, wie noch nie in meinem Leben. Wer das nicht nachvollziehen kann, dem rate ich, einen Umzug in eine fremde, nasse Provinz zu planen, noch dazu mit der eigenen Familie, und dann mit Mutter und Großvater in einem engen Gefährt dorthin zu reisen. Ehrlich, wenn ich noch einmal hörte, dass früher alles besser war, würde ich wohl wild kreischend um mich schlagen und alles kurz und klein hauen. Ich liebte meine Familie, aber grade wünschte ich mir, die beiden wären in Roma geblieben, auch wenn das aus vielerlei Gründen nicht ging.


Zum Glück war Narcissus mit uns mitgekommen. Ich glaube, wäre er nicht dabei gewesen, um mich bisweilen auf ganz andere Gedanken zu bringen, es hätte sicher auf der Überfahrt von Gallia nach Britannia mindestens einen Toten gegeben. Vielleicht auch mich selber, weil ich mehr als einmal am Liebsten vom Schiff gesprungen wäre. Aber dieses Schnuckelchen hatte so seine Art, mich davon abzulenken und mich auf andere, viel wärmere Gedanken zu bringen, dass glücklicherweise noch alle lebten.
Als die Kutsche langsam nach Iscalis hineinrollte, hoffte ich, das wirklich alles so hier geklappt hatte, wie es ausgemacht war. Es war schwer, ein Haus über eine so große Entfernung zu kaufen, wo man selber dort doch gar nicht war, und darauf zu vertrauen, dass alles hergerichtet sein würde. Und es hatte ein Schweinegeld gekostet, einen Vermittler zu finden mit den nötigen Verbindungen, der hier alles in die Wege geleitet hatte. Aber das Geld war auch viel weniger ein Problem. Nicht, seitdem mein Senatörchen verstorben war und mir einen wirklich dicken Batzen davon vermacht hatte. Was auch der Grund war, warum wir nicht mitsamt eben jenem Batzen in Roma bleiben konnten, und noch nicht mal ins sonnige Alexandria oder wenigstens nach Athen hatten ziehen können. Mein Senatörchen hat leider seinen ehrgeizigen Sohn und seine alte, faltige, giftzüngige und äußerst nachtragende Ehefrau nicht so reich bedacht wie mich, und irgendwie nahmen die beiden mir das sehr übel. Da sie aber aus einem wohlhabenden Haus mit einigen Rittern und Senatoren in der erweiterten Verwandtschaft stammte und mich wohl nur kurz jemand vermissen würde, wenn ich mitsamt meiner Mutter und meines Großvaters tot im Tiber trieb, war es besser, möglichst weit weg von ihr und ihrer buckligen Verwandtschaft zu sein. Und das hieß, in eine neue Provinz zu gehen, die grade erst im Aufbau war, da hier keiner ihrer Handlanger hockte, der mir nach dem Leben trachtete.


Ich schaute also aus dem winzigen Kutschfenster hinaus, als wir hier durch die Straßen rappelten und seufzte einmal theatralisch. Nein, das war ganz und gar nicht Rom. Ich ließ mich gegen Narcissus gekonnt sinken und sah mit ebenso gekonntem Schmollmund zu ihm auf. “Mir ist ein wenig kalt“ sagte ich geübt leidend, was wohl in der weniger verkünstelten Übersetzung und für ihn wohl durchaus deutlich hieß: Mir ist langweilig, ich bin scharf und will heute Nacht nicht allein schlafen.
In dem Moment hielt die Kutsche auch an und gab den Blick auf unser neues Zuhause frei. Die Tür wurde von außen geöffnet und jetzt wurde mir wirklich kalt. Diese Provinz war doch etwas garstiger, als angenommen. Fast hatte ich ein schlechtes Gewissen, Narcissus überredet zu haben, mit uns zu kommen. Andererseits, er verdiente bei uns gut und wenn das Haus wirklich so war, wie es bestellt worden war, würde er fürstlicher leben als je zuvor. Da hielt sich das Gewissen dann gleich wieder in grenzen.
“Sind wir da?“ fragte ich trotzdem auch mal meine Mutter und Opa, die sicher genauso gespannt waren wie ich, ob dieser windige Verkäufer nun wirklich Wort gehalten hatte. Da er aber von uns noch einen riesigen Batzen Geld bekam, nahm ich es doch an.
Ein neues Leben.
Nun. Ein neues neues Leben wohl eher, denn schon zum zweiten Mal hatte er alles umgekrempelt. Das erste Mal war gewesen, als ihm jemand, den er bestohlen hatte, ihm geraten hatte, aus seinem hübschen Gesicht Kapital zu schlagen. Zuerst war er zu stolz gewesen. Sich verkaufen an alte eklige Kerle? Niemals!
Aber irgendwann war der Groschen gefallen. Diebe wurden nicht alt. Und er würde nicht ewig so nett aussehen. Also hatte er neu angefangen.
Der zweite Neuanfang fand genau jetzt statt. Der inzwischen umbenannte junge Mann lehnte mit angewinkeltem Bein auf der Kutschbank und hatte einen Arm um die hübsche Frau an seiner Seite gelegt. Auf der anderen Hand ruhte sein eigener Kopf, der aus dem Fenster sah. Diesen gelangweilten Gesichtsausdruck hatte er ständig.
Narcissus – passend zum Namen – kam meist rüber wie ein arroganter kleiner Prinz, besonders wenn er sich über die Provinz beschwerte. Ein wenig war er in seiner Rolle wohl versunken, aber immer noch aufmerksamer, als man es einem wie ihm zutraute. Und als Mann für gewisse Stunden musste man das auch sein. Das Leben als amüsante Gesellschaft konnte politischer werden, als man denkt.

