Ich legte den Kopf in die andere Richtung und dachte über ihre frage nach. War ich kein Freund von Louarn? Dieses Prinzip der Freundschaft war eines von diesen menschlichen Konstrukten, die ich nie so ganz erfassen hatte können. Es teilte Menschen meiner Meinung nach zu sehr in Gruppen ein und meiner Erfahrung nach bedeutete Freundschaft meistens nicht mehr, als dass jemand nützlich für jemanden war. Unter dem Gesichtspunkt war Louarn vermutlich mein Freund, denn er war mir durchaus nützlich. Manchmal zumindest, wenn es roher Muskelkraft bedurfte.
“Wir wuchsen gemeinsam auf und ich kenne ihn besser, als er sich selbst“, fiel also meine Antwort aus. Er bezeichnete mich mitunter als seinen Bruder, aber mein einziger Bruder war gerade weit entfernt im Norden. Der Rest der Falken war mehr sowas wie nützliche Gelegenheitsbekanntschaften. Und ich verstand auch nicht, warum ich sie als Brüder ansehen sollte, nur weil wir zufällig alle von Cathbad eingesammelt worden waren.
Und sie wollte einen Namen. Warum nur wollten alle einen Namen wissen? Ich fand das lästig. Also sagte ich ihr den, den ich den nervigsten der Dorfbewohner auch genannt hatte und
der mir schon in dieser Gegend Dienste geleistet hatte. Und man sollte nicht den Fehler begehen, in einer Gegend mehrere Namen anzunehmen, wenn man dort länger blieb. Das führte früher oder später zu Verwicklungen. Also sagte ich einfach nur:
“Pally“ und hoffte, dass sie damit Ruhe geben würde.
Und schließlich ruderte sie doch noch zurück, ging vom Tisch weg und gab sich etwas kleinlauter. Ich fragte mich zwar, wofür genau sie sich entschuldigte, denn es war überhaupt nichts passiert. Sie hatte nichts gestohlen oder mich angegriffen, und was sie sagte, kümmerte mich herzlich wenig. Aber auch das war so etwas, was andere Menschen wohl einfach so machen, auch wenn es keine objektiven gründe dafür gab. Ich bezweifelte, dass ich Menschen da je verstehen würde. Sie waren so schrecklich unlogisch und wechselhaft.
“Wenn es nur wirken würde, dass die Leute Angst hätten und mich in Ruhe ließen...“, meinte ich nur. Nein, die Leute hatten keine Angst vor mir. Sie
sahen nicht. Nichtmal dann, wenn man sie mit der Nase darauf stieß. Sie öffneten erst dann ihre Augen vor der Wahrheit, wenn ihr kleines, erbärmliches Leben im Begriff war, zu enden, und all die kleinen Lügen und Blindheit ihnen nichts mehr nützten.
Sie ging an mir vorbei, und ich wollte mir eigentlich gerne vorstellen, wie ich die Wahrheit in diese Augen zaubern konnte, aber es ging einfach nicht. Der verdammte Zauber hinderte die Bilder daran, hervorzukommen.
“Welches Kraut brauchst du?“ fragte ich nur nach. In den Körben war nichts, aber ich selbst hatte einen reichen Vorrat an Kräutern, von denen einige auch für so unwichtige Dinge wie Kochen verwendet werden konnten.
“Und in irgendeinem dieser Körbe ist Korn. Das Mehl daraus musst du mahlen.“ Warum sollte auch jemand gemahlenes Mehl zu mir bringen? Entweder, man verbackte es gleich, oder man ließ die Körner ganz, damit sie länger hielten. Oder man machte es wie ich, sparte sich die Arbeit und warf die Körner einfach ins Wasser und kochte sie so lange, bis sie weich genug zum Essen waren.
Bevor sie loswuselte, um es zu suchen, fiel mein Blick noch einmal auf die Schleife.
“Und kommst du vielleicht an die Schleife da oben dran? Löse doch bitte das Band. Ich schenke es dir.“ Menschen waren dumm und hinterfragten Geschenke nicht, solange sie hübsch waren. Ich wollte das Ding los sein, damit es mich nicht länger blockierte. Nur wollte ich nicht derjenige sein, der den Zauber brach. Ich könnte es vielleicht, ohne dass er auf mich zurückfiel, aber warum es riskieren, wenn man es auf jemanden abwälzen konnte, der keinerlei Ahnung von Magie oder gar vom tiefen Zauber der Welt hatte?