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Ein neuer Sabinier im Haus - oder: Der Bruder, der ein Vetter war
04-28-2024, 03:36 PM,
Beitrag #1
Ein neuer Sabinier im Haus - oder: Der Bruder, der ein Vetter war
Nachdem mein Vetter Bellus spät in der Nacht eingetroffen war und die Sklaven mich aus dem Schlaf gerissen hatten, fand ich nur schwer wieder in den Schlaf zurück. Mein Kopf war voller Fragen – insbesondere über den Verbleib meines Halbbruders und die Gründe für Bellus' unerwartete Reise nach Britannien. Warum hatte Onkel Quintus mich nicht über seine Ankunft informiert? Diese und weitere Fragen ließen mich den Rest der Nacht unruhig verbringen.

Am Morgen, frisch gewaschen und von Midas angekleidet, begnügte ich mich mit einem einfachen Frühstück aus etwas Puls. Das musste reichen. Dann zog ich mich ins Tablinum zurück, wie ich es jeden Morgen tat, und wies Midas an, meinen Vetter zu mir zu bitten, sobald er bereit war. Ich bat ihn auch, meine Frau über Bellus' Ankunft zu informieren und sie zu uns zu holen.

Während ich mich den Briefen widmete, kam Beatus herein. Ich beauftragte den Jungen, in der Stadt nachzuforschen, ob kürzlich ein junger römischer Mann von etwa achtzehn Jahren angekommen war und wo er sich aufhalten könnte. Beatus machte sich sogleich auf den Weg, und ich nutzte die verbleibende Zeit, um mich weiter meinen Briefen zu widmen, bis mein Vetter eintreten würde.
[Bild: 3_15_08_22_9_36_30.png]

Honoratior von Iscalis
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04-29-2024, 01:33 PM,
Beitrag #2
RE: Ein neuer Sabinier im Haus - oder: Der Bruder, der ein Vetter war
Es war zu vorgerückter Stunde gewesen, dass ich nach langer Reise von meiner Heimatstadt Ostia aus in Iscalis in der Casa Sabinia angekommen war. Das Nachtmahl, welches man mir dort noch so wohlwollend gereicht hatte, hatte mich gestärkt, das erste Kennenlernen meines Cousins und Hausherrn Marcus Sabinius Merula hatte mich sehr gefreut, aber schon auf dem Weg in mein Cubiculum, das mir in der Casa Sabinia hergerichtet worden war, befiel mich nachher eine große Müdigkeit, der ich auch nicht mehr Herr wurde, und so warf ich mich in meinem neuen Zimmer einfach nur noch auf das komfortable Bett und fiel gleich in einen tiefen Schlaf.

Ja, ich hätte am nächsten Morgen noch lange weiter schlummern können, doch hatte ich die Sklavin Dana noch am Vorabend darum gebeten, dafür zu sorgen, dass ich recht zeitig geweckt werden würde. Schließlich hatte ich noch so einiges vorzubereiten, bevor ich mich als neuer Familienangehöriger ausführlicher würde vorstellen müssen. Vor allem kam es darauf an, ein ganz anderes Erscheinungsbild abzugeben als am Abend zuvor, als ich durchnässt und wahrscheinlich ziemlich abgerissen an die Porta der Casa Sabinia geklopft hatte. Für ein Bad war zwar nicht die richtige Tageszeit, aber ich wusch mich immerhin gründlich und konnte auch mit einiger Genugtuung feststellen, dass die "bessere" grüne Tunika, welche ich in meiner Reisetasche mit mir geführt hatte, den Regen des Vortags gut überstanden hatte. Befriedigt zog ich sie über, strich sie noch einmal an meinem Leib glatt und nahm dann ein kleines Frühstück zu mir, so dass ich Merula und vor allem natürlich seiner Ehefrau nicht bloß nicht mehr verdreckt, sondern auch nicht mit knurrendem Magen gegenüberzutreten brauchte. Mit einem kleinen Lederbeutel in der Hand, den ich ebenfalls in meiner Reisetasche transportiert hatte, trat ich dann den Weg in das Erdgeschoss der Casa Sabinia an, wo mein Vetter, wie mir gesagt worden war, auf mich im Tablinum wartete.

