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Beim alten Hügelgrab - ein Samhain-Nachttraum
01-05-2025, 05:08 PM,
Beitrag #21
RE: Beim alten Hügelgrab - ein Samhain-Nachttraum
Als der Römer seinen Kopf hob, bemerkte ich, dass eines seiner Augen ganz zugeschwollen war, was ihn jedoch nicht daran hinderte, mir mit trotziger Haltung entgegenzutreten. Sein Blick war scharf und herausfordernd, was schon ein wenig lächerlich wirkte, da er gänzlich nackt, verdreckt, lädiert und in Ketten gelegt vor mir stand. Doch irgendetwas an ihm zog mich in seinen Bann, obwohl sein recht ansehnlicher Körper von den Zeichen des Kampfes und der Gefangenschaft gezeichnet war. Vielleicht war es die Art, wie er sich hielt, wie er meinen Blick erwiderte, ohne Furcht, als sei er immer noch Herr seines eigenen Schicksals.

Er sprach in der Sprache der Römer, die trotz seiner offensichtlichen Schmerzen ungebrochen klang. Gwen übersetzte mir seine Worte, und ich musste unwillkürlich lächeln. "Tiberis Furus Saturnus“, versuchte ich leise, die fremden unaussprechlichen Silben zu widerholen. Ein sperriger Name, so hart wie sein Blick und so fremd wie das Volk, dem er entstammte.
Doch es war sein Tonfall, der mich am meisten reizte – der spöttische Klang in seiner Stimme, als er mich  'regina' nannte - was Königin bedeutete, wie mir Gwen erklärt hatte - als sei dieses Wort unter seiner Würde. Er mochte ein stolzer Mann sein, dachte ich, aber er war dennoch nur ein Gefangener. Ein Sklave, der sich für etwas Besseres hielt. Die Römer mit ihren Städten und ihrem prahlerischen Stolz hatten lange genug die Welt beherrscht. Nun stand einer von ihnen vor mir – besiegt, nackt und in Ketten. Doch statt Demut zu zeigen, blitzte der Hochmut dieses Mannes immer noch wie ein Schwert in seinen Augen.

"Tiba… ahhh!", versuchte ich erneut, seinen Namen auszusprechen, aber gab es dann entnervt auf. "Du trägst einen Namen, der nicht zu meiner Zunge passt. Ich werde dich Suibhne nennen. Fortan sollst du so gerufen werden: S-U-V-N-E!" Der Name war mir plötzlich in den Sinn gekommen. Er bedeutete 'wohlergehed' in meiner Sprache. 

Ich würdigte S[i]uileabhain[/i] keines Blickes mehr und wandte mich an Gwen, die den Sklaven mit sichtbarem Widerwillen ansah. "Ich nehme ihn mit. Fortan soll er sich um das Wohlergehen meiner Hunde kümmern." Eine Aufgabe, die für gewöhnlich nicht an die niedrigsten der Sklaven gegeben wurde. "Bringt ihn ins Rundhaus", befahl ich.  Das königliche Rundhaus bestand eigentlich aus einem großen Haus, in dem der König und seine Familie residierte und mehreren kleineren Häusern, in denen die Dienerschaft und die Wirtschaftsräume untergebracht waren. Die Mauern dieser Häuser bestanden aus aufeinandergesetzten Steinen und die Dächer waren mit Reet gedeckt. "Und sorgt dafür, dass er gewaschen wird. Gebt etwas Anständiges zum Anziehen. Ich will nicht, dass er wie ein Tier aussieht, das man gerade aus dem Schlamm gezogen hat. Danach bringt ihn zu mir." 

Meine Worte überraschten Gwen, die mich mit einem ungläubigen Ausdruck anstarrte. "Hosen?", wiederholte sie und konnte ihr spöttisches Lächeln kaum verbergen als ihr Blick wieder auf den Römer fiel. "Wie du wünschst, Herrin."

