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Hundert Jahre Einsamkeit: Am Rande des Brunnenfestes
09-04-2024, 04:42 PM,
Beitrag #1
Hundert Jahre Einsamkeit: Am Rande des Brunnenfestes
Papa war schon eine ganze Weile fort. Er hatte mich einfach zurückgelassen. Ich war ganz allein!

Nun ja, das stimmte nicht ganz. Denn natürlich waren da ja noch die Sklaven. Wenigstens hatte er mir Nicander gelassen, nachdem er Cassia verkauft hatte. Nun war er mit seinem Schüler schon seit Wochen, ach was, seit Monaten fort und ich hatte schon lange kein Lebenszeichen mehr von ihm erhalten. Ich wusste gar nicht, ob er noch am Leben war, oder bereits längst im Elysium weilte. Jeden Tag betete ich zu den Göttern und opferte ihnen fast wöchentlich, dass er bald wieder wohlbehalten zu mir zurückkehrte. Bisher  hatten sie mein Bitten und Flehen aber nicht erhört.
Hätte ich gewusst, dass ich hier versauern würde, wäre ich niemals freiwillig mit nach Britannien gekommen! Nun saß ich in diesem öden Kaff fest, dass Massilia nicht mal ansatzweise Weise das Wasser reichen konnte. Das schlimmste aber war, ich vermisste ganz fürchterlich meine Freundinnen. Natürlich schickte ich ihnen regelmäßig Briefe. Aber bis ihre Antwortbriefe hier eintrafen, vergingen oft viele Wochen.

Ich brauchte dringend ein paar neue Freundinnen! Eine gute Gelegenheit dazu erschien mir das Einweihungsfest für diesen Brunnen zu sein, den ein einheimischer Künstler - ein echter Barbar mit langen blonden Haaren – angefertigt hatte. Ich hatte mir Nicander geschnappt und ihm gesagt, dass er mich begleiten sollte.

Na ja, der Brunnen sah ganz hübsch aus und auch das Essen, welches es umsonst gab, schien lecker zu sein. Zumindest roch es gut. Aber neue Freundinnen schien es hier nicht an jeder Straßenecke zu geben. Mein Blick war zwar kurzfristig auf zwei jüngere Frauen gefallen, die allerhöchstens zwei oder vielleicht auch drei Jahre älter als ich waren. Die eine glich mehr einer Bohnenstange. mit der es Mutter Natur nicht ganz so gut gemeint hatte. Bei näherem Hinsehen merkte ich auch bald, dass die beiden nicht nur schon verheiratet waren, sondern bereits schon schwanger waren. Wahrscheinlich würden sie sich mit einem 'kleinen Mädchen' wie mir gar nicht abgeben wollen.