In diesem Raum fand ich meinen Cousin mit einigen Schriftstücken um sich herum vor: "Guten Morgen, Merula. Ich hoffe, du hattest eine angenehme Nacht." Dass ich meinen Vetter zunächst alleine traf, machte es für mich einfacher, das für mich zutiefst Unangenehme, aber doch auch Unvermeidliche anzugehen: "Jetzt an diesem neuen Tag ist es wohl Zeit für mich, dir reinen Wein einzuschenken, was mich hierher getrieben hat. Nun, um es kurz zu machen: Sie hieß Alissa."

Natürlich steckte eine Frau hinter dem ganzen Elend. Oder vielleicht musste ich ehrlicher sagen: Hinter allem steckte mein Verlangen nach dieser Frau. "Ich habe diese Frau in Ostia kennengelernt, sie lebte etwas außerhalb der Stadt. Mein Vetter, ich sage dir, ich war noch nie so verliebt in eine Frau wie in sie, richtig vernarrt war ich in sie." Bei diesen Worten sah ich Merula direkt an, senkte aber sofort wieder meinen Blick, weil ich selbst bemerkte, welchen Glanz meine Augen wohl schon wieder ausstrahlten, wenn ich nur an ihren Gang dachte, an ihr Lächeln, ihre feinen Brauen, ihren Mund.

"Sie stammte aus Syria. Wir haben uns in Ostia nur einige Male getroffen, immer in der Öffentlichkeit, versteht sich, und ich habe sie umgarnt und mich dabei wahrscheinlich zum Idioten gemacht." Ob sie auch nur annähernd so viel für mich empfunden hatte wie ich für sie, würde ich nie erfahren. "Aber das ist bei weitem nicht das Schlimmste. Eigentlich ist es jetzt sogar ganz unwichtig. Denn eines Tages verschwand sie plötzlich von der Bildfläche. Und Vater - also mein Vater - erfuhr unter der Hand, dass sie zwar vielleicht wirklich aus Syria kam, aber keineswegs 'Alissa' hieß, sondern 'Fariyane', und aus einer ursprünglich parthischen Familie stammte."  Auch wenn Merula hier denkbar weit entfernt lebte, so hatte er wohl sicher schon von unseren Spannungen mit dem Partherreich im Osten gehört. "Von ihrer parthischen Herkunft hatte ich natürlich überhaupt keine Ahnung. Die Prätorianer sollen ihr schließlich nachgestellt haben, so dass sie sich aus dem Staub machen musste. Und damit nicht am Ende noch ich selbst irgendwie da mit hineingezogen würde, kamen Vater und ich zu dem Entschluss, dass ich Ostia und Italia so schnell wie möglich verlassen und Belenus hinterher zu dir nach Britannia übersiedeln sollte." Als wäre dies alles nicht schon genug, fügte ich noch an: "Ich habe deshalb vor, dauerhaft hier in Iscalis zu bleiben, und habe auch schon Pläne für meine Zukunft."

Damit war ich von meiner Seite aus mit der unrühmlichen Erzählung, was mich aus Ostia hierher vertrieben hatte, an ein Ende gekommen. Gleich anschließend hätte ich mit der Schilderung der Schwierigkeiten auf meiner Reise fortfahren können, doch wollte ich meinem Vetter erst einmal Zeit geben, das bereits Gehörte zu verdauen.
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05-01-2024, 08:42 AM,
Beitrag #3
RE: Ein neuer Sabinier im Haus - oder: Der Bruder, der ein Vetter war
Die Stille des Tablinums, umgeben von den Schriftrollen, die in eigens dafür in angefertigten Regalen, lagerten. Auf meinem Schreibtisch lagen die geöffneten Briefe, die ich inzwischen alle gelesen hatte. Nun begann ich für Ordnung zu sorgen, denn Ordnung war das höchste Gut. Ordnung begann hier im Kleinsten auf meinem Schreibtisch und endete mit der Ordnung, im Staate und jener Ordnung, die wir den Barbaren brachten. Alles hatte seine natürliche Ordnung, Sie galt es, zu bewahren!

