RE: Der Ex-Schwager, der kein Schwager sein wollte - und kein Ex
Das war so typisch für Egon. Als ich die Schwelle zur Casa Liciniana überschritt, hatte ich sein wissendes Grinsen bemerkt. Es war, als hätte er mich längst in die Kategorie eben jener Besucher eingeordnet, die ihre Wünsche und Sehnsüchte hinter verschlossenen Türen erfüllen wollten. Dass ich genau das Gegenteil davon war, schien ihn nicht im Geringsten zu interessieren.
Wenigstens ließ er mich ohne viele Worte durch und rief nach Narcissus. Während ich die vertrauten Korridore entlangging, spürte ich den unterschwelligen Druck dieses Hauses, die Erinnerungen, die sich wie alte Geister um mich scharten. Mein Blick streifte die Verzierungen an den Wänden, die Geräusche hinter den Türen, das dezente Lachen, das gelegentlich erklang. Nichts davon zog mich mehr an – ganz im Gegenteil. Meine Zeit hier war vorbei, und mit Aglaia war auch das letzte Band zerschnitten worden, das mich an diesen Ort gebunden hatte.
Doch Egons Reaktion ließ mich nicht ganz kalt. Ich konnte es ihm kaum verübeln. Die meisten Männer, die in dieses Haus kamen, suchten Ablenkung, oder einen Moment, um dem Leben zu entfliehen. Dass ich hier war, um mit Narcissus über einen ganz praktischen, beinahe banalen Grund zu sprechen, war wahrscheinlich die Ausnahme, die Egons Weltbild durcheinanderbrachte.
Narcissus begrüßte mich mit seiner üblichen Mischung aus Charme und vorsorglicher Verteidigung, bevor ich überhaupt den Mund aufmachen konnte. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen, das vermutlich die halbe Stadt besänftigen konnte. Doch in seinem Blick lag eine Spur von Nervosität. Oder war es nur die Gewohnheit, sich immer für irgendetwas rechtfertigen zu müssen? Noch bevor ich etwas sagen konnte, hob er die Hände, als wollte er mich von einem möglichen Ausbruch abhalten. Sein Ton war eine seltsame Mischung aus Überzeugung und Beschwichtigung, wie jemand, der sich sicher war, dass er Mist gebaut hatte, aber auch glaubte, ihn mit Worten wieder glattbügeln zu können.
Er sprach von Fintan – natürlich tat er das. 'Vielleicht nicht die beste Wahl', gab er zu, aber er betonte, wie 'hochmotiviert' der Junge gewesen sei, als das irgendeinen Unterschied machen würde. Und dann, bevor ich auch nur Luft holen konnte, um zu antworten, kam das typische Narcissus-Angebot: 'Willst du was trinken?'
Ich hob eine Augenbraue. Natürlich ging er davon aus, dass ich mich beschweren wollte. Es lag ihm im Blut, sich schon vorab zu rechtfertigen. "Trinken? Klar, warum nicht. Aber bevor du dir weiter einen Kopf machst, kann ich dich beruhigen! Ich bin nicht hier, um dich für Fintan zur Rechenschaft zu ziehen. Noch nicht, jedenfalls." Ich ließ den letzten Satz mit einem schiefen Lächeln ausklingen.
"Der Junge gibt sich sehr viel Mühe, ja. Aber das ist nicht der Grund, warum ich hier bin." Ich hielt kurz inne und ließ meinen Blick durch den Raum schweifen. "Ich bin hier, weil ich etwas von dir brauche. Und ich hoffe, du kannst mir helfen."
Ich holte tief Luft, bevor ich weitersprach. "Es geht um Aglaia." Ihr Name verursachte mir immer noch ein grummeln im Bauch, wenn ich ihn aussprach.
"Ich habe gehört, dass sie in Londinium ist, aber ich weiß nicht, wo genau. Du hast sicher deine Kontakte, und ich muss wissen, wo ich sie dort finden kann." Ich hielt kurz inne, bevor ich erklärte: "Ich werde bald wieder heiraten. Deirdre und ich. Wir wollen ein neues Leben beginnen. Aber bevor das passiert, will ich sicherstellen, dass alles richtig gemacht wird. Aglaia ist nicht nur meine ehemalige Frau, sie hat mich freigelassen und damit meine Patronin. Ich schulde ihr die Höflichkeit, sie darüber zu informieren, obwohl sie mich verlassen hat und mir unser Kind vorenthält. Ich bin trotz allem der Meinung, das gehört sich so."
Narcissus sah mich an, und ich konnte fast hören, wie seine Gedanken ratterten. Wahrscheinlich fragte er sich, warum ich mir überhaupt die Mühe machte, oder vielleicht dachte er an die alte Geschichte, die Aglaia und ich miteinander geteilt hatten und was nie wieder sein würde.
"Also," fuhr ich fort, "kannst du mir helfen, sie zu finden?"
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Während ich sprach, spürte ich, wie die Atmosphäre des Hauses wieder auf mich wirkte. Es war nicht Egon, der dachte, ich käme als Kunde, der mich störte. Es war das Haus selbst, das wie ein Echo aus meiner Vergangenheit in mir widerhallte – eine Erinnerung daran, wer ich einmal war und wer ich heute nicht mehr sein wollte.
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