RE: Mietstall des Alan
Morgen würden wir zur Quelle aufbrechen. Calum wollte mitkommen, obwohl ich ihm angeboten hatte, für ihn eine Ausrede zu erfinden, also würden wir zu dritt reiten: Er, Alun und ich. Und ich war jetzt schon angespannt deswegen. Nicht wegen der Reise, auch wenn ich Calum wohl keinen Moment aus den Augen lassen würde, nachdem er verschwunden war. Ich würde ihn sicher und in einem Stück wieder zurück zu Flavianus Pü bringen, und wenn uns der Himmel auf den Kopf fallen sollte.
Aber die begegnung mit Cathbad war etwas anderes. Wie lange hatte ich ihn jetzt nicht gesehen? Über ein Jahr. Fast zwei. Er hatte mich in den Norden geschickt, um Bündnisse auszuhandeln, aber die Stämme dort hatten alle nichts davon wissen wollen. Nicht die Veniconer, nicht die Caledonier, nicht die Votadinier. Zu den Taexalern war ich nicht mehr gekommen, da die Veniconer mich schon fast deshalb umgebracht hätten. Deshalb und wegen einer dunkelhaarigen Schönheit, die mich lieber tot als abgereist sehen wollte.
Von meinem Misserfolg wusste Cathbad schon, der Druide Cartivel hatte zumindest so etwas gemeint und ihm im Zweifel die Nachricht auch überbracht. Ich ging nicht davon aus, dass er mehr als einen Misserfolg von mir ernsthaft erwartet hatte. Überhaupt wusste ich nicht, warum er mich nicht einfach gehen ließ, wo ich doch von keinerlei Wert für ihn war.
Und das war es auch, was mich gerade lange wach hielt: Die frage, wie er auf mich wieder reagieren würde. Welche Gemeinheiten er wieder sagen oder auch nicht sagen würde. Zweifelsfrei würde er mich spüren lassen, wie wenig er von mir hielt und welch große Enttäuschung ich für ihn war. Ehrlich, hätte ich Alun und Calum nicht vor ihm beschützen müssen, indem ich seinen Spott und Zorn auf mich zog, wahrscheinlich hätte ich schon längst versucht, abzuhauen. Einmal hatte ich es schon versucht, mit zehn oder elf. Nur Caradoc hatte mich damals zurückgehalten und gemeint, dass mir großes prophezeit worden wäre und ich entscheidend für das Fortbestehen der Druiden wäre. Genauer gesagt hatte er gesagt, dass das Schicksal der Druiden durch mich entschieden werden würde. Und irgendwie hatte ich ihm geglaubt. Caradoc hatte mich nie belogen. Aber jetzt war er tot, und ich war mir nicht mehr sicher, warum ich hier war und wo ich hingehörte.
Der Mond stand strahlend hell als dünne Sichel über einer Ebene aus Wasser, in der er sich mit den Sternen spiegelte. Ich kannte den Platz, ich war schon mehrmals hier gewesen. Ich wusste, dass das Wasser nur ein dünner Film über unsichtbarem Boden war, in dem meine Pfoten guten Halt finden würden. Ich wusste, dass hier zu laufen sich anfühlen würde, wie zwischen den Sternen zu fliegen.
Aber mein Herz war schwer und meine Sinne davon getrübt. Ich wollte nicht laufen. Es brachte mir keine Freude. Ich stand nur da und schaute hinab in die spiegelglatte Fläche des Wassers, wo sich mein Fuchs-Gesicht spiegelte. Traurige, goldene Augen sahen mich von dort aus zerzaustem Fell an, und ich seufzte tief und mutlos.
“Na, na. Wer wird denn gleich so seufzen?“ hörte ich eine vertraute, alte Stimme und blickte rasch auf. Und da stand er. Das Haar an den Schläfen etwas grau, der Bart wie immer etwas unordentlicher, als er sein sollte. Die Augen hell und klar und immer mit einem leicht schelmischem Blitzen darin, was verstärkt wurde durch die feinen Lachfältchen, die sich dort in die Haut gegraben hatte, weil er so viel schmunzelte und lächelte und lachte und gerne sang und feierte. Weil er so menschlich und nahbar und gütig war.