Während Suilleabhain ihn abführte, blieb mein Blick an ihm haften. Da war etwas an ihm, das mich immer noch gleichermaßen faszinierte und irritierte. Vielleicht war es seine Ähnlichkeit mit jemandem, den ich einst gekannt hatte, oder vielleicht war es einfach die Tatsache, dass er sich nicht beugen wollte, selbst jetzt nicht. Aber eines war sicher: Suibhne würde sich meiner Macht nicht entziehen können. Und wenn es Götter gab, die ihn mir geschickt hatten, dann würde ich herausfinden, warum.
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01-06-2025, 04:57 PM,
Beitrag #22
RE: Beim alten Hügelgrab - ein Samhain-Nachttraum
Saturninus verstand aus Gestik und Mimik der Königin, das sie ihm einen Sklavennnamen gab, da sie seinen Namen nicht ausprechen konnte. Wie oft hatte er das schon getan, weil es ihm nicht der Mühe wert schien, einen zu fremdländischen Namen zu lernen. Deirdre hatte er anfangs nach ihrem Volk "Brigantia" gerufen. Nivis hieß eigentlich auch nicht Nivis, sondern Niamh - Niv oder so ähnlich, doch "Schnee" passte zu ihrer hellen Haut. Leon hieß auch nicht Löwe, sondern hatte den Namen wegen seiner sandfarbenen Mähne erhalten.  Es war selbstverständlich, dass der Herr den Sklaven nennen konnte, wie es ihm beliebte, doch nun, da das Einzige, was Saturninus noch besaß, sein Name war, empfand er sich als beraubt. So fühlte es sich also an, dass Letzte zu verlieren, das einen noch mit dem alten Leben verband. Doch dann gab er sich einen Ruck. Nie und nimmer würde er auf Suvne hören. Auch wenn er versklavt worden war, ein Sklave war er nicht.
Saturninus wusch sich und bekam Hose und Kittel. Da man ihm nichts zu Trinken gab, trank er vom Waschwasser. Die Hose musste er wohl oder übel anziehen,  wollte er nicht mit blankem Hintern zum Amusement der Kelten vor seine Käuferin treten, weil der Kittel recht kurz war. Beides war aber grobes Zeug.  
Er hatte durch Gwens Übersetzung verstanden, dass er sich später um die königlichen Hunde kümmern sollte. Saturninus hatte selbst irische Hunde gehabt, zuhause auf seinem Landgut. Dieses Volk war berühmt für seine Hunde. Aber es war doch eine Arbeit, die ihm nicht sehr ehrenvoll schien, da sie mit den Händen erledigt wurde. Er wartete darauf, dass man ihnm die Hunde zeigte, stattdessen führte man ihn jedoch in das Innere eines großen Rundhauses. Die Mauern waren zwar aus Stein, doch das Dach war aus Reet, alles schien dem Römer wild und unfertig und roh, eben barbarisch zu sein. 
" Suibhne! Die Herrin will sehen", man gab ihm einen Stoß, der ihm aber eher die Richtung anweisen als ihn ärgern sollte. Man ging offenbar davon aus, dass er nur solche Sprache verstand, da er ja nicht mit den Hibernern sprechen konnte.
Und da war sie wieder, Königin Niamh Ni Conchibar, prächtig und mit leuchtendblauen Augen.
Saturninus verneigte sich nicht. Er wies auf seine Kleidung:
"Ich danke Dir für diese herrlichen Hosen, Königin", sprach er, als sei er lediglich auf einem Freundschaftsbesuch. Ein wenig Ironie legte er in seine Stimme:
" Der Dichter Ovid schrieb, dass man dort, wo man von niemandem verstanden wird, der eigentliche Barbar ist. Also bin ich das wohl. Dennoch Danke"
Er wartete, dass seine Worte übersetzt wurden. Ovid Naso, seine Verse, bald würde man die Dichter ohnehin alle vergessen haben. Aber da war Königin Niamh, und ihre roten Lippen und ihr Haar waren so prachtvoll, dass sie vielleicht schöner war als alle Gedichte der Welt. Saturninus erinnerte sich daran, wie er zuhause seine liebe Nivis das erste Mal geküsst hatte. Er war ihr Herr, auch wenn sie es nicht wusste, und er hatte ein Recht auf sie gehabt.
Saturninus dunkle Augen verweilten auf der Königin feingeschwungenen Lippen. Wie würde es sein, diese zu küssen? Aber das waren Gedanken eines Eroberers und gerade waren die Rollen eindeutig vertauscht. Nun hatte die Königin ein Recht auf ihn.
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Honoratior von Iscalis
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01-07-2025, 10:09 PM,
Beitrag #23
RE: Beim alten Hügelgrab - ein Samhain-Nachttraum
Das große Rundhaus, in dem für gewöhnlich der König und seine Familie wohnten, war kurzerhand für die große Siegesfeier umfunktioniert worden. Alle Betten, der Webstuhl der Königin und sonstiges Mobiliar waren entfernt worden. Stattdessen hatte man um das Herdfeuer in der Mitte hölzerne Bänke gestellt, auf denen nun gut zwei Duzend Personen Platz finden konnten – Platz für die Edelsten meiner Krieger. Eine der Bänke war besonders reich mit Schnitzereien verziert. Außerdem war sie mit Wolfs- und Bärenfellen drapiert. Dies war die Bank des Königs.
Nachdenklichen musterte ich meinen neuen Sklaven, während ich entspannt auf meiner Bank saß. Die Flammen in der großen Feuerstelle warfen ein warmes, flackerndes Licht auf die steinernen Wände des Rundhauses, das nun als Königshalle diente. Meine Wolfshunde hoben kurz die Köpfe, als der Römer eintrat, entschieden aber, dass er keiner unmittelbaren Aufmerksamkeit würdig war, und legten sich wieder hin. Die Luft war erfüllt vom leisen Klirren der letzten Vorbereitungen und den ersten zarten Klängen des Barden, der die Saiten seine Harfe stimmte.

Der Mann, der sich nun vor mir aufstellte, war nicht wie die anderen Gefangenen. Sein Gang war trotz der groben Kleidung und des eisernen Halsrings, den er als Zeichen seines Sklavenstandes zu tragen hatte, immer noch stolz, und in seinen dunklen Augen lag eine unverhohlene Mischung aus Trotz und Hochmut, den er öffentlich zur Schau stellte. Als er sprach, konnte ich die Ironie in seiner Stimme hören, obwohl ich die Worte nicht verstand. Ich runzelte die Stirn, als Gwen mir endlich die Worte des Römers übersetzte. Ich verstand zunächst nicht, warum er die Kleidung erwähnte. Doch als Gwen erklärte, dass die Römer tatsächlich Gewänder trugen, wie es Frauen zu tun pflegten und sich in überlange Laken hüllten, war ich zunächst verblüfft.
"Sie tragen Kleider, als wären sie Frauen?" fragte ich ungläubig und sah mich um, als hätte ich Bestätigung gesucht. Einige meiner Krieger grinsten bereits, aber ich schüttelte den Kopf. "Und sie halten sich für die Herren der Welt?"
Dann brach ich in schallendes Gelächter aus, meine Stimme klang klar und unbeschwert und meine Augen funkelten, während ich den Römer ansah. "Kein Wunder, dass er unsere Hosen bewundert! Wahrscheinlich fühlt er sich jetzt wie ein richtiger Mann."
Das Gelächter der Krieger schwoll an, ein dröhnender Chor, der von den Steinmauern widerhallte. Derweil ließ ich den Römer nicht aus den Augen, beobachtete, wie er die Spötteleien mit einer Art sturer Würde ertrug. Und dennoch … da war etwas in seinem Blick, das mich nicht losließ. Etwas, das ich nicht ganz benennen konnte.

