Auf nach Londinium! - Bei den Göttern ...
Prolog
Alexandria hatte sie nie geliebt. Nicht so, wie andere Römerinnen davon schwärmten. Für sie war es zu laut, zu voll, zu griechisch. Die Bibliothek mochte beeindrucken, gewiss, doch wer wollte schon unentwegt von nach Oregano duftenden Philosophen belagert werden, die einem das Ohr mit Syllogismen abkauten?
Ihr Gatte, Haterius, ein Mann mit beeindruckendem Vermögen und zunehmend beeindruckenderem Bauchumfang, hatte darauf bestanden, dass sie allein nach Londinium reiste, um ihre Tochter Sabina zu besuchen. Er selbst, so erklärte er, müsse 'die Geschäfte ordnen' und 'den beiden Jungen Stabilität geben'. In Wahrheit jedoch wollte er sich wohl kaum von der wohltemperierten Therme und dem täglichen Becher Wein trennen und vor allem nicht von der Bequemlichkeit, mit zwei kleinen Söhnen in der römischen Villa zu verweilen. Es störte ihn offenbar nicht, dass seine Gattin ihn außerhalb des Ehebetts mied. Er zahlte für alles, ohne mit der Wimper zu zucken, aus Bequemlichkeit oder, vielleicht, aus einer gewissen schwärmerischen Hoffnung, sie würde doch wieder in sein Bett zurückkehren.
Sabina. Das war eine andere Geschichte. Ihr Kind, ihr Blut, gewiss. Doch sie war stets ein wenig zu naiv gewesen, um ihren wahren Wert zu erkennen, und zu hilflos, um sich ohne Anleitung in der Welt zurechtzufinden. Vielleicht hatte sie längst jede Eleganz abgelegt und versteckte ihre Überforderung nun hinter provinzieller Geschäftigkeit. Vielleicht war das der wahre Grund der Reise. Die quälende Gewissheit, dass familiäre Pflichten einen selbst an das Ende der Welt verfolgen konnten.
Reise nach Londinium
Die Reise begann standesgemäß auf einem Handelsschiff. Nicht etwa mit dem gewöhnlichen Volk, sondern mit eigenem Bad, eigenem Koch und einem Vorrat an Datteln, Feigen und duftenden Ölen. Ihre Leibsklavin Livia ölte ihr morgens die Arme mit Safran ein und las ihr währenddessen aus Ovid vor, während das leise Klatschen der Wellen gegen den Schiffsrumpf wie entfernte Applausgeräusche wirkte.
Bis Massilia verlief alles angenehm. Dort ließ sie sich eine Tunika aus gallischem Leinen schneidern, überraschend weich, wenn auch nach barbarischen Vorstellungen geschnitten. In Lugdunum wurde sie von einem örtlichen Scriba empfangen, der ihr eine Brosche aus Zinn schenkte. Zinn! Sie lachte so schallend, dass sogar die Legionäre die Köpfe wandten.
Doch nichts hatte sie auf Britannia vorbereiten können. Der Himmel hing wie eine nasse Decke über dem Meer, das aussah wie ein aufgewühlter Schlammkessel. Selbst die Möwen schienen zu frieren. In Rutupiae setzte sie den ersten Fuß auf britannischen Boden und versank mit dem Absatz sofort im Matsch. Die Einheimischen starrten sie an, als wäre sie Minerva persönlich, wohl, weil sie nicht nach Hammel roch und keine groben Wollfetzen trug. Man reichte ihr heißes Wasser, das nach verbrannter Rinde schmeckte, und bot ihr eine Creme aus Schafsfett und Brennnesseln an. Der lokale Inbegriff von 'Luxus'.
Die Straße nach Londinium war kaum mehr als ein steiniger Kompromiss. Sie reiste in einer geschlossenen Kutsche, um ihr Haar vor der allgegenwärtigen Feuchtigkeit zu schützen. Draußen ritten acht junge Männer nebenher, ihre Eskorte, mit bewundernden Blicken, wie man sie eben jemandem schenkt, der aussieht wie eine Göttin aus Marmor, die durch einen Schweinestall gefahren wird.
Londinium. Endlich.
Die Kutsche rumpelte über das unverschämteste Pflaster, das je als 'Straße' bezeichnet worden war, und hielt mit einem seufzenden Schnauben der Pferde vor dem Stadttor oder dem, was als solches durchging. Zwei grob gemauerte Türme, deren Anblick Mitleid weckte. So also empfing Londinium seine Gäste. Sie überlegte, ob sie lachen oder weinen sollte, und entschied sich für ein überhebliches Naserümpfen. Es war neutral und dennoch beleidigend.
Ein stämmiger Legionär trat an die Kutsche, musterte sie zweifelnd, salutierte dann aber doch, wohl mehr aus Reflex als aus echtem Respekt. Sie erwiderte den Gruß nicht. Sie war nicht hier, um Disziplin zu loben.
Livia stieg zuerst aus, mit einem Tuch vor der Nase. "Es riecht nach nassem Fell, Herrin", sagte sie, was der Wahrheit erschreckend nahekam. Kaum hatte sie selbst den Fuß auf den Boden gesetzt, versank der Absatz erneut im allgegenwärtigen Matsch, einem Grau, so philosophisch in seiner Trostlosigkeit, dass man darin fast eine Idee hätte erkennen können. Um sie herum. Geklapper, Gestank, fremde Laute. Ein Marktschreier pries "frisch gepökelte Dachsrippen" an, eine alte Frau hielt ihnen ein Bündel Kräuter entgegen und versprach "Herzkraft gegen den Winter". Sie lächelte dünn. Offenbar musste man hier seinen Ekel essen, um zu überleben.
Ihre Eskorte bildete einen Kreis um sie, als man sie durch die Straßen trug, wie eine Göttin auf einem Opferzug. Nur dass in diesem Fall das Opfer wohl sie selbst war. Und die Götter, so schien es, hatten Britannia längst verlassen.
Londinium. Hier würde sie sterben. Oder schlimmer noch sich daran gewöhnen. Und das, dachte sie, wäre der eigentliche Untergang.
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