„Armes Prinzesschen“, schnurrte er und fuhr der verehrungswürdigen Aglaia, seiner Herrin, seiner Muse, seiner Geliebten, über die Schulter, als er ihren glühenden Blick einfing. Sie verstanden ohne Worte und sein eigener Blick versprach ihr eine Macht, die ihr die Kälte schon aus den Knochen trieb. Manchmal fragte er sich, warum er sich zu dieser Reise hatte überreden lassen. Aber bei diesem Gesicht hatte er wirklich nie eine Chance gehabt. Zudem hatte er in ihrem Haus immer gut verdient. So gut, dass er bisher jede Chance auf einen „Exklusivkunden mit besonderen Zuwendungen“ (heute nennt man so etwas Sugardaddy) ausgeschlagen hatte. Und vielleicht auch ein wenig aus empfundener Schuld, immerhin hatten sie und ihre Mutter ihm… so ziemlich alles beigebracht. Außer seinen flinken Fingerübungen natürlich, da machte ihm keiner was vor.
Natürlich schmeichelte ihm die anschmiegsame Art von Aglaia. Man mochte geneigt sein, ihn für sonst was zu halten, wo er doch auch (wenn auch nicht nur) mit Männern schlief. Aber zumindest für sie war er noch ein echter Kerl. Zumindest Manns genug, um nicht zum ersten Mal in sein Lager zu steigen.
„Hm, ganz nette Häuser hier. Wenns nicht so kalt wär, würd ich sagen, wir sind in der Vorstadt“, spottete er, als er auch schon das Haus ins Auge bekam, welches die Familie von Rom aus in Auftrag gegeben hatte.
„Oh verfickt nochmal, ist es das?“
Endlich schaukelte der Wagen langsamer über die matschigen Straßen dieses von den Göttern verlassenen Kaffs. Wie eine Kleinstadt oder Zivilisation sah das eigentlich nicht aus und ich vermisste bereits die Subura, die Gassen voller Leben und die Annehmlichkeiten einer zivilisierten Existenz. Iscalis kam mir dagegen vor wie ein Kuhdorf, aber allein die Aussicht auf ein Bad und ein ordentliches Bett hielten mich vor weiteren verdrießlichen Gedanken ab. 

Mein Vater nickte immer wieder ein und wenn er nicht schnarchte, sabberte er mir auf die Schulter oder lehnte sich auf mich und ich musste ihn wieder wegschieben, damit er gegen die Wand des Wagens lehnte, während Aglaia und Narcissus wie rollige Katzen herumschnurrten oder genervt über die Provinz herzogen. Ich konnte es kaum erwarten, diesem engen Gefängnis auf vier Rädern zu entkommen. Wäre ich nur lieber nachgekommen und dann hätten wir uns nicht zu viert hier reinquetschen müssen. 