Ein Zittern erfasste meinen ganzen Körper, und ich lief auf ihn zu und umarmte ihn, jetzt Mensch, in einem ununterdrückbaren Impuls und so tiefem Bedürfnis, dass es meine Seele zu zerbrechen schien, während meine Arme sich um ihn schlossen und nur ein Laut, halb Schluchzen, halb erfreutes Aufrufen, so tief aus meiner Kehle kam, dass es ganze Berge zu erschüttern schien. “Caradoc“, raunte ich heiser, während ich meinen Kopf irgendwo in dem wilden Haar und an seiner Schulter vergrub und mich wieder wie ein kleiner Junge fühlte, der sich einfach nur festhalten wollte und Schutz bei einem geliebten Menschen suchte.
“Na, na, Louarn“, hörte ich ihn sagen, während er auf meine Schulter klopfte. Ich spürte die Berührung, auch wenn ich gerade so fest an ihn geklammert nichts sehen konnte, und ein weiteres Schaudern ging durch meinen angespannten Körper. “Ist das hier echt?“ krächzte ich. Denn auch, wenn es ein Traum war, es fühlte sich echt an. Und selbst, wenn es nicht echt war, wollte ich, dass es echt wäre, und selbst wenn das nicht ging, wollte ich nicht wieder aufwachen.
“Ja, Louarn. Ich bin echt.“ “Aber du bist tot!“ schluchzte ich und hielt ihn noch etwas fester, was den alten Mann wahrscheinlich halb zerdrückte. Aber er war tot, was machte das schon? Aber er klang durchaus etwas gequetscht und machte sich soweit frei, dass ich ihm nicht die Rippen brach mit meiner Umarmung, indem er mir mit seinem Stock leicht auf den Kopf haute. Es tat nicht wirklich weh, aber trotzdem. “Das bin ich auch! Aber deshalb muss man ja nicht gleich unecht sein!“
Darauf wusste ich nichts zu erwidern. Nach ein paar Momenten fühlte ich mich aber gewappnet genug, nicht mehr ganz so wie ein kleines Kind an ihm zu hängen und zumindest wieder gerade zu stehen, auch wenn meine Hände auf seinen Armen blieben. Ich brauchte das Wissen, dass er wirklich hier war, auch wenn es ein Traum war.
“Ich kann nicht glauben, dass du hier bist! Ich hab noch nie von dir geträumt.“
Caradoc lächelte auf die Art, wie nur er es konnte. So, dass man sich dabei gesehen fühlte. Und dann schüttelte er den Kopf und lachte. “Hast du immer noch nicht herausgefunden, was das hier ist? Ach, Louarn, was mach ich nur mit dir?“ Er lächelte, und ich hatte keine Ahnung, was er meinte, aber das war mir auch egal. Ich sah ihn wieder, den einzigen Mann, der sich für mich wie ein vater anfühlte, und das war alles, was ich wissen musste.
“Komm, erzähl mir, was alles passiert ist“, bat er mich, und ich erzählte es ihm. Alles. Von meiner Reise in den Norden, meiner Ankunft in Iscalis, meinem Aufeinandertreffen mit Helena, der Enthüllung, dass sie unsere Schwester war, von Niamh und der Reise zu den Priestern. Von ihr und Dunduvan, von ihrer Rettung aus Erwans Haus, meinen Hoffnungen und Gefühlen nach Lughnasad und Ceridwens Verrat und unserer endgültigen Trennung. Von Ciarans Zauber und der Erstürmung der Mine, von Dunduvans Tod im Feuer, von Alun und seiner Geliebten und schließlich von meiner Suche nach Calum. Am Ende fühlte ich mich leer und voll zugleich, und so viel leichter, wie seit Jahren nicht mehr.
Am Ende hob Caradoc eine Hand und legte sie um meine Wange, eine so einfache und zärtliche Geste, dass mein Körper erneut zitterte und ich die Augen schloss. “Ach, mein armer Junge. Ich wünschte, ich hätte dir helfen können...“, sagte er traurig, und ich wusste, dass er es so fühlte.