Dann bemerkte ich, wie seine Augen für einen Moment auf meinen Lippen verweilten, und etwas wie Hitze stieg in mir auf. Unwillig, diese Regung zu zeigen, hob ich mein Kinn und setzte eine kühle Miene auf. Doch bevor ich etwas sagen konnte, trat plötzlich Suileabhain, denn auch er hatte Suibhnes Blicke registriert. "Dieser räudige Hund starrt dich an wie ein Wolf ein Lamm, Königin Niamh!" knurrte mein erster Krieger, der einst auch mein Verlobter gewesen war. Noch immer empfand er Eifersucht, wenn mich ein anderer Mann so ansah. Er packte meinen Sklaven grob im Nacken und stieß ihn mit brutaler Kraft zu Boden.
Suibhne stolperte und landete hart auf den Knien, direkt vor meinen Füßen. Die Wolfshunde knurrten leise, erhoben sich jedoch nicht, als ich eine beruhigende Hand hob. Die Krieger jedoch brüllten vor Lachen, doch meine Aufmerksamkeit blieb auf dem Römer.

"Vielleicht müssen wir ihm noch zeigen, wie ein Mann sich zu benehmen hat", sagte ich spöttisch, was das Lachen erneut auflodern ließ. Doch in meinem Inneren konnte ich die Faszination nicht ganz abschütteln, die dieser Römer auf mich ausübte. Er war anders als die anderen, und das weckte etwas in mir, das ich nicht leugnen konnte – auch wenn ich es mit Spott zu überspielen versuchte.

Mog Ruith, der Druide, ein älterer Mann mit weißem struppigem Bart und durchdringenden Augen, saß neben mir auf der Bank. Er hatte die Szene schweigend beobachtet, während der Römer vor meinen Füßen auf dem Boden lag. Jetzt lehnte er sich vor und musterte  ihn eindringlich.
"Ein Opfer wäre angemessen", murmelte er, seine Stimme tief und voller Ernst. "Die Götter haben dir den Sieg geschenkt, Königin Niamh. Dieser Mann, dieser Römer, wäre ein würdiges Geschenk an die Götter."
Die Worte des Druiden ließen die Stimmung in der Halle augenblicklich kippen. Das Gelächter verstummte, die Krieger sahen sich an, und ein erwartungsvolles Schweigen breitete sich aus. Selbst die Hunde wirkten angespannt, als hätten sie die Bedeutung der Worte verstanden.
 
Doch ich lehnte sich entspannt zurück, als würde ich die Spannung gar nicht bemerken. Meine Finger spielten mit einem Becher Met, während ich lächelte. "Ein Opfer, sagst du, ehrwürdiger Druide?" entgegnete ich leicht. "Nun, vielleicht sollten wir die Götter fragen, was sie davon halten. Vielleicht bevorzugen sie eher ein tapferes Herz. Oder einen fähigen Krieger." Ich zuckte die Schultern, als wäre der Gedanke belanglos. "Aber was sollen sie mit einem Römer, der Hosen bewundert und Hunde ausführt?"
 Einige Krieger brachen wieder in Lachen aus, doch der Druide blieb ernst und ließ seine Augen nicht von Suibhne. "Ein Römer, der hier ist, ist ein Symbol", sagte er nachdrücklich. "Die Götter mögen Symbole."
"Und ich mag es, wenn die Götter zufrieden sind", entgegnete ich mit einem schiefen Lächeln, bevor ich einen Brocken Fleisch von einem der Sklaven entgegennahm und ihn kurz darauf nonchalant zu Boden fallen ließ, direkt vor Suibhne. Die Hunde bewegten sich träge, schnüffelten an dem Fleischstück, doch vielleicht hatte mein Sklave schneller reagiert.
"Suibhne", sagte ich beiläufig, als wäre nichts geschehen. "Du solltest dich gut um meine Hunde kümmern, hörst du? Sie sind wertvoller als du!"
Die Krieger grölten vor Vergnügen, einige klatschten. Ich schmunzelte und meine Augen blitzten. Nun begann auch endlich der Barde zu spielen. Seine Harfe erzeugte eine Melodie, die die Halle füllte. Sein Gesang hob an, preiste den Mut der Krieger und den Sieg, den sie errungen hatten. Derweil wurde noch mehr Essen von den Sklaven hereingetragen, Bier und Met flossen in Strömen, und die Feier nahm ihren Lauf.
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01-10-2025, 05:31 PM,
Beitrag #24
RE: Beim alten Hügelgrab - ein Samhain-Nachttraum
Saturninus verstand nicht alles, aber er verstand wohl, dass man sich über ihn lustig machte. Wäre er gefoltert worden, hätte er vermutlich alles getan, um den Barbaren zu zeigen, wie ein Römer tapfer starb. Aber es konnte der Tapferste kein Heros werden, wenn es den albernen Barbaren nicht gefiel. Und es gefiel ihnen offensichtlich nicht. Den Spott der Männer hätte er ertragen, aber als sich Königin Niamh erhob, und mit lauter, scharfer Stimme spöttische Bemerkungen machte, die offensichtlich witzig waren und den gesamten Hofstaat zu Gelächter hinrissen, war das etwas, was Saturninus die Kehle zuschnürte. Er wollte nicht, dass sie ihn verspottete. Nicht sie! Nicht diese herrliche Frau, die nun hochaufgerichtet mit ihrem Flammenhaar ganz freimütig sprach - etwas, was eine Römerin in einer Versammlung nie oder nur sehr selten gewagt hätten. Ihr Spott tat ihm weh, schnitt ihm ins Herz. Er schaute zur sprachkundigen Hofdame Gwen, und die Frau übersetzte ihm ungefragt der Hibernerherrscherin Worte:
"Kein Wunder, dass er unsere Hosen bewundert! Wahrscheinlich fühlt er sich jetzt wie ein richtiger Mann."
Saturninus legte den Kopf in den Nacken. Aber da hatte ihn der Krieger, der die Königin auch schon auf dem Sklavenmarkt begleitet hatte, auch schon gepackt, knurrte eine Beleidigung und strieß ihn so heftig zu Boden, dass er vor deren Füßen landete. Wie betäubt blieb er liegen, während die Menge vor Lachen brüllte. Wieder sagte Königin Niamh etwas.
"Vielleicht müssen wir ihm noch zeigen, wie ein Mann sich zu benehmen hat", wiederholte Gwen für ihn auf Latein.
Saturninus erhob sich mühesam:
"Richte deiner Herrin aus, dass ich ihr gerne auf ihrem Lager zeigen werde, wie sich ein richtiger Mann benimmt!", entgegnete er voller Wut, und schaute herausfordernd in die Runde.  Niamh Ni Conchibar zur Seite lauerten die königlichen Wolfshunde. Sie hatten geknurrt, aber sich nicht erhoben, als die Königin sie mit einer Handbewegung zum Schweigen brachte. Was für herrliche Tiere, rauh wie Wölfe, jedoch gehorsam wie Jagdhunde. Viel zu gut für Hibernia.