Dann hatte ich auch noch Cassia flüchtig gesehen. Sie hielt ein kleines Mädchen auf dem Arm und trug es die ganze Zeit mit sich herum. Sie schien sehr beschäftig zu sein. Offenbar war sie in einem guten Haus  gelandet, mit einer freundlichen Herrschaft. Das freute mich für sie und machte mich auch gleichzeitig traurig. Ich wagte es nicht, sie anzusprechen, um zu vermeiden, dass ich hier vor allen Leuten auch noch losheulte, wie ein Kleinkind, dem man sein Spielzeug abgenommen hatte.
"Ach Nicander," seufzte ich schwer zu meinem Sklaven. "ich glaube, wir sollten wieder nach Hause gehen."
Eigentlich hätte ich noch etwas essen können. Die leckeren gebratenen Würstchen die es am Essensstand gab, rochen wirklich verführerisch. Aber irgendwie war mir der Hunger vergangen.
[Bild: 3_15_08_22_9_37_19.png]
Vormund: C. Numonius Pusinnus, Duumvir von Iscalis (NSC)
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09-05-2024, 11:39 AM,
Beitrag #2
RE: Hundert Jahre Einsamkeit: Am Rande des Brunnenfestes
Ein Grund dafür, dass ich nicht abhauen konnte, war Cassia, die ich hätte zurücklassen müssen. Aber ein zweiter Grund war, wenn ich aufrichtig war, die junge Domina Orestilla. Sie war in meinen Augen sanft und gut, und sie hätte niemals die Herzlosigkeit besessen, ihre kleine Freundin auf dem Sklavenmarkt feilbieten zu lassen. Außerdem hatte Norbana Orestilla als Einzige in der Casa Norbana wirklich ein Ohr für Poesie.
Wäre ich noch als ein freier Straßenkünstler unterwegs gewesen, hätte ich mit ihr flirten und ihr Komplimente machen können. Doch als ein Sklave ihres Haushalts musste ich mir ein anderes Benehmen zulegen. Das war nicht so schwierig - ich hatte ja in einigen Theaterstücken schon die Rolle eines Sklaven übernommen.
Domina Orestilla fühlte sich sichtlich unwohl. Sie kannte noch niemanden in Iscalis, und ihr Vater und dessen Gehilfe hatten sie im Städtchen alleine zurückgelassen, daher war sie alleine hier, außer mir selbstverständlich, aber ich zählte eher zum Inventar.
Ja, Iscalis war ein Ort in der Provinz, kein Viertel von Londinium, wie ich zunächst gehofft hatte.
Ich suchte ein schattiges Plätzchen mit einer Steinbank aus, die in der Nähe einer anderen Bank stand, auf der sich zwei römische Matronen angeregt unterhielten, und legte ein gepolstertes Kissen hin. Das Essen, das zur Feier der Brunneneröffnung gestiftet worden war, duftete gar köstlich:
" Domina Orestilla, du bist doch gerade erst angekommen. Möchtest du nicht ein wenig auf diesem bequemen Platz verweilen? Dein Diener holt Dir raschen Schrittes Labsal für Kehle und Magen. Es gibt....", ich spähte danach, was die anderen Leute aßen und hatte auch schon ihre Gespräche etwas belauscht:
" Ich hörte vom frischem Brot, von Grillfleisch und Würstchen reden. Und auch von honigwürzigen vielerlei Kuchen. Die blonde edle Dame da drüben hat gerade erwähnt, dass aus dem Brunnen selbst nur das Getränk des Bacchus strömt, dem Unsterblichen zum Lob. Doch bestimmt gibt es sowohl kühlen Quelltrunk als auch den süßen Saft, den die göttliche Ceres aus den Trauben schenkt, bevor er sich in Rausch verwandelt"

Als wohlerzogene römische Jungfrau hätte Norbana Orestilla nie Wein getrunken, zumindest nicht in der Öffentlichkeit.

Den Blick gesenkt wartete ich aufmerksam auf ihre Anweisungen. Wenn die Herrin dennoch schon gehen wollte, dann war es ihre Entscheidung. Doch ich hoffte sehr, dass sie etwas Vergnügen am Fest finden würde und vielleicht andere junge Damen kennen lerne. Sie lebte sehr zurückgezogen, fast schon einsam inmitten ihrer Dienerschaft.
Und ich hoffte,  dass ich ihr eine Dichtung über die Grazien, nach denen der neue Brunnen benannt wurde, aufsagen durfte. Nur in die Poesie konnte ich mein Herz legen.
[Bild: 1_26_01_24_4_43_25.jpeg]
[Bild: 3_15_08_22_9_43_44.png]
"Scheinsklave" Numerius Norbanus Paullus
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09-05-2024, 03:10 PM,
Beitrag #3
RE: Hundert Jahre Einsamkeit: Am Rande des Brunnenfestes
Als Vorsteher des städtischen Archives hatte Leander nun auch öffentliche Pflichten, die über die Repräsentation seines Hauses hinausgingen. Letztere waren sehr überschaubar, da Seneca dem wesentlich weniger wohlhabenden Zweig der Familie entstammte und Plautius Montanus bei jeder öffentlichen Gelegenheit, bei der es kostenloses Essen gab, zu finden sein würde. Leander hatte ja schon überlegt, sich Senecas Cousin freundschaftlich anzunähern, da dieser Familienzweig ohne Erben war. Leander war zwar nicht gierig im eigentlichen Sinne, aber er hatte genug dynastisches Denken in sich, um einen Verlust der Ländereien und guthaben an fremde Familien durchaus abwenden wollte.
Allerdings wäre seine Position dabei wesentlich besser, wenn er selbst mit einem Erben aufwarten könnte, denn auch er war schon gehobenen Alters. Und um allein Senecas Erbe anzutreten, ohne horrende Steuern darauf zu zahlen, waren Frau und Kind geboten.