“Ich wünschte auch, dass du noch da wärst. Cathbad ruft uns zu sich an die Quelle, und ich… ich habe Angst, Caradoc“, gestand ich ihm diesen Teil meiner Seele, den ich vor allen anderen immer und stets verborgen hielt. Keinem meiner Brüder hätte ich diese drei Worte je gegenüber gesagt. Niemals. Ich war immer der, der die Last für alle anderen trug, der Starke, derjenige, der es wieder richtete. Ich durfte keine Angst haben. Aber hier und jetzt im Traum, konnte ich es dem toten Caradoc sagen.
Er streichelte leicht über meine Wange. “Ich weiß, Louarn. Aber wir brauchen dich noch. Du hast ja keine Ahnung….“
Ich schaute auf und fühlte mich leicht verzweifelt. “Aber wofür denn? Warum kann Cathbad mich nicht einfach in Ruhe lassen? Ich bin ihm von keinerlei Nutzen!“
Caradoc wirkte unendlich traurig, als er seine Hand wieder senkte und nach Worten zu ringen schien. “Louarn… es ist nicht so einfach...“
“Sag es mir!“ brach es aus Verzweiflung aus mir heraus. Ich verstand nichts von alledem. Nichts von Cathbads Plänen, nichts von meinen Träumen, nichts von alledem. Ich war vielleicht der dümmste Mensch auf der ganzen Welt. Aber es quälte mich! Auch wenn ich es nicht verstand, wollte ich es wenigstens einmal hören, warum das alles von mir verlangt wurde.
“Weil es dir vorherbestimmt ist“, antwortete Caradoc traurig und fasste meine Hand. “Weißt du eigentlich, wie selten deine Gabe ist, Louarn? Das hier, das was du jetzt tust, weißt du eigentlich, was das ist? Nur einer unter zehntausend Druiden kann hier auf diese Ebene, und nur einer von zehntausend davon kann das hier nicht nur sehen, sondern sich bewegen. Reisen, Louarn! Sich mit allem hier unterhalten! Dass du mit mir reden kannst, Louarn!“
Ich verstand gar nichts, denn alle Menschen träumten. Nur weil meine Träume manchmal anders waren, war das noch lange nichts besonderes, aber Caradoc sah mich eindringlich an und drückte mein Handgelenk. “Aus der Linie der Könige über die Adlerfelsen wird aus Leid und Blut und dem Untergang des heiligen Steinkreises der geflügelte Fuchs geboren. Aus seinem Blut wird der eine entstehen, der das Schicksal der Druiden sein wird. Er wird die Macht von Himmel und Stein haben, wird wandern unter den Sternen und im Nebel, Barde und Zauberer, und der eine König wird durch ihn zur Herrschaft finden, wenn Schwert und Stein entzweit werden.
Du bist der Geist des geflügelten Fuchses, Louarn! Aus deinem Blut wird der eine geboren, der Wanderer, das Kind ohne Vater, und er wird deine Gabe haben, zwischen hier und dort zu reisen, und er wird das Schicksal der Druiden in sich tragen, da er der letzte von reinem Blut sein wird. Verstehst du es nicht, Louarn? Cathbad kennt die Worte der Prophezeiung. Er denkt, er kann sie beeinflussen, indem er dich unter seiner Kontrolle behält. Aber er versteht die Zeitspanne des ganzen nicht.“
Ich verstand absolut gar nichts von dem, was Caradoc mir zu sagen versuchte. Wirklich, gar nichts. Nur, dass er wieder auf die Prophezeiung anspielte, deren Hauptbestandteil seiner Meinung nach ich wohl war. Aber das war auch schon alles, der Rest war für mich absolut unverständlich.
Ich wollte ihn danach fragen, aber genau in diesem Moment, fing sein Körper an, zu Nebel zu werden. Erst wurde er etwas undeutlich, dann fühlte ich seine Berührung nicht mehr und er verwandelte sich in Rauch. “Nein, NEIN! Warte!“ rief ich verzweifelt, aber als ich nach ihm griff, um ihn festzuhalten, griff ich nur in eine sich auflösende Wolke.
Als ich aufwachte, hatte ich sehr ekelhafte Kopfschmerzen und fühlte mich verwirrt und leer und müde. Aber es half nichts, wir wollten aufbrechen, und ich musste unsere Pferde bereit machen. Also quälte ich mich hoch, ging nochmal zu Alan, um ein wenig zu plaudern, und bereitete unsere Abreise vor.
Falke
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