Saturninus Grobheit, mit der er trachtete, seine Spötter zu schmähen, ging jedoch unter, als nun ein anderer Mann sich erhob. Er besaß unweigerlich Autorität, aber noch etwas Anderes, etwas Bedrohliches, Dunkles ging von ihm aus, als wären das seine Hunde, die ihn begleiteten wie die Wolfshunde Königin Niamh begleiteten. 
Obwohl Saturninus die Gepflogenheiten der hiesigen Stämme nicht kannte, erriet er in dem Bärtigen einen Priester.  Dieser äußerte etwas, wies auf ihn, Saturninus,  und der Patrizier begriff: Der Priester forderte seine Person für seine barbarischen Götter.  Die keltischen Götter lechzten nach Blut und Menschenopfern, je grausiger, desto zufriedener waren sie.  Dieser Priester musste einer der gefürchteten Druiden sein. In Britannien waren die Grausamen verboten, aber auf der Nachbarinsel Hibernia hatte es sie immer gegeben, und nun standen sie erneut in Amt und Würden.
Zu Saturninus Überraschung hörte es sich aber nun so an, als würde die Königin um sein Leben?  - ihn?... feilschen? Ihm das Leben retten zu wollen?  Beschäftigte sie sich in Gedanken genauso sehr mit ihm, wie er mit ihr oder warum tat sie das?

"Es sind sehr herrliche Tiere, Königin", erwiderte er, als ihm schließlichbefohlen wurde, sich um ihre Tiere zu kümmern. 

~


Saturninus kümmerte sich ab sofort um die königlichen Hunde. Er wusste in etwa, was zu tun war, obwohl er es noch nie zuvor selbst getan hatte, sondern die Hundepflege stets seinen Sklaven überlassen hatte. Jetzt legte er selbst Hand an. Vieles ging schief, und öfter als einmal lag er, die schweren Kübel mit Innereien tragend, inmitten des Drecks, wenn er ausglitt oder einer der Hunde schnappte nach ihm, weil er sich ungeschickt verhalten hatte. Nicht nur Futter und frisches Wasser brauchten sie, auch ihr Fell musste gebürstet werden, Zecken entfernt, ihr Gebiss durchgesehen und ihre Pfoten auf Verletzungen kontrolliert werden. Die Hunde waren jedoch schlau und kannten ihren Pfleger bald. Nachts schlief er dann bei ihnen.

Einige Tage vergingen. Saturninus Wunden verheilten allmählich. Ein wenig verstand er, was die anderen sagten, aber seine Mitsklaven waren dumpfe Kreaturen, fand er. Ein älterer Mann, der auch mit die Hunde versorgte, lehrte ihn dann mehr. Der Mann hieß Alill. Er zeigte ihm auch, wo er Bürsten, Striegel und alles für die Hunde fand, und er lachte, wenn er auf Dinge zeigte und sie benannte, und der ulkige Romanach versuchte, sie nachzusprechen. 
Saturninus jedoch hatte viel Zeit nachzudenken, wenn er mit den Händen arbeitete, und er dachte oft an Niamh, die Königin. So langsam verschmolz ihr Antlitz mit dem von Nivis aus der Vergangenheit.  Sie war der eine von den zwei Gedanken außerhalb seines beschränkten Wirkungskreises, die in seinem Kopf unaufhörlich kreisten. 

Der andere Gedanke galt seiner Flucht. Er musste unbedingt zurück zu den Adlern. 
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Honoratior von Iscalis
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01-13-2025, 06:17 PM,
Beitrag #25
RE: Beim alten Hügelgrab - ein Samhain-Nachttraum
Das Fest war vorüber, doch die Nachwirkungen hallten in mir nach. Noch immer spürte ich die Blicke, hörte die Worte, die Stimmen, das Lachen. Ich hatte ihn gedemütigt - Suibhne, der Rómhánaigh. Sein Stolz war offensichtlich verletzt worden, und doch hatte er eine Art gefunden, sich zu behaupten – mit einer Grobheit, die die Männer meines Hofes nur noch mehr belustigt hatte. Und doch … nichts war mehr wie zuvor. Immer wieder schweiften meine Augen ab, um ihn zu finden, ohne dass ich es wollte. Suibhne hatte sich scheinbar in seinem neuen Leben eingefunden. Mit voller Inbrunst kümmerte er sich um meine Hunde und behielt dabei seinen Stolz und seine Würde, als sei er noch immer ein freier Mann, der selbst über sein Leben bestimmen konnte. Es reizte mich, ihn zu beobachten, denn er war so anders, als alle Männer, die mir untertan waren. Ich spielte sogar mit dem Gedanken, ihn in mein Bett zu holen. Allerdings verwarf ich den Gedanken wieder, um kein böses Blut bei meinen Kriegern hervorzurufen. Suileabhain erhoffte sich immer noch, dass er eines Tages den Platz an meiner Seite einnehmen könnte. Obwohl ich keinerlei Gefühle mehr für ihn hegte. Er war ein Feigling und war nur auf sein eigenes Wohlergehen bedacht. Das hatte er mir deutlich gezeigt, als er meinen Vater verraten hatte.