Dies war neben der Repräsentation des Archives der zweite Grund, warum Leander sich hierher begeben hatte. Zwar hatte er das Gefühl, dass Furius Saturninus ihm durchaus auch zugetan war und Leander war nun niemand, der solch eine Freundschaft nicht aus rein praktischen Gründen schon schätzen würde, allerdings stand besagter Mann inzwischen in Iscalis auch in einem gewissen Ruf, in dessen Dunstkreis Leander seinen eigenen Ruf nicht wissen wollte. Also wäre das allein wohl nicht ausschlaggebend gewesen für Leanders Anwesenheit. Allerdings hatte er die Hoffnung noch nicht aufgegeben, in dieser Stadt noch eine akzeptable Ehefrau zu finden, die nicht seltsame Vorstellungen von Ehe hatte, zum Ruf von Furius Saturninus beitrug, unfruchtbar war oder fünf Mahlzeiten am Tag aß. Wer Rom für dekadent hielt, hatte sich noch nie mit Iscaler Damen unterhalten.

Allerdings war auf diesem Feld doch sehr wenig Fortschritt erzielt worden, so dass Leander sich auch schon frühzeitig verabschiedete und dabei war, sich zurückzuziehen. Er hatte sich so vom Getümmel um den Weinbrunnen zurückgezogen und machte sich auf, wieder zurück zur Domus Plautia zu gehen. Da fiel ihm am Rande der Veranstaltung eine junge Dame in den Blick, die er noch nicht kennengelernt hatte – und wie bereits erwähnt, kannte er die meisten Damen inzwischen zumindest namentlich – die recht unglücklich wirkte und sich mit einem jungen Mann unterhielt.
An dieser Stelle hätte Leander den beiden eigentlich schon keine Beachtung mehr geschenkt, denn Damen in Herrenbegleitung waren für eine direkte Ansprache ohnehin tabu, da es sich entweder um Ehepartner oder Familienangehörige handelte, aber er schnappte einige Fetzen der Unterhaltung auf, die klar machten, dass der Mann ein Sklave war und das Mädchen scheinbar alleine hier.

Beschützergefühle wären vermutlich ehrenhafter gewesen als Leanders tatsächliche Beweggründe, dennoch ging er einen Schritt auf das Mädchen zu, sie dabei unauffällig musternd. Sie war jung, aber durchaus in dem Alter, in dem sie eigentlich verheiratet sein sollte. Da aber kein Mann zugegen war und er keinen Ring an ihrer linken Hand entdeckte, standen die Chancen nicht ganz schlecht, dass sie bislang noch ledig war. Und selbst, wenn nicht, kannte er sie bislang noch nicht und konnte so vielleicht eine Verbindung zu ihrer Familie knüpfen.
Ihr Sklave war sehr blumig mit seiner Wortwahl. Vermutlich einer derjenigen Griechen, die dieses geckenhafte in ihr Wesen übernommen hatten, da es manchmal erwartet wurde. Leander war froh, dass niemals jemand selbiges von ihm verlangt hatte. Er käme sich lächerlich vor. Zum Glück war sein früherer Dominus Seneca kein Freund von Übertreibung und Theatersprechweise.
Leander räusperte sich leicht, damit sie nicht das Gefühl hatte, er würde sich anschleichen. “Salve. Hast du deine Verwandten aus dem Auge verloren und benötigst Geleit nach Hause?“ fragte er erst einmal unverbindlich. Denn immerhin hatte sie gesagt, sie wolle gehen, auch wenn ihr Sklave die undankbare Aufgabe übernommen hatte, sie zum bleiben zu überreden.
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09-07-2024, 08:08 PM,
Beitrag #4
RE: Hundert Jahre Einsamkeit: Am Rande des Brunnenfestes
Ach, mein guter Nicander! Mit allen Mitteln versuchte er, mich noch ein wenig länger auf diesem Fest zu halten. Er wollte mich mit Essen locken – mit Grillfleisch, Kuchen und Saft und sogar Wein. Aus seinem Mund klang das alles wie Poesie oder wie ein Theaterstück. Inzwischen fragte ich mich wirklich, ob er sich hier in diesem Kaff wohlfühlte. Zwar lebte er hier unter wesentlich besseren Bedingungen als in Londinium, doch er konnte kein Theater mehr auf der Straße spielen und hatte seine kleine Freundin verloren, die Papa mir damals bei unserer Ankunft gekauft hatte. Cassia war zwar immer noch hier in Iscalis, wie ich gesehen hatte, doch lebte sie nun in einem anderen Haus und unter einer anderen Herrschaft.

