Der letzte Satz hatte wie ein Vorbote des Unheils geklungen. Als hätte Corvus schon mit dem gerechnet, was jetzt passierte. Ohne Widerstand hatte er sich festsetzen lassen. Ausdrücklich stand er unter keiner Anklage, er sollte aber auch nicht die Gelegenheit haben, wieder zu verschwinden so wie in den letzten beiden Monaten.
Saturninus war ganz und gar nicht glücklich über das, was gerade geschah. Er selbst hatte Tarutius Corvus angestellt, er hatte ihn gefördert , er hatte ihn, den stets höflichen, umsichtigen jungen Mitarbeiter von ganzem Herzen geschätzt und seine Kenntnisse von Land und Leuten bewundert. Nun lag aber etwas im Argen. Saturninus Gedanken gingen bisher jedoch eher in Richtung persönlichen Fehlverhaltens: Einer Affaire, die geheim bleiben musste, ein Zugriff in die Provinzialkasse, Hochstapelei. Im schlimmsten Fall Anhänger eines verbotenen Kultes wie dem der Christianer. Allerdings gab es von ihnen, so weit Saturninus wusste, noch keinen in dieser nordwestlichen Provinz.
Der Princeps Officii ordnete an, dass alle Geldein- und Ausgänge, mit denen das Officium von Philus, dem Corvus unterstanden hatte, zu tun gehabt hatte, noch einmal streng kontrolliert wurden, um sicher zu gehen. Dann rief er den Kaeso Quintianus Valentinus zu sich.
Mittlerweile hatte sich das Ereignis in der Provinzialverwaltung umhergesprochen. Je nach Temperament war man bekümmert, das waren die Meisten. Einige wenige waren aber neidisch gewesen. Die nickten nun und meinten: "Ich habe doch gleich geahnt, dass da was nicht stimmt"
Einige Ängstliche sagten, dass sie Corvus, der mit ihnen allen in die Thermen gegangen und ab und zu etwas getrunken hatte, in Wirklichkeit gar nicht kannten.
Saturninus hatte Valentinus ausgewählt, weil der stets zufrieden und nicht neidisch oder ängstlich war. Er war der Welt gegenüber wohlwollend, und Corvus konnte jedes Wohlwollen brauchen, das er kriegen konnte. Jetzt sah Valentinus bedrückt aus und wagte kaum, Saturninus anzusehen.
" Salve Valentinus. Dir ist die Arrestierung von Tarutius Corvus schon zu Ohren gekommen, da brauche ich nicht zu fragen, deine Miene spricht Bände. Irgendetwas stimmt da nicht. Er war zwei Monate verschwunden, als hätte ihn der britannische Nebel verschluckt. Und weißt du, was er gesagt hat, als Philus ihn festsetzte?
- Erwischt. Aber ich verstehe, ihr tut, was ihr tun müsst -
Es klang, als hätte er wissentlich ein Verbrechen begangen. Es klang fatalistisch. Ich frage mich, ob wir unsere Hand einem völlig Fremden gereicht haben?
Mir fällt jetzt erst auf, dass wir rein gar nichts über ihn wissen. Er scheint gar keine Familienbande zu haben. Es ist, als wäre er buchstäblich aus dem britannischen Nebel aufgetaucht und hat dann die Anstellung in Merulas Haus gefunden.
Das er Geld unterschlagen hat, glaube ich nicht, sonst hätte ihm der Excenturio keine solche Empfehlung geschrieben. Mit ihm werde ich auch noch einmal reden müssen.
Fangen wir jedoch von vorne an. Ich möchte nichts vernachlässigt wissen, was zu Corvus Gunsten spricht. Er ist in Calleva Atrebatum geboren und hat dort zumindest als Kind gelebt. Seine leiblichen Eltern sind schon länger tot.
Aber es muss jemanden geben, der sich an die dort ansässigen Tarutier erinnert. Was waren das für Leute?
Ich möchte, dass du dich in Begleitung von zwei Amtsdienern nach Calleva begibst. Ziehe Erkundigungen ein. Und bitte auch um Amtshilfe im Rathaus, dort bewahren sie seine Unterlagen auf"
Valentinus verlor seinen schmerzvollen Ausdruck auf seinem Gesicht nicht. Disharmonie tat ihm beinahe physisch weh: "Das werde ich tun, Princeps Officii", sagte er sofort.
Er würde in etwa zehn Tagen wieder zurück sein.
Saturninus verschränkte die Arme und sah, als Valentinus gegangen war, von der Fensterseite des Officiums noch lange in das Gartenperistyl. Ganz im Gegensatz zu seiner eigenen Stimmung war der Himmel über der Stadt ruhig und blau, und ein belebender Wind wirbelte welke Blätter von den Bäumen auf den Rasen.