Einige Wochen später, lud ich die Ehrenhaftesten unter meinen Kriegern  zu einer  Jagd ein. Dies war ein Ereignis, das mir selbst die größte Freude bereitete. Es gab nichts Schöneres, als auf dem Rücken eines Pferdes die Freiheit der Natur zu spüren und das Rauschen des Windes, der über die grünen Felder und die alten knorrigen Eichen wehte zu hören. Dank meines Vaters war ich eine exzellente Schützin, die mit Pfeil und Bogen so gut wie immer ihr Ziel traf.  Schon Tage zuvor war mit den  Vorbereitungen begonnen worden: die besten Hunde wurden ausgewählt und die Waffen und Bögen wurden geprüft und notfalls auch repariert.

An Morgen der Jagd war die Luft kühl, doch das Feuer der Aufregung wärmte uns alle. Ich trug ein paar Lederhosen, die mir mehr Bewegungsfreiheit gaben als die langen Gewänder. Mein bunt-karierter Umhang, den ich trug, sollte mich vor Regen, Wind und Kälte schützten. Mein Bogen hing sicher an meinem Sattel, der Köcher mit den Pfeilen wog leicht auf meinem Rücken. Auch Suibhne hatte seinen Platz unter den Hundeleuten. Er sollte meine Hunde führen und sie zu gegebener Zeit von ihrer Leine nehmen. Selbst jetzt noch erwischte ich mich immer wieder dabei, wie ich immer wieder zu ihm sah.
Die Jagd begann, und wir ritten über grüne Wiesen, vorbei an kleinen, silbrigen Seen und sumpfigen Wiesen in deren Wasserlöchern so mancher nie wieder aufgetaucht war. Die Hunde platzten förmlich vor Aufregung. Als es endlich losging, waren ihre Nasen tief am Boden und ihre Muskeln angespannt. Die Stimmen der Jäger wurden vom Wind weitergetragen. Ihre Rufe mischten sich mit manchem Lachen, dem aufgekratzten Bellen der Hunde und dem rhythmischen Schlagen der Hufe der Pferde. Irgendwann erreichten wir ein Eichenwäldchen, und bald schon zerriss das Unterholz unsere Gruppe. Ich merkte, dass ich von den anderen zurückfiel, doch das störte mich nicht. Es war schön, allein zu sein, nur mit den Hunden und dem Rauschen eines nahen Baches.
Als ich abstieg, um zu trinken, dachte ich noch daran, wie friedlich dieser Moment war. Doch das Gefühl der Ruhe wich einer leisen Unruhe, als ich plötzlich Schritte hinter mir hörte. Ich hatte leichtsinnigerweise meinen Bogen am Pferd gelassen, die Pfeile ebenso. Mein Jagdmesser, das immer an meinem Gürtel hing – ich griff danach, um sicher zu gehen, dass es noch an Ort und Stelle war. Doch es war weg!  Es musste unterwegs verloren gegangen sein. Langsam richtete ich mich auf und drehte mich vorsichtig um. Wer war es, der sich mir in diesem Moment näherte?
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01-16-2025, 12:11 PM,
Beitrag #26
RE: Beim alten Hügelgrab - ein Samhain-Nachttraum
Saturninus war als Hundeführer auf der Jagd dabei. Es war ein herrlicher Tag, der ihn an Freiheit gemahnte, die Luft war klar und die Vorboten des Herbstes lagen darin, und der Geruch von Eichenwäldern wehte zu ihm hin. Es war ein Tag, den er unter anderen Umständen sehr genossen hatte. Die Hunde waren jedoch  aufgeregt, und er hatte alle Hände voll zu tun. Nur kurz sah er die Königin, sie trug Hosen und ritt wie eine Amazone, erst vorneweg und dann hinter den anderen Jägern.
Einer seiner Wolfshunde fiebte kurz auf, aber das genügte, dass Sarurninus sofort nach ihm sah. Eine heimtückische Dorne hatte das treue Tier an der Pfote verletzt. Während Saturninus die Wunde sogleich behandelte, fiel auch er zurück. Die Stimmen, das Lachen und der Jagdgesellschaft und das Bellen ihrer Hunde entfernten sich allmählich.
Die Wunde des Hundes war nicht so tief, wie Saturninus geglaubt hatte, als er das Blut weggewischt und damit sie sich nicht entzündete, kurzerhand darauf uriniert hatte. Dann folgte er dem Jagdlärm, um sich der Gesellschaft wieder anzuschließen. Am Rande eines Eichenwäldchens, welches sich an einen silbernen See anschloss, erblickte der Römer plötzlich ein angebundenes Pferd.  Ein prächtiger Bogen und ein Köcher voller Pfeile hingen am ebenso prunkvollen Sattel, und Saturninus wusste sogleich, wem dieses Jagdgeschirr gehören musste, denn die Waffen und der Sattel waren zwar wertvoll, jedoch zierlicher und feiner als für einen Mann gearbeitet. Das hier musste das Jagdpferd der Königin selbst sein.
Vorsichtig nahm Saturninus Bogen und Pfeile ab. Der Bogen lag gut in seiner Hand, und er verstand sich seit Kindertagen darauf, mit dieser Waffe auch umzugehen.
Der Römer legte einen Pfeil an, und trat ein paar Schritte weiter in den Wald, in die Richtung, aus der er einen Bach rauschen hörte. Und ja, SIE war es, Niamh Ni Conchibar, die Keltenkönigin, deren Volk Britannien erobert hatte, der das alles gehörte, denn sie war dort. Es wäre so leicht gewesen, sie zu töten.  Sie kniete mit dem Rücken zu ihm und trank von dem frischen Wasser. Und sie war ein Feind. Clementia, die römische Tugend, Milde dem Feind gegenüber, galt nur für die, die sich unterwarfen, nicht wenn man sich im Krieg gegenüberstand. Es war mehr, es wäre geradezu Pflicht des jungen Patriziers gewesen, sie zu töten, wenn er die Gelegenheit hatte.
Da aber richtete sich Königin Niamh auf und drehte sich um. Auf ihrem schönen  Gesicht lag mehr Erstaunen als Erschrecken, fand Saturninus, ein stummes, herzzerreißendes Staunen. Er stellte sich vor, wie die junge Frau blutüberströmt zusammenbrechen würde, wenn er nun schoß. Er würde nicht fehlgehen. Er würde der Patria einen großen Dienst erweisen. 
Saturninus zögerte dennoch. Er hätte die Augen schließen und den Pfeil losschnellen lassen können, aber etwas lähmte seinen Arm. Je länger er auf die Frau schaute, desto weniger war er fähig, sie zu töten. Hätte sie ihn angegriffen, hätte er sofort geschossen. Aber sie stand nur da und schaute ihn an:
"Königin, du wirst verstehen, dass ich nun gehen muss", sprach Saturninus schließlich mit fast sanfter Stimme:
"Ich nehme mir dein Pferd und deine Waffen. Aber du sollst leben.  Und lebe wohl"
Er senkte den Bogen so weit, dass er nicht mehr auf Niamhs Brust zielte und ging dann rückwärts zum Pferd der Keltenkönigin zurück. Er schalt sich einen Idioten, zu weich, was ihm sein Vater vorgeworfen und mit Prügel hatte austreiben wollen. Aber Tiberius Furius Saturninus konnte nicht anders handeln in jenem verstrichenen Moment. Eine geheimnisvolle Macht, eine große Gemütsbewegung hatte seine Hand zurückgehalten. 
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Honoratior von Iscalis
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01-17-2025, 10:01 PM,
Beitrag #27
RE: Beim alten Hügelgrab - ein Samhain-Nachttraum
Meine Hände waren noch nass vom Wasser, doch ich achtete nicht darauf. Dort stand er – Suibhne. Er hielt meinen Bogen in seinen Händen und hatte einen Pfeil angelegt, mit dem er auf mich zielte.  Ich blinzelte, überrascht, und spürte mein Herz schneller schlagen. Er sagte etwas, aber ich hörte die Worte kaum. Ich hätte sie sowieso nicht verstanden. Doch seine Stimme klang irgendwie sanft. Alles in mir richtete sich auf das Bild, das sich mir bot: mein Sklave, der Rómhánaigh, der Mann, der mir fremd und doch so vertraut war. 
Ich beobachtete ihn genau, jede seiner Bewegungen, den Ausdruck in seinem Gesicht. Er senkte den Bogen, doch statt mich zu beruhigen, löste das in mir etwas anderes aus. Als er sich rückwärts zum Pferd bewegte, spürte ich plötzlich, dass ich handeln musste. 