Im Wagen hinter uns befanden sich unsere vier Mitarbeiter, die sich unserer Expedition in neue Märkte und ein neues Leben angeschlossen hatten. Die meisten waren in Rom geblieben, aber einige waren uns teils aus Loyalität und teils aus Abenteuerlust nach Britannia gefolgt. Wahrscheinlich bereuten sie die Reise bereits so sehr wie Vater, Aglaia, Narcissus und ich. Im letzten Wagen dahinter befanden sich unsere Kleidertruhen, kleinere Möbelstücke und der Rest vom Gepäck. 

Narcissus' eloquenter Ausspruch weckte Vater endgültig auf und der Wagen war endlich stehen geblieben. Nach einem kurzen Blick in die Gesichter der anderen Insassen des Wagens, drückten wir uns alle fast gleichzeitig in Richtung Tür und jeder wollte als Erster draußen sein. Allerdings waren Aglaia und Narcissus definitiv schneller, also hielt ich mich zähneknirschend zurück und wartete bis die beiden rausgeklettert waren, damit ich dann Vater beim Aussteigen helfen konnte.

Nachdem ich auch erst einmal rausgeklettert war, musste ich erst einmal meinen Mantel enger ziehen. Hier war es doch kälter als ich dachte und ich machte mir eine mentale Notiz, dass wir viel Heizmaterial benötigen würden. Auch Wagen Nummer zwei und drei hielten vor unserem neuen Haus an und gemeinsam begannen wir die Kisten abzuladen. Da wir keine Sklaven besaßen, musste jeder mit anpacken und die Fahrer der Mietwagen mussten noch entlohnt werden. Wir sollten definitiv in einen eigenen Wagen investieren über kurz oder lang.
“Ich glaube schon“, quietschte ich vergnügt und drängte mich zur Tür zusammen mit allen anderen. Draußen angekommen stand ich einen Moment nur aufgeregt herum und schaute, als meine Mutter auch schon anfing, Anweisungen zum Abladen zu erteilen. Musste sie denn immer so unglaublich praktisch sein? Konnten wir nicht einen Moment genießen?