Als mein Vetter Bellus eintrat, bot sein adrettes Erscheinungsbild einen starken Kontrast zu seiner abgerissenen Gestalt vom Vorabend. "Bellus! Guten Morgen!" begrüßte ich ihn mit einem Lächeln. "Danke, ich kann nicht klagen. Ich hoffe, du hast auch gut geschlafen und bist nun etwas ausgeruhter." Meine eigenen schlaflosen Stunden behielt ich für mich, denn Klagen über solche Belanglosigkeiten waren mir fremd.
Ich bat ihn, Platz zu nehmen, um die ungeklärten Angelegenheiten zu besprechen. Zu meiner Zufriedenheit kam Bellus schnell auf den Punkt und offenbarte, dass eine Frau der Grund für seine Reise war. Während ich seinen Erzählungen lauschte, fragte ich mich, ob eine Frauengeschichte wirklich einen solch weiten Weg rechtfertigte. Als er von ihr sprach, leuchteten seine Augen. er schien diese Frau wirklich geliebt zu haben. Doch die Enthüllung, dass sie eine Partherin war, ließ mich ernst werden. Womöglich war sie eine parthische Spionin, wenn sich sogar die Prätorianier für sie interessiert hatten. Die Parther waren schon seit langem unsere ärgsten Feinde im Osten.

"Die Liebe ist eine mächtige Kraft," murmelte ich, während ich eine Schriftrolle beiseite legte. "Doch wir Römer müssen uns von Pietas leiten lassen – der Pflicht gegenüber den Göttern, dem Staat und der Familie." Ich fixierte meinen Vetter, um seine Prioritäten zu ergründen. "Es war eine gute Entscheidung, Ostia zu verlassen. Dir liegt hoffentlich nichts mehr an dieser Frau."
Ich musste ihm klar machen, dass ich, in dem Moment, da er mein Haus betreten hatte, eine Verantwortung ihm gegenüber hatte, die ich nicht abweisen würde. "Es ist die Gravitas, die Würde und Ernsthaftigkeit, mit der wir unser Leben führen müssen. Du bist jetzt hier, unter meinem Dach, und es ist meine Pflicht, dich zu schützen. Du wirst hier also ein neues Leben beginnen. Aber sei dir meiner Hilfe gewiss! Aber du musst mir nur versprechen, dass du dich würdig erweisen wirst."

Bellus schien bereits voller Tatendrang zu sein und hatte Pläne für seine Zukunft. "Wie sehen deine Pläne aus, Bellus?" fragte ich. Eine militärische Laufbahn könnte eine gute Option zu sein. Natürlich war ich bereit, ihm dabei zu helfen.
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Honoratior von Iscalis
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05-03-2024, 03:10 PM,
Beitrag #4
RE: Ein neuer Sabinier im Haus - oder: Der Bruder, der ein Vetter war
Nach dem Eingeständnis der delikaten Schwierigkeiten, die zu meinem raschen Abgang aus Ostia geführt hatten, wartete ich angespannt auf die Reaktion meines Cousins Merula. Unwillkürlich fiel mein Blick dabei auf den Schreibtisch und die Ordnung, in die der Hausherr der Casa Sabinia in Iscalis die verschiedenen Schriftstücke, die auf dem Schreibtisch ausgebreitet waren, gebracht zu haben schien. Und zur Ordnung riefen mich dann irgendwie auch die Worte, die mein älterer Verwandter schließlich an mich richtete: Prägnant erinnerte er an die römischen Grundtugenden der Pietas und der Gravitas, versicherte mich im gleichen Atemzug aber auch seiner Unterstützung.

Erleichtert griff ich seine Rede auf: "Danke für deine Offenheit, lieber Vetter. Mir ist natürlich klar, dass ich mich mit meinem Verhalten in Ostia nicht gerade mit Ruhm bekleckert, sondern mich wohl eher zum Narren gemacht habe." Jedenfalls war mein damaliges Verhalten natürlich kein Beispiel für Gravitas und Pietas gewesen.