"Eigentlich habe ich gar keinen Hunger und den kühlen Quelltrunk gibt es auch zu Hause. Und Wein? Den habe ich noch nie getrunken! Und ich glaube, ich sollte heute auch nicht damit anfangen. Also am besten, wir gehen jetzt!" Wie kam er nur darauf, ich könnte Wein trinken wollen? Seltsam, diese Griechen! Also erhob ich mich von meinem schattigen Plätzchen, das mir der gute Nicander zuvor gesucht hatte. Ich war wirklich entschlossen, zurück zur Casa Norbana zu gehen. 
Doch dann kam mir der Gedanke, dass Nicander womöglich noch bleiben wollte, weil er sich gerne mit Cassia unterhalten wollte. Natürlich wagte er nicht, mich danach zu fragen. Aber ehe ich etwas sagen konnte, stand plötzlich dieser großgewachsene ältere Herr vor mir und räusperte sich. Zwar war er gewiss noch nicht so alt wie mein Vater, an seinem geplegten Bert aber hatte er bereits einige graue Haare. Er fragte, ob ich meine Verwandten aus den Augen verloren hätte und ob er mich nach Hause geleiten dürfte. Ich sah ganz verdutzt zu ihm auf und brauchte einen Moment, bis ich meine Sprache wiederfand. 
"Meine Verwandten? Aus den Augen? Das kann man wohl sagen!" entgegnete ich ihm. Aber im nächsten Moment schien es mir schon wieder dumm, das gesagt zu haben. Schließlich wollte ich nicht wildfremde Leute mit meinen Problemen langweilen. Aber dann dachte ich mir, dass es doch eine nette Idee sein könnte, wenn dieser freundliche Mann mich nach Hause begleiten würde. Dann würden alle, die mich noch für ein Kind hielten, endlich sehen, dass ich doch schon fast eine junge Frau war. 
"Aber gerne doch!", rief ich und warf einen kurzen, aber schelmischen Blick zu dem guten Nicander. "Mein Name ist übrigens Norbana Orestilla. Ich bin die Tochter des großen Gelehrten Numerius Norbanus Paullus." Natürlich übertrieb ich wieder maßlos, denn wahrscheinlich kannte meinen Vater kein Schwein. "Und wie ist dein werter Name?" Schließlich wollte ich ja wissen, wem ich mich anvertraute.
[Bild: 3_15_08_22_9_37_19.png]
Vormund: C. Numonius Pusinnus, Duumvir von Iscalis (NSC)
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09-08-2024, 02:15 PM,
Beitrag #5
RE: Hundert Jahre Einsamkeit: Am Rande des Brunnenfestes
Leander wusste nicht, wie er ihren ersten Gefühlsausbruch deuten sollte, interpretierte es aber wohl so, dass sie sich wohl verlaufen hatte. Auch wenn Iscalis nicht wirklich groß und die Straßen nach guter römischer Kolonisierung im rechten Winkel zueinander angelegt waren und sie hier auf dem Hauptplatz der Stadt waren zwischen Verwaltung, Thermen und Forum. Aber vermutlich war sie noch neu in der Stadt, was auch erklärte, warum er sie noch nie gesehen hatte und auch nichts von ihren verwandten wusste.

“Ich hatte bislang noch nie das Vergnügen mit dem Gelehrten Numerius Norbanus Paullus. Daher müsstest du mir sagen, wo dein Zuhause ist, damit ich dich dahin geleiten kann“, meinte Leander also freundlich und schob mit der Andeutung eines Lächelns nach. “Mein Name ist Caius Plautius Leander, der Erbe des hohen Rechtsgelehrten Caius Plautius Seneca.“

Damit war die Vorstellung vollzogen und Leander überlegte, ob er irgendetwas über die Gens Norbana denn wusste, oder über den genannten Vater. Die Norbani hatten einige Consuln hervorgebracht im Laufe ihrer Geschichte, davon einen recht berühmten, der von Sulla in den Selbstmord getrieben worden war. Aber in letzter Zeit war es eher ruhig um die Familienmitglieder geworden. Leander erinnerte sich schwach an einen Speichellecker um den jüngeren Sohn des verstorbenen Kaisers und Bruder des jetzigen, Domitian. Aber der benannte Gelehrte sagte ihm nichts.
“Hat dein Vater Schriften veröffentlicht, die ich gelesen haben könnte?“ fragte er also nach, um herauszufinden, ob der Gelehrte eher Botaniker war oder gelangweilter Senatorenspross mit eigentlich wenig Ahnung vom Leben. Dass er kein Rechtsgelehrter sein konnte (zumindest kein berühmter), wusste Leander, denn sonst hätte er den Namen gekannt.
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09-12-2024, 02:56 PM,
Beitrag #6
RE: Hundert Jahre Einsamkeit: Am Rande des Brunnenfestes
Woher wusste ich nur, dass der nette Mann das sagen würde? Natürlich kannte er meinen Vater nicht. Woher auch? Manchmal fragte ich mich, ob es überhaupt jemanden auf der großen weiten Welt gab, der meinen Vater kannte und sich auch noch für die Forschungen  meines Vaters interessierte.