"Suibhne!" rief ich ihn bei dem Namen, den ich ihm gegeben hatte, und machte einen Schritt auf ihn zu. Meine Stimme klang fester, als ich erwartet hatte. "Tiberis." rief ich ihn noch einmal, diesmal versuchte ich, ihn bei seinem unaussprechlichen Namen zu rufen. "Bleib stehen", sagte ich und ging weiter. Meine Schritte waren schnell, fast stürmisch. "Du wirst es nicht schaffen."  Ich wusste, er verstand kein Wort von dem, was ich ihm sagen wollte. Daher zeigte ich auf den Ring um seinen Hals und versuchte, ihm durch Gesten klar zu machen, was ich gesagt hatte. "Das hier wird dich verraten. Sie werden dich jagen. Sie werden dich töten."  
Als ich direkt vor ihm stand, richtete ich meinen Blick fest auf sein Gesicht. "Bitte", sagte ich nun leiser und meine Stimme klang verwundbar. "Lauf nicht weg. Nicht so."  Ich streckte meine Hand aus, so dass meine Finger seine Wangen und seine Lippen berühren konnten. Mein Herz klopfte so laut, dass es fast wehtat. "Bleib", flüsterte ich. "Bitte bleib bei mir … oder nimm mich mit." Dann trat ich noch einen Schritt näher und küsste ihn.
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01-19-2025, 05:58 PM,
Beitrag #28
RE: Beim alten Hügelgrab - ein Samhain-Nachttraum
Die Frau konnte nicht einmal seinen wirklichen Namen aussprechen. Aber sie trat auf Saturninus zu, berührte ihn ohne Angst mit ihrer Hand sanft an seiner Wange und küsste ihn. Er ließ den Bogen sinken, riss Niamh an sich und bedeckte ihren Hals und ihre Schultern mit Küssen. Die so stolze, so hoffährtige Keltenkönigin war seine Eroberung. Er las es in ihrem Blick und ihrem Leib, als sie sich an ihn schmiegte.  Er hätte sie am liebsten sofort erstürmt wie eine Festung, doch dazu war keine Zeit, was er sehr bedauerte. Aber verstand er richtig: Sie wollte jetzt mit ihm kommen? Das war gefährlich, gefährlich für sie beide, auch wenn sie die herrlichste Frau auf Erden war. Und gleichzeitig war es anrührend und wahnsinnig.
Saturninus schüttelte heftig den Kopf und versuchte, ihr mit Händen und Füssen klar zumachen: "Nein, Königin, bleib du in Sicherheit bei deinem Volk! Wenn du mir wirklich helfen willst, so schick deine Leute unter einem Vorwand in die Gegenrichtung! Ich reite nach Osten! Mit der Hilfe wohlmeinender Götter werde ich bis ans Ufer kommen und vielleicht einen Fischer finden, der mich für ein Vermögen mit einem Boot nach Britannien übersetzt. Ich werde dir für deine Hilfe lange dankbar sein!"
Saturninus trat einen Schritt zurück. Wie würde sie entscheiden?
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Honoratior von Iscalis
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01-23-2025, 11:01 PM,
Beitrag #29
RE: Beim alten Hügelgrab - ein Samhain-Nachttraum
Sein Kuss war heiß, fordernd und zugleich so verzweifelt, als hätte er Angst, dass ich ihm entgleiten könnte. Für einen Moment vergaß ich alles – meine Zweifel, meinen Stolz, sogar die Welt um uns. Es gab nur ihn, seine Berührung, die Wärme seiner Lippen an meinem Hals, an meiner Schulter. Meine Hände fanden seinen Nacken, hielten ihn fest, als könnte ich ihn so daran hindern, jemals wieder zu verschwinden.
 Doch dann zog er sich zurück. Seine Augen suchten meine, seine Stimme klang wie eine Warnung, eine flehende Bitte, die ich nicht verstand. Seine Sprache blieb mir fremd, aber ich sah es in seinem Blick, in seinen Gesten: Er wollte fort. Fort von hier, fort von mir.
 Ich schüttelte den Kopf. "Nein," sagte ich leise, obwohl ich wusste, dass er meine Worte nicht verstehen würde. "Ich lasse dich nicht allein."
 Er hob die Hände, versuchte mit Bewegungen und Ausdrücken zu erklären, dass ich bleiben sollte. Er zeigte in die Ferne, sprach von Gefahren – das konnte ich in seinem Gesicht lesen. Doch was er nicht begriff, war, dass ich lieber sterben würde, als ihn ziehen zu lassen.
 Ich trat näher, legte eine Hand auf seine Brust. Sein Herz schlug schnell, genau wie meines. "Wenn du gehst," sagte ich und sah ihm tief in die Augen, "dann gehe ich mit dir. Ob du es willst oder nicht."
 Bevor er widersprechen konnte, nahm ich seine Hand und zeigte auf mein Pferd, dann auf uns beide, und schließlich in die Richtung, die er zuvor angedeutet hatte. "Zusammen," sagte ich. "Ich komme mit dir."
 Ich stieg auf mein Pferd und streckte ihm die Hand hin. "Komm," sagte ich mit einem Lächeln, das meine Entschlossenheit unterstrich. "Wir reiten."
 