Aber bei solchen Allgemeinplätzen wollte ich es nicht belassen, schließlich hatte Merula mir auch eindringlich nahegelegt, dass mir hoffentlich nichts mehr an meiner früheren Angebeteten liege, und darauf war ich meinem Cousin eine ehrliche Antwort schuldig: "Ich habe mich natürlich schon öfter gefragt, was ich tun würde, wenn diese Frau nun plötzlich wieder vor mir stehen würde, und ich muss gestehen, dass sie sicher nach wie vor eine große Wirkung auf mich hätte. Aber das wäre ganz sicher nicht mehr jene Faszination, die sie in Ostia auf mich ausüben konnte. Dieser Faszination bin ich ja sozusagen unter ganz falschen Voraussetzungen erlegen, eben weil ich nicht wusste, dass sie Partherin war. Mit diesem Wissen hätte ich mich ihrem Reiz bestimmt niemals so hingegeben." Schon allein der Gedanke an die Schwierigkeiten, in welche mich diese Liaison beinahe gebracht hätte, wäre da ein effektiver Schutz gewesen. "Deshalb kann ich dir auch guten Gewissens versprechen, dass ich alles tun werde, um mich deiner Hilfe als als würdig zu erweisen", sagte ich als Antwort auf die gleichlautende nachdrückliche und berechtigte Forderung meines Vetters.

Tatsächlich hatte ich ja zusammen mit meinem Vater auch schon gewisse Vorkehrungen getroffen: "Was meine Pläne angeht: Du weißt ja, was für eine geschäftige Hafenstadt Ostia ist. Im Laufe der Jahre bin ich dort verschiedenen Beschäftigungen nachgegangen und habe auch, so gleube ich jedenfalls, in einigen Bereichen eine gewisse Expertise aufgebaut. Das gilt ganz allgemein für die wirtschaftliche Führung eines Geschäfts, besonders aber auch für das Handwerk eines Fleischers, wo ich in den letzten Monaten recht selbständig gearbeitet habe." Der Besitzer der Fleischerei war nämlich an einer Reizung seiner Haut erkrankt, die es nicht opportun machte, sich in der Verarbeitung von Lebensmitteln zu betätigen, und ein Sklave, der schon Jahre in dem Betrieb gearbeitet hatte, war im Rahmen eines günstigen Angebots verkauft worden, so dass ich den Laden für einige Zeit lang fast hauptverantwortlich "geschmissen" hatte.

"Daher wäre ich gerne bereit, wieder in einer Fleischerei zu arbeiten. Ich wäre aber auch nicht abgeneigt, eventuell selbst eine Fleischerei zu eröffnen: Wie gesagt, habe ich in Ostia schon sehr selbständig und eigenverantwortlich gearbeitet und auch Einblicke in die kaufmännischen Aspekte der Führung eines Geschäfts gewonnen. Zusätzlich bringe ich auch ein gewisses Eigenkapital mit: Von meiner letzten wie von meinen vorherigen Beschäftigungen hatte ich eine gewisse Summe angespart, die mein Vater noch mehr als großzügig aufgerundet hat." Es war ihm - genau wie mir - ein großes Anliegen gewesen, dass ich unseren Verwandten in Iscalis nicht etwa auf der Tasche liegen würde, und so hatte er mir gleichsam einen Vorschuss auf mein Erbe gegeben.

"Auf meiner Reise hatte ich das Geld, das ich selbst angespart hatte, getrennt von dem Geld aufbewahrt, welches Vater mir geschenkt hatte. Auf der Suche nach einer ersten Orientierung bin ich dann leider kurz nach meiner Ankunft hier in Britannia an einen Mann geraten, der mir zunächst wirklich mit Land und Leuten behilflich war. Er hatte mir auch jemanden vermittelt, der eine Nachricht über meine Ankunft nach Iscalis bringen sollte." Das war jene Nachricht, die ich schon am Abend zuvor erwähnt hatte, als ich so unerwartet vor der Porta der Casa Sabinia gestanden hatte.