"Ach tatsächlich?" fragte ich überrascht. "Nun ja, das liegt wahrscheinlich daran, dass er oft unterwegs ist. Er geht nämlich häufig auf Expeditionen, musst du wissen," erklärte ich ihm dann altklug. "Ich wohne übrigens in der Casa Norbana. Die ist in der Via Orientalis zu finden." Eigentlich war Papas Haus nicht weit vom Forum entfernt. Nur ein paar Straßen weiter. Schließlich war Iscalis keine große Stadt. Aber wenn der nette Mann mit dem charmanten Lächeln und der freundlichen Stimme mich unbedingt nach Hause begleiten wollte, hatte ich nichts dagegen.

Er stellte sich mir dann auch noch vor: Caius Plautius Leander. Ein hübscher Name, auch wenn das Cognomen eher griechisch klang. "Freut mich, dich kennenzulernen, Caius Plautius Leander! Also, wenn du möchtest, darfst du mich gerne nach Hause begleiten,“ entgegnete ich ihm lächelnd.

Er war der Erbe eines hohen Rechtsgelehrten. Das klang sehr beeindruckend und irgendwie fand ich, dass wir gut zusammenpassten, da unsere Väter beide Gelehrte waren, wenn auch in unterschiedlichen Disziplinen zu Hause. "Aha, dann weißt du ja sicher, wie das ist," meinte ich und begann dann mein Leid zu klagen. "Ist dein Vater auch manchmal etwas seltsam und mit den Gedanken schon ganz woanders? Bei meinem Vater ist das nämlich so. Er war schon ganz versessen darauf, die wilden Barbaren in Hibernia zu besuchen, um aufzuschreiben, wie sie dort leben und was sie sonst noch den lieben langen Tag machen. Und wahrscheinlich ist er das immer noch, denn ich habe seit Wochen nichts mehr von ihm gehört. Er hat auch einige Abhandlungen über andere Barbaren geschrieben, die im Norden leben.“ Doch diesmal war er auf eine weit gefährlichere Reise gegangen, die ihn sogar über das Meer im Westen nach Hibernia geführt hatte. Eigentlich sollte ich mir wirklich große Sorgen um ihn machen. Aber ich wollte den Gedanken daran verdrängen, dass ihm etwas Schlimmes zugestoßen sein könnte. Zweifelsohne tat es gut, einmal mit jemand darüber zu sprechen.
[Bild: 3_15_08_22_9_37_19.png]
Vormund: C. Numonius Pusinnus, Duumvir von Iscalis (NSC)
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09-12-2024, 06:20 PM,
Beitrag #7
RE: Hundert Jahre Einsamkeit: Am Rande des Brunnenfestes
“Expeditionen?“ wiederholte Leander zwischen Neugier und Verwirrung und setzte sich neben der jungen Dame und vor ihrem Sklaven mit dieser in Gang. Die genannte Straße kannte er, sie war nicht wirklich weit entfernt und er fragte sich, wie man sich auf diesem kurzen Stück verirren konnte, aber wahrscheinlich war sie wirklich noch neu in der Stadt und hatte das Haus bislang nicht verlassen.