Wir ritten davon, fort von meinem Volk, fort von allem, was ich je gekannt hatte. Allerdings nicht nach Osten – dorthin würde man Suibhne zuerst suchen, sobald sein Verschwinden bemerkt wurde.
 
Wir ritten viele Stunden und mieden jedes Dorf, in dem man mich hätte erkennen können. Nach einigen Tagen, weit weg von meinem Zuhause, wagten wir es schließlich, in ein kleines Dorf zu reiten. Niemand kannte mich hier, und das war gut so.
 
Der Schmied war ein kräftiger Mann mit rußgeschwärzten Händen. Er musterte uns, seine Augen waren wachsam, aber schließlich nickte er, als ich ihn bat, Suibhne von seinem Halsring zu befreien. Er griff zu seinen Werkzeugen. Die Hammerschläge hallten durch die Schmiede, jeder Schlag war wie eine Befreiung. Als der Ring endlich zerbrach und zu Boden fiel, sah ich Suibhne an und küsste ihn. Der eiserne Beweis seiner Sklaverei war verschwunden, und mit ihm ein Teil seiner Vergangenheit.
 
Danach ritten wir weiter in die Berge, bis die Wege schmaler wurden und die Welt um uns stiller. Dort fanden wir sie: eine verlassene Hütte, halb verborgen zwischen hohen Bäumen und dichtem Gebüsch. Das Dach war beschädigt, die Wände grob, aber es war ein Zufluchtsort – unser Zufluchtsort.
 
In den nächsten Tagen richteten wir uns ein. Ich sammelte Holz und Reisig und wir lickten die Löcher im Dach damit. Zusammen gingen wir auf die Jagd und sammelten Beeren. An den Abenden saßen wir gemeinsam am Feuer. Ich lehrte ihn meine Sprache und bemühte mich, seine zu verstehen.
 
