RE: [In der Nähe der Casa Liciniana] Die Lieblinge der Götter sterben früh.
Sie wollte Nimue sehen. Ich grinste schief und zuckte mit den Schultern. “Warum nicht?“ Es war einfach nur ein Huhn wie dutzende andere, was auch immer es da zu gucken gab. Ich holte den Korb nach vorne und stellte ihn vor mir ab und ging in die Hocke. Das Pferdezaumzeug, das oben alles zusammenhielt, war mit ein, zwei Handgriffen gelöst und der Korb öffnete sich noch etwas mehr. Ich schaute auf Nimue und warnte mit erhobenem Zeigefinger. “Wehe, du pickst!“ warnte ich und griff mit beiden Händen schnell hinein, damit ich ihre Flügel gut erwischte und sie nicht flatterte. Mit ein paar Handgriffen war Nimue befreit und unter meinen rechten Arm so eingeklemmt, dass ein Flügel von meinem Körper, der andere von meinem Arm gehalten wurde und sie bequem auf meinem Unterarm zum Sitzen kam. Hühner konnten zwar nicht fliegen, was sie aber nicht davon abhielt, aufgeregt zu flattern, wenn sie flüchten wollten. Solange die Flügel ruhig gehalten wurden, war auch das Huhn ruhig.
Mit der freien Hand sammelte ich eben schnell wieder Zaumzeug und Korb so ein, dass ich es mir wieder über die andere Schulter werfen konnte und stand auf. “So, Nimue, zeig dich von deiner schönsten Seite“, meinte ich zu dem Huhn. Das Gefieder war Schwarzweiß, es sah fast ein wenig gestreift dadurch aus. Kopf und Kamm waren rot, und alles in allem war Nimue ziemlich flauschig.
Siofra taute auch ein wenig auf und fing an zu erzählen. Ich hatte zwar keine Ahnung, was sie mit Sünde meinte oder einer reinen Seele, weil sowas bei uns Kelten nicht wirklich eine Rolle spielte. Alle Wesen waren gut und böse, Licht und Schatten, von der kleinsten Mücke bis hin zu den Tuatha de Dannan. Aber ich schloss einfach, dass sie ausdrücken wollte, dass ihre Mutter nett gewesen war.
Ihr Vater war also einfach nur ein Säufer. Wie sie dann darauf kam, dass er im roten Mond wäre, wusste ich nicht. “Ich denke nicht, dass du deinen Vater im roten Mond finden wirst. Ich versteh jetzt nicht so viel von den römischen Dingen, aber das ist eines ihrer feineren Bordelle und da lassen sie sicher keinen Kelten rein. Und selbst wenn, würden sie dich da nicht reinlassen, weil du kein schnöseliger Römer mit viel Geld bist.“
Ich wollte ihr ja nicht alle Hoffnung nehmen, aber wenn ihr Vater so war, wie sie beschrieben hatte, dann würden die Römer ihm da die Tür von der Nase zuschlagen. Es gab einige Bordelle in der Stadt, und bei längst nicht allen durften auch Kelten rein. Selbst die nüchternen, sauberen und zahlenden nicht immer. Nicht, dass ich da hätte reingehen wollen oder in ein anderes. Ich hatte da sehr wenig Verlangen danach. Aber man hörte halt so einiges von anderen. Und Schänken gab es noch mehr und die Tavernenmädchen waren auch nichts anderes als Prostituierte, die sich jeder kurz ausleihen konnte, um den Druck loszuwerden.
“Hat er denn eine Lieblingsschenke oder sowas?“ Das wäre viel eher ein Anhaltspunkt als ein römischer Edelpuff.
Falke
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