Währenddessen erzählte sie weiter, und Leander fand die Erzählung ein wenig besorgniserregend. Die junge Frau erzählte so leicht davon, dass ihr Vater seit Wochen verschwunden war, dass er annehmen musste, dass dies häufiger geschah. “Also hat er dich hier bei seinen Verwandten gelassen, ehe er aufgebrochen ist?“ fragte Leander sicherheitshalber noch einmal nach. Denn welcher unverantwortliche Mensch ließ eine junge, unverheiratete Frau – Leander schloss aus ihrer Erzählung – wochenlang alleine? Nungut, dieser jemand hätte auch Plautius Seneca sein können, wenn sich ihm die Gelegenheit geboten hätte. Aber bei allem, was man seinem früheren Dominus auch vorwerfen mochte, er hatte immerhin erst dafür gesorgt, dass alle seine Töchter verheiratet waren, ehe er davongezogen war.
“Rechtsgelehrte pflegen eher selten, viel herumzureisen, werte Norbana Orestilla, und noch seltener, wenn es gefährlich und unbequem zu werden verspricht. Aber eine recht individuelle Art ist wohl allen Gelehrten zueigen.“ Natürlich würde Leander nie etwas schlechtes über Seneca sagen, erst recht nicht in der Öffentlichkeit und zweimal nicht gegenüber einer jungen Dame, die vielleicht doch die Thermen besuchte und auch da redselig sein könnte. Dennoch wählte er seine Worte freundlich, fast schon mit leicht schelmischem Unterton, wie er in langen Jahren als Sklave gelernt hatte, die eigene Meinung amüsant und vieldeutig anzubringen, ohne dass ihm daraus Ärger erwachsen würde.

“Und du hast seit Wochen nichts von ihm gehört?“ Wenn man mit Barbaren zu tun hatte und wochenlang keine Nachricht erhielt, ging das häufig eher schlecht aus.
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09-25-2024, 06:26 PM,
Beitrag #8
RE: Hundert Jahre Einsamkeit: Am Rande des Brunnenfestes
Als ich neben Plautius Leander ging, spürte ich seine Blicke und hörte den leichten Zweifel in seiner Stimme. Expeditionen – ja, das war es, was ich gesagt hatte. Leander hatte das Wort wiederholt, als wäre es ihm fremd, als könnte er sich nicht recht vorstellen, warum jemand wie mein Vater, ein Gelehrter, sich in solch gefährliche Unternehmungen stürzen würde.

"Ja, wie ich schon sagte, mein Vater ist schon oft gereist, um neue Entdeckungen zu machen, und diese Reise..." Ich seufzte leise, während ich sprach. Meine Worte waren sanft, aber durchzogen von einer leichten Besorgnis. Dann stockte meine Stimme einen Moment, und fuhr dann fort, "sie ist anders. Viel länger und gefährlicher. Aber er sagte, ich solle mir keine Sorgen machen." Meine Augen wanderten kurz zu Leander, suchten nach einem Funken Verständnis, auch wenn ich ihm nicht die ganze Last meiner Sorgen aufbürden wollte. 
"Er hat mich hier gelassen, bei unseren Sklaven. Alle meine Verwandten leben alle in Massilia. Ich bin hier ganz allein!"