Die Tage wurden zu Wochen, die Wochen zu Monaten. Wir lebten wie Mann und Frau, teilten alles: das Bett, die Mahlzeiten, das Lachen – manchmal auch die Stille. Eines Morgens jedoch wachte ich mit einem Gefühl auf, das ich kaum beschreiben konnte. Eine Veränderung, tief in mir. Meine Blutung war schon mehrere Wochen ausgeblieben. Ich legte eine Hand auf meinen Bauch und schloss die Augen. Es war da – ein neues Leben wuchs in mir heran.
 Von Woche zu Woche spürte ich mehr, wie sich mein Körper veränderte. Ich hielt das Glück lange für mich, doch eines Nachts, als wir nebeneinander auf unserem Lager lagen, konnte ich nicht mehr schweigen.
 "Saturnus," flüsterte ich und drehte mich zu ihm. Ich nahm seine Hand und legte sie behutsam auf meinen Bauch. "Ich erwarte ein Kind, Dein Kind," sagte ich leise.
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01-24-2025, 04:21 PM,
Beitrag #30
RE: Beim alten Hügelgrab - ein Samhain-Nachttraum
Saturninus wusste nicht, was ihn ritt. Als Niamh sagte, sie käme mit ihm, nickte er, nahm sie bei der Hand und sie ritten auf ihrem Pferd davon. Irgendwann einmal hatte ihre Flucht ein Ende, als sie an eine verlassene Hütte kamen. Sie lag noch im Wald, doch an der salzigen Luft, die in der Lichtung wehte, erkannte Saturninus, dass sie am Meer angekommen waren.  Dort versteckten sie sich. 
Die Stelle an seinem Hals, an der der Halsring gescheuert hatte, verheilte zu einer Narbe. Als ihm endlich ein schwarzer Bart gewachsen war, wagte Saturninus den Abstieg zum Strand. Die Fischer waren wenige, und ihre geflochtenen Rundboote sahen nicht so aus, als seien sie wirklich hochseetüchtig. Saturninus wagte nicht, sie anzusprechen. Sie hielten ihn  für stumm, da er nicht sprach und später für einen der Männer, die den Verstand verloren hatten und zwischen Klippen und Wald hausten. Aus Mitleid warfen sie ihm und den anderen Verrückten zuweilen Fische hin. 
Einmal versuchte einer der Anderen, Saturninus einen Fisch abzunehmen. Der Furius erschlug ihn mit all der Kraft, zu der er fähig war. Der Fisch war für Niamh, sie brauchte ihn nötig, bestimmt. Saturninus konnte nicht ertragen, dass seine schöne Frau dünn und blass  vor Entbehrung werden könnte. Er säuberte sich nach dem Mord seine Hände am Gras und ging nach Hause, als sei nichts geschehen.
 Stets erwartete ihn Niamh, ihre schlanke rotmähnige Gestalt,  vor der Hütte. So stand sie da, die Hand über die Augen gelegt und hielt Ausschau nach ihm, Suibhne oder Saturnus, wie sie ihn nannte. Er nannte sie hingegen  "Carissima", "Liebes" oder "mein Herz".
Rom verblasste in seiner Erinnerung bald wie ein Schemen. Die ganze Zeit kam niemand zu ihnen. Sie fanden Nahrung und ab und an jagten sie, doch sie wagten es nicht, sich zu weit von der Hütte zu entfernen, aus Sorge, jemandem zu begegnen, der die Königin erkannte.


So verging der Frühling, so verging der Sommer. Unmerklich wurde es kühler, es regnete mehr. Aber noch hatten sie Nahrung und noch hatten sie sich. 
Eines Tages, als er und seine Gefährtin beieinander lagen, flüsterte sie: "Saturnus,"  und drehte sich zu ihm. Sie nahm seine Hand und legte sie behutsam auf ihren Bauch. "Ich erwarte ein Kind, Dein Kind," sagte ich leise.
"Ein Kind! Oh mein Herz, ein Kind", Saturninus küsste Niamh hundertfach. Ein Kind, sein Kind.... er war glücklich.


In diesen Tagen danach jedoch fand er das kleine Boot. Es war keines der hiesigen, das sah er.  Es war ein einfaches Plankenboot, das ohne Kiel und Spanten gebaut worden war, aber es war ursprünglich weiß angemalt gewesen und trug eine römische VIII, auch wenn die Farbe jetzt verwittert war. Es musste ein Beiboot einer römischen Handelsgaleere gewesen sein, vermutete Saturninus. Helle Aufregung erfasste ihn. War das nicht förmlich ein Zeichen der Götter, dass er nach Hause gerufen wurde? Zu lange war er schon hier. Plötzlich war Rom wieder präsent, kraftvoll und in all seiner Herrlichkeit stand es vor seinem inneren Auge. Die Patria! Heftige Sehnsucht ergriff ihn.  Doch die Königin und ihr ungeborenes Kind, seine Carissima, würde er mit sich nehmen. Zunächst aber musste er das Boot reparieren, es kalfatern...
Als Saturninus sich aufrichtete, blickte er direkt in die blauen Augen eines Kelten. Der Kleidung nach zu urteilen, war er ein Fischer.
Saturninus ballte die Fäuste, bereit, sich auf ihn zu stürzen, wenn er ihm das Fundstück streitig machen wollte.
Aber das wollte der Mann nicht. Er lachte nur, wies auf Saturninus Bart, strich sich seinen rotblonden, dann deutete er auf das Boot, wobei er die Bewegungen von Reet schneiden und Werg herstellen machte und die Lippen kräuselte. Er schien nicht viel von der Seetüchtigkeit des Bootes zu halten.
Er zeigte auf Saturninus:
"Rómhánaich!" , sagte er, es war keine Frage. Ein listiges Funkeln trat in seine Augen, nicht unfreundlich. Er deutete auf sich selbst: "Colla"  und dann auf das Meer:
"A Róimh?" , fragte er, als meinte er das nicht ganz ernst. Saturninus erriet was er sagte.
Er nickte: "Das ist es. Ich muss zurück nach Rom!", stieß er hervor. Seine Stimme klang ihm rau in seinen Ohren. So lange hatte er mit keinem Menschen außer Niamh gesprochen:
"Hilf mir, und du sollst reich belohnt werden!"
Der Fischer deutete wieder auf sich, dann auf Saturninus, dann fragte er etwas und hielt die Finger in die Höhe.
"Wir sind zwei. Meine Frau mitkommen. Und du. Gold", auch Saturninus zählte jetzt, er zählte die imaginären Goldstücke, die er dem Fischer bezahlen wollte. Es versprach ein Vermögen.
Colla, wie er hieß streckte die Hand aus. Saturninus schlug ein.
Wieder grinste der Mann. Dann zog er ein Messer. Saturninus sprang zurück, zum Angriff bereit, aber Colla grinste nur noch breiter und begann seelenruhig Reet zu schneiden. Sie arbeiteten schweigend nebeneinander her, bis es dämmerte.


Dann brach Saturninus nach Hause auf.
"Nivis, Nivis, ich habe ein Boot und einen Fischer, der uns hilft, gefunden! Sein Name ist Colla. Wir kehren also nach Rom zurück!", rief er schon von weitem. Dann dachte er, dass ihr der Gedanke nicht so erstrebenswert erscheinen mochte wie ihm:
"Sorge dich bitte nicht, Liebste! Du kommst mit mir, und ich werde dich nie in Stich lassen!"
Er umarmte Niamh und wirbelte sie vor Freude einmal im Kreis.
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Honoratior von Iscalis
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