Ich ging schon einen Schritt zu einem der nachfolgenden Wagen, als ich es mir anders überlegte und Narcissus kurzerhand am Arm zog. Ich sah schon die strafenden Blicke hinter mir, aber das war mir egal. “Ich will nur kurz gucken, wir sind gleich wieder da!“ rief ich meiner Mutter und Opa zu, während ich Narcissus auch schon sehr bestimmt mit mir zum Eingang des Hauses zog und die wirklich schwere Eichentür öffnete. Ja, wir hatten auf eine stabile Tür bestanden, aus Erfahrung brauchte ein Lupanar sowas, aber trotzdem musste ich halbe Portion mich ordentlich nun dagegen stemmen, um hineinzukommen. Aber es war die Sache sowas von wert.
Drinnen kam erst ein kleines Vestibül, wie es sich gehörte und welchem ich nicht nähere Aufmerksamkeit schenkte, und dann ein riesiges Atrium! Ich quietschte gleich nochmal laut und vergnügt, so dass es in dem leeren Raum hallte. Ein richtiges Freudentänzchen führte ich auf, ehe ich Narcissus um den Hals fiel. “Wie findest du’s? Es ist toll, oder?“
Ich war so aufgeregt, ich hielt es nicht einmal in seinen Armen lange aus, ehe ich mich wieder herumdrehen musste, um alles anzusehen. Es war noch kalt, weil natürlich noch niemand geheizt hatte. Der Heizraum war irgendwo weiter hinten, wenn ich die Pläne im Kopf hatte, beim Bad. Nein, falsch, bei den beiden Bädern, die mir versprochen worden waren, eins für’s geschäftliche und das Vergnügen, und eins nur für mich. Gut, für die anderen auch, aber nicht für Kunden.
“Hier hängen wir dann noch schöne Seide auf, und hier kommt eine große Feuerschale hin. Oh, und dort drüben ein paar Liegen. Was meinst du? Kannst du es dir vorstellen?“ Ich hüpfte schon wieder vor Aufregung. Meine Mutter würde wahrscheinlich schimpfen, dass ich mich nicht wie ein Kind aufführen sollte, aber grade freute ich mich wie ein kleines Kind. Es waren ja auch keine Kunden in der Nähe, also konnte ich auch ganz ich sein. Ich musste niemanden beeindrucken und niemanden verführen. Zumindest hoffte ich, dass ich Narcissus nicht mehr verführen musste, sondern ihn schon längst verführt hatte. Sicherheitshalber wendete ich mich doch nochmal ihm zu, fiel ihm um den Hals und gab ihm einen feurigen Kuss. “Ich kann’s kaum erwarten, wenn es fertig ist. Und ich will mit dir jeden einzelnen Raum ausprobieren“ schnurrte ich ihm entgegen und hoffte, dass es ihm wenigstens ein bisschen so ging wie mir.
Er hatte so gut geschlafen, das hin und her wackeln des Wagen hatte ihn in den Schlaf gewiegt. Er hatte auch so schön geträumt, man hatte ihm zugejubelt und süße Trauben in dem Mund geschoben. Sanfte Hände strichen liebevoll über seine Brust, weiter über seine Lenden und noch tiefer, er schnurrte wie ein Kater und leckte sich über die Lippen. Die Mädchen um ihn herum waren verboten schön und liebreizend und vor allem lasen sie ihm jeden Wunsch von den Lippen ab. Es war der Himmel auf Erden, nein der Olymp und er war Vater Zeus und er stand über allem.
Seine Hera aber neben ihm rempelte ihn ständig gegen eine wackelnde Wand und jetzt ließ sie sogar noch Boreas auf ihn los. Der scharfe, kalte Wind der ihn aus seinen süßen Träumen riss holt Zacharias wieder ins hier und jetzt.
Sie waren aus Rom geflüchtet, ja anders konnte man das gar nicht nennen. Sein geliebtes Rom. Warm und sonnig, süss und vor allem so vertraut. Da hatte er sich nie verlaufen.
Verlaufen!!, er und sich verlaufen. Er war der geborene Pfadfinder, immer wusste er genau wo er war und vor allem wo die anderen waren.
Was bildete sich seine Tochter nur ein im ständig am Gängelband führen zu wollen, als ob er schon alt und gebrechlich wäre…Kinder eben.
Als alle aus der Kutsche gestiegen waren bequemte er sich auch dazu. In seiner ganzen Größe baute er sich in der Tür der Kutsche auf und sah sich herausfordernd um. Es fehlte nur noch das er eine Hand hob und den Leuten auf der Straße huldvoll zuwinkt.
Zachi, wie ihn seine Freunde nannten, fand das alles hier dunkel, schmutzig und vor allem unter seiner Würde.
„In diesem Hühnerstall sollen wir leben? Olympia!“ fest und arrogant war seine Stimme über die ganze Straße zu hören und er sah seine Tochter streng an „hier bekommen mich keine zehn Pferde rein, nein niemals.“ Erließ sich einfach auf den Sitz hinter sich wieder fallen.
Warum waren sie nochmal weg aus Rom?

Doch nach einem Augenblick stieg er aus, ignorierte die helfende Hand seiner Tochter und ging mit stolz erhoben Haupt voran.
„Sorgt dafür das alles ausgepackt wird, sagt dem Verwalter ich will ihn sprechen und jemand soll mir meinen Wein in mein neues Arbeitszimmer bringen.“
Er drehte sich zu Olympias um und sah sie fast schon strafend an „Was ist los Mädchen, was stehst du noch hier rum. Husch husch ins Haus, nicht das es noch Gerede gibt weil ich meine Frauen auf der Strasse von allen begaffen lasse. Wie siehst du wieder aus, zieh dir was über die Haare du siehst aus wie ….ach lassen wir das.“ Er drehte sich um und stolzierte in das neue Zuhause der Familie Licinia und er war das Oberhaupt dieser ehrenwerten Familie.
Seine geliebte Aglaia hatte ihn schon lange an dem Punkt, an dem er ihr aus der Hand fraß, das wussten sie beide. Wenn sie sich besonders viel Mühe gab, wurde er wieder zum liebeskranken Trottel, doch die meiste Zeit hatte ihre Beziehung ein relativ gesundes Maß. Sie waren mehr Freunde als ein Paar, wenngleich sie kaum die Finger voneinander lassen konnten. Gut, dass Eifersucht kein Ding zwischen ihnen war. Das hätte den Job doch etwas arg belastet. Aber vielleicht fühlte er auch nur selbst so. Und selbst das wäre okay gewesen. Hach und wie.

