RE: Cubiculum | Manius Claudius Menecrates
In jedem Fall von angebrachter Kritik achtete Menecrates sehr darauf, wie sein Gegenüber darauf regierte, denn seine Entscheidungen waren nie vorgefasst. Einsicht wirkte sich positiv aus und eine Entschuldigung sowieso, während der Claudier regelrecht allergisch auf Rechtfertigungen des jeweils kritisierten Verhaltens reagierte. Ob Linos nun aus der Erfahrung heraus mit Einsicht reagierte, oder ob das Verhalten in seinem Charakter begründet lag, spielte keine Rolle. Er zeigte Einsicht, was die Situation nicht verschärfte.
Die Brauen noch immer zusammengezogen, hörte sich Menecrates die weiteren Ausführungen an. Als die Sprache auf die empfundene Missgunst über einen Brief von weiblicher Hand kam, glättete sich die Stirn des Claudiers, aber nicht, weil er Neid als zu entschuldigendes Motiv ansah, sondern weil es ihn verblüffte. Einem Moment später fing er schallend zu lachen an, hörte abrupt auf, schaute entgeistert Linos an, um erneut zu lachen, aber kurz darauf die Stirn zu runzeln und mehrfach den Kopf zu schütteln. Dann stutzte er.
"Ach, Moment!", rief er, während er den Arm hob und den Zeigefinger abspreizte. "Jetzt dachte ich doch im ersten Moment, du traust mir keine Liebschaft mehr zu, aber so ist es ja nicht. Du dachtest, ich bekomme Liebespost und warst neidisch." Mit dem Resümee gestand er sich den Irrtum ein, der ihn zum Lachen bewogen hatte, was ihn aus dem Konzept brachte und nicht mehr in den ursprünglichen Zustand der Verärgerung kommen ließ.
"Ja, ja", erwiderte er daher in künstlich aufgebautem, ärgerlichen Tonfall, als Linos erklärte, er würde niemals wagen, eine Frau der Familie von sich aus zu berühren. Das gleichzeitige Abwinken relativierte den Tonfall, denn dergleichen Übergriffen würde er Linos auch nicht zutrauen.
Eine Strafe für das ungebührliche Verhalten musste trotzdem her, aber unmittelbar fiel dem Claudier keine ein, zumal ein Klopfen die Überlegungen störte. Menecrates drehte das Ohr Richtung Tür und konzentrierte sich auf die Mitteilung, was seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, weil das Türblatt die Lautstärke schluckte.
"Die Abreibung folgt später", kündigte Menecrates an, indem er Linos streng anblickte. “Her mit dem Brief und hilf der Sklavin.“ Serena als Türdienst kam nicht in Frage. Im Augenblick musste alle Sklaven die unterschiedlichsten Dienste verrichten, so auch Phoebe. Menecrates hielt die Hand auf und erwartete die Übergabe des Briefes, während er gedanklich bereits bei Sabina weilte. Gleichzeitig grübelte er darüber nach, ob wohl wirklich jemand annahm, er könne in seinem Alter keine Liebschaft mehr beginnen.
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