"Aber Merkur allein weiß, was aus dieser Nachricht geworden ist. Mein Bekannter selbst hat mich nämlich in der dritten Nacht nach unserem Zusammentreffen gemeinsam mit einem anderen Mann niedergeschlagen und mir den Geldbeutel mit meinen eigenen Ersparnissen geraubt. Den Beutel mit dem Geld meines Vaters hat er allerdings nicht gefunden. Glücklicherweise ist dies die größere Summe, aber der Verlust meines Ersparten brachte mich dazu, den restlichen Weg nach Iscalis nicht in einem Reisewagen zurückzulegen, sondern zu Fuß." Schließlich wollte ich mir meine Zukunftschancen nicht schon vorab durch Bequemlichkeit schmälern und musste daher mein verbliebenes Kapital zusammenhalten. Außerdem war der Kampf mit Wind und Wetter sicher auch gut für meine Abhärtung und Anpassung an das hiesige Klima gewesen.

Meinem Cousin Merula, der selbst in der Legion für Rom gekämpft und gelitten hatte, musste ich nach all meinen Schilderungen sicher wie ein naiver Schafskopf vorkommen: erst diese Frauengeschichte in Ostia, dann als Opfer eines Überfalls hier in Britannia. Ich war aber fest dazu entschlossen, aus meinen negativen Erfahrungen zu lernen, einmal gemachte Fehler nicht zu wiederholen und mich nun noch mehr als in Italia als nützliches Mitglied der Gesellschaft zu beweisen. Deshalb fügte ich noch hinzu: "Neben meinen beruflichen Plänen wäre es mir auch eine große Ehre, mich in den Dienst der Gemeinde hier in Iscalis zu stellen - und natürlich in deinen Dienst und den Dienst der Familie." Direkt danach zu fragen, ob Merula über seinen Veteranen-Status hinaus mit seiner wiederkehrenden Gesundheit noch andere eigene Pläne verfolgte, kam mir zu aufdringlich vor.
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05-05-2024, 03:27 PM,
Beitrag #5
RE: Ein neuer Sabinier im Haus - oder: Der Bruder, der ein Vetter war
Als mein Vetter seine Geschichte weiter erzählte und dabei nocheinmal diese Frau erwähnte, aber auch von seinen beruflichen Plänen sprach, nickte ich still.  Bellus Worte klangen ernst und sein Wunsch nach Veränderung war klar erkennbar. Das war auch gut so! Als Konsequenz hatte er sich dazu entschlossen, von nun an in Britannia zu leben, zugegebenermaßen im Vergleich zu Italia ein wildes und unwirtliches Land. Seine Reise hierher war lang und abenteuerlich gewesen, wie sich nun herausstellte. Offenbar war er einem Betrüger auf dem Leim gegangen, der nur auf sein Geld ausgewesen war. In Britannia wimmelte es nucht nur so von wilden Barbaren, auch der übelste römische Abschaum hatte sich in den Städten niedergelassen.
"Du hast wahrlich viel durchgemacht, Vetter”, begann ich. Meine Stimme klang warm und fest. "Und ich bewundere deine Entschlossenheit, aus deinen Erfahrungen zu lernen. Es ist wahr, dass das Leben uns oft auf Wege führt, die wir nicht erwarten, und dass wir manchmal stolpern. Aber es ist das Aufstehen, das zählt."
Ich lehnte mich zurück und fuhr fort: "Nach meiner Entlassung aus dem Militärdienst habe ich ein Stück Land erhalten, das an der Straße nach Dubris liegt und das nur darauf wartet, bewirtschaftet zu werden. Meine Frau und ich waren vor einigen Wochen dort und haben es uns angeschaut. Im Dort gibt es eine Quelle und Bäume. Wir haben Pläne, neben einer Imkerei dort auch eine Schweinezucht aufzubauen. Vielleicht können wir unsere Pläne mit deinen verbinden. Wir züchten die Schweine und du schlachtest sie und verkaufst das Fleisch in deiner