Und so beobachtete Narcissus die junge Frau mit verschränkten Armen und einem schiefen Lächeln, während sie durch das Atrium hüpfte und sich dabei all die Aufmachung vorstellte, welche dieser Raum bekommen sollte. Und auch, wenn er es sich gut vorstellen konnte, hatte der junge Mann im Moment nur Augen für sie, in ihrer ehrlichen kindlichen Faszination für das neue Heim. Sie sah wirklich das Positive an ihrer Reise hierher. Nun… war vielleicht besser, als deswegen herumzuheulen.
Für seine Geduld wurde Narcissus auch belohnt, denn der Kuss, den sie ihm gab, war eindeutig der beste, den er je gehabt hatte. Aber das war nichts Neues. Jeder Kuss zwischen ihnen war der beste, den er je gehabt hatte. Hungrig wurde er erwidert und seine Hände legten sich an ihre Seiten.
„Aber wir sollten warten, bis sie ausgestattet sind“, schmunzelte er, als sie sich voneinander lösten. „Sonst frieren wir uns dabei den Arsch ab. Und ich bin nicht sicher, ob wir das Zimmer vom Alten einweihen müssen, oder?“
Ich schmiegte mich an seinen Körper, der genau an den richtigen Stellen hart und genau an den richtigen Stellen sanft war. Wären er und ich nicht er und ich, sondern ehrbare Leute mit einem weniger exklusiven Job, wahrscheinlich hätte ich ihn schon lange geheiratet und ein dutzend Kinder mit ihm. Aber ich war eine Hetäre (das Wort Lupa mochte ich gar nicht, das klang so gewöhnlich, und Meretrix klang viel zu fachmännisch) und er der vielleicht beste Exoletus von Roma. Nunja, nun ganz sicher der beste Exoletus Britannias. Und solche Leute wie wir hatten keine ehrbaren Ehen und hofften, möglichst keine Kinder zu haben, die ja doch wieder nur dasselbe werden würden, wie wir. Nicht, dass das was schlechtes wäre. Aber es war eben nicht das, was normale Leute machten.
Doch ich liebte ihn so herrlich verdorben und nicht der Norm entsprechend, und manchmal glaubte ich, dass er mich auch liebte. Nicht auf diese Regenbögen-und-Blümchen-Art, aber ich wäre durchaus sehr traurig gewesen, wenn er nicht mitgekommen wäre. Er war der einzige Mann, bei dem ich ich sein konnte. Der einzige Mann, dem ich vertraute, auch wenn das wahrscheinlich mein größter Fehler war. Aber er war auch der einzige, dem ich im Bett nichts vorspielte. Anfangs ja, als er noch hatte lernen müssen, als er so vieles noch nicht gekannt und gewusst hatte. Aber inzwischen wusste er sehr genau, wie er mich berühren und küssen musste, um mich zu beglücken. Und er tat es gerade schon wieder.
“Ich weiß nicht, ob ich so lange warten kann, Narcissus“, schnurrte mich und löste mich mit einem letzten aufreizenden Seufzen dann von ihm los und grinste ihn frech an. “Und gut, Opas Zimmer können wir auslassen. Und den Heizraum vielleicht auch. Aber beim Rest gehörst du irgendwann mir."

Ich sah mich noch einmal um und grinste wie verrückt. Oh, ich konnte kaum erwarten, es in all seiner Herrlichkeit zu sehen. “Wir müssen dann unbedingt Werbung machen, wenn alles fertig wird. Was denkst du, können wir hier eine Party schmeißen?“
Ich machte mich wieder auf den Weg Richtung draußen, ehe Mutter und Opa noch meckerten. “Und hilfst du mir, mein Bett reinzutragen?“ fügte ich noch vielsagend hinzu. Denn ja, das sollte vor heute Nacht stehen, denn das würde heute Nacht wohl einiges aushalten müssen, wenn es nach mir ginge.
Narcissus musste lachen.
"Du bist wahrlich noch schlimmer als ich", grinste er und gab ihr doch im Stillen recht. Sie hatten sich schon viel zu lange zurückhalten müssen. Er machte diesen Job schließlich nicht, weil ihn die Frauen, Männer oder Sex im Allgemeinen so sehr abstießen. Bei Olympias wäre es noch was anderes gewesen, aber wenn der alte dabei war, törnte das doch irgendwie ab.
Er hätte den zeternden Knochensack ja auch in Rom gelassen. Warum sich der Senior einbildete, Ahnung von ihrem Gewerbe zu haben, verstand Narcissus nicht wirklich. Für ihn hatte Olympias den Laden im Griff. Aber so waren Familien nunmal. Eine ständige Belastung.
"Das mit der Werbung, das kriegen wir schon hin. Die Leute müssen dich nur sehen und rennen uns scharenweise die Bude ein, so geblendet werden sie von deiner Schönheit sein. Und du weißt, ich trage dir auch allein alles rein."
Ja, das Versprechen - oder eher die Forderung der Schönen, ließ Narcissus gleich springen. Er hatte durchaus seinen eigenen Kopf und war bekannt dafür, jede Menge Ärger machen zu können, aber was sollte er sagen? Die Frau war eben die Chefin.
"Sollen wir mal den anderen helfen? Desto eher ist hier alles fertig. Ich bin einfach nur froh, heute Abend in einem Bett schlafen zu können, das kannst du mir glauben."
Die Erkundung ihrer neuen Heimat konnte für seinen Geschmack bis morgen warten.
Wie immer ignorierte der alte Esel meine helfende Hand und das Fräulein Tochter und Narcissus waren schneller weg als ich bis drei zählen konnte, damit natürlich wie immer alles an mir hängen blieb. Ich verkniff es mir die Augen zu verdrehen und zog mir meinen Mantel wieder über den Kopf. "Wie mein Vater befiehlt. Ich kümmere mich natürlich um alles, sei gewiss. Ich schicke dir gleich Emma, damit du dich vom Komfort einer Liege aus den wichtigen Angelegenheiten widmen kannst." 