Plautius Leander sprach freundlich, fast schelmisch, als er bemerkte, dass Gelehrte selten lange und gefährliche Reisen unternähmen. Seine Worte wirkten beruhigend, und doch spürte ich einen Hauch von Unsicherheit in seinen Fragen. Er wollte wissen, ob ich  wirklich nichts von meinem Vater gehört hatte. Sie konnte ihm nur offen antworten.
"Nein, keine Nachricht, keine Botschaft. Aber... das ist nicht ungewöhnlich." Ich versuchte, mehr Zuversicht in meine Stimme zu legen, als ich tatsächlich fühlte und biss mir auf die Unterlippe, da ich versuchte, meine Nervosität hinter einem kleinen Lächeln zu verbergen. "Du kannst dir sicher vorstellen, wie schwer es ist, sich keine Sorgen zu machen, wenn es so lange still bleibt." Ich hielt inne, weil mir eine kleine Träne entwischt war und nun über meine Wange kullerte. Ich wischte sie schnell fort. "Mein Vater hat immer seinen Weg nach Hause gefunden. Ich hoffe, dass er bald zurückkehrt," erklärte ich dann, jedoch wusste ich nicht, ob ich meinen eigenen Worten vertrauen konnte. In Gedanken fragte ich mich, ob Plautius Leander mich vielleicht für naiv hielt, dass ich die Abwesenheit meines Vaters scheinbar so leicht hinnahm. Doch was sollte ich tun? Ich konnte allein nicht viel ausrichten außer warten. Und trotzdem – etwas in Plautius Leanders Gegenwart, seine ruhige Aufmerksamkeit, gab mir das Gefühl, dass ich ihm vertrauen konnte, selbst wenn er Fragen stellte, die mich selbst beschäftigten.
[Bild: 3_15_08_22_9_37_19.png]
Vormund: C. Numonius Pusinnus, Duumvir von Iscalis (NSC)
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09-26-2024, 07:03 PM,
Beitrag #9
RE: Hundert Jahre Einsamkeit: Am Rande des Brunnenfestes
Ihr schien es nicht besonders viel auszumachen, dass ihr Vater sie scheinbar fernab sämtlicher Verwandten zurückgelassen hatte. Leander schloss daraus, dass es wohl nicht das erste Mal war.  Und sie bestätigte es auch im Laufe der weiteren Unterhaltung, ebenso, wie dass er sie im Unklaren über seinen eigenen Zustand ließ.
Leander versuchte einen Moment lang, die richtigen, diplomatischen Worte zu finden, aber sie wollten ihm, der sonst immer zurückhaltende und ruhige Worte fand, beim besten Willen nicht einfallen.
“Verzeih, wenn ich es sehr direkt sagen muss, aber das Verhalten deines Vaters ist unverantwortlich. Man kann doch eine junge Frau nicht völlig sich selbst überlassen, ohne sie wenigstens einem Vormund oder einem Verlobten oder Ehemann anzuvertrauen, der ihre Interessen wahrt und vertritt und ihre Ehre schützt. Was wäre, wenn ich ein Krimineller wäre, der sich an dir vergreift, während er ohne jegliche Nachricht bei den Barbaren weilt?“
Natürlich war Leander kein Krimineller und er wahrte auch einen gesitteten Abstand zu der jungen Frau, der weder ihn noch sie zum Gerede der Leute lassen würde und die Keuschheit ihrer Ehre wahrte. Aber das Mädchen war definitiv alt genug für eine Ehe und all die Handlungen, die damit einhergingen, selbst dann, wenn sie nicht in einer Ehe stattfänden. Und eine junge Frau ganz allein ohne schützende Männer um sie herum war für die wirklich üblen kerle eine allzu leichte Beute.

“Ich weiß, es steht einer Tochter nicht zu, Kritik an ihrem Vater zu üben. Aber ich hoffe, du verzeihst mir, wenn ich deinen Fall mit dem Duumvirn bespreche, damit er dir einen Vormund zur Seite stellt, der deine Interessen hier in der Stadt vertreten kann, sollte etwas geschehen, wofür du rechtlichen oder physischen Beistand brauchst.“
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09-27-2024, 04:54 PM,
Beitrag #10
RE: Hundert Jahre Einsamkeit: Am Rande des Brunnenfestes
Ich ging hinter den beiden her, wobei ich aufmerksam blieb, falls meine Domina mir einen Befehl zu geben wünschte. 
Aber als Plautius Leander nun meinte, dass Norbana Orestilla ohne väterlichen Beistand ganz und gar schutzlos auf dieser Welt sei und ein kriminelles Subjekt versuchen konnte, feige und hinterhältig sich ihrer süßen, reinen Unschuld zu bemächtigen, da schnaubte ich ganz leise durch die Nase. 
Sollte er es nur wagen, der ruchlose Bösewicht. Nicander war schließlich auch noch da. Aufs Maul würde ich den Missetäter hauen, um Domina Orestilla zu beschützen, und dann zertreten, zerfleischen, in kleine Stückchen hacken und auf den Stückchen noch herumtrampeln, so dass keiner den Leichnam je wieder fände,  um ihn anständig zu begraben und er dazu verdammt wäre, für alle Zeiten als Gespenst zu spuken. Da war ich so wenig milde wie der übelste Grobian aus einer Atellanenposse

Ich beobachtete den Plautius und dachte zunächst, dass er Domina Orestilla nur in die Ohren blies, um sie von seinen Qualitäten zu beeindrucken. Doch die Stimme und der Ausdruck des Römers verrieten mir, dass er sich nicht verstellte: Seine Besorgnis war echt. Sein Unverständnis gegenüber ihres Vaters war ebenso wenig gespielt. 
Auch ich war schlecht auf den Dominus zu sprechen. Hatte er doch meine kleine Cassia weiterverkauft. 
So tat es mir in der Seele wohl, wie der ehrenwerte Plautius Leander meinen gedankenlosen Herren unverantwortlich nannte. Doch mit ganz und gar harmlosen Gesichtsausdruck folgte ich den Beiden.
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[Bild: 3_15_08_22_9_43_44.png]
"Scheinsklave" Numerius Norbanus Paullus
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