Die Worte waren unterwürfig, aber der Ton ließ keinen Zweifel an der Genervtheit. Hoffentlich würden sich Aglaia und Narcissus auch noch dazu bequemen mir beim Abladen und Koordinieren zu helfen. Hier musste jeder sein eigenes Zeug schleppen ohne Ausnahme. Die Fahrer der Wagen waren so freundlich und halfen vor allem Fenya und Kiki, den beiden anderen Amüsierdamen unseres Betriebes, nur damit sie diesen noch ein wenig länger auf den Hintern gaffen konnten. Nachdem Vater endlich ins Haus verschwunden war, konnte ich die Fahrer entlohnen und schnappte mir dann auch einen Griff meiner Kleidertruhe, während Egon die andere Seite packte und wir diese zusammen reintragen konnten.
Ich gab Narcissus noch einen letzten, leidenschaftlichen Kuss, ehe ich mit ihm wieder hinaus ging. Die meisten Kisten waren schon abgeladen, auch wenn die beiden Kutscher sich damit auffällig viel Zeit ließen und wahnsinnig viel mit Kiki und Fenya redeten. Tja, liebe Herren, wir waren noch nicht hier angemeldet und hatten noch keine Münzen, da würden die beiden wahrscheinlich Pech haben. Abgesehen davon, dass wir wahrscheinlich sowieso zu teuer wären. Aber das musste man ihnen ja jetzt nicht sagen.

Ich zog Narcissus leicht hinter mir her und grinste wie eine verliebte Idiotin vor mich hin. Aber vielleicht war ich auch genau das, eine verliebte Idiotin wie all die anderen Mädchen, die ja durchaus auch zu uns kamen, um in seinen Armen zu liegen. Er hatte aber auch diese Art an sich, die mich so fühlen ließ, und eben da wir gerade noch nicht angemeldet waren und daher das hier alles Privatvergnügen war, erlaubte ich mir, das heute auch mal zu zeigen.
Naja, ungefähr so lange, bis ich meine Mutter sah, die da sicher weniger begeistert war als ich. Ich glaubte nicht, dass sie was gegen Narcissus hatte, immerhin hatte sie ihn ja auch damals angelernt, genauso wie ich, und er gehörte ganz zweifelsfrei zu unserer Familie dazu. Nur war sowas halt nicht unbedingt gut fürs Geschäft, wenn Kunden dachten, sie müssten mit einem wie ihm konkurrieren, weshalb ich solche Gefühlswallungen üblicherweise erst nach Ladenschluss zeigte. Ich lächelte also etwas weniger anhimmelnd und gab ihr im Vorbeihuschen einen kleinen Kuss auf die Wange, ehe ich mir brav meine Sachen schnappte – und dann Narcissus doch wieder mit großen Mädchenaugen ansah. “Welches Bett wollen wir zuerst reintragen?“ fragte ich, denn ja, wir alle wollten wohl heute Nacht endlich wieder in unseren eigenen Betten schlafen – naja, oder zumindest in einem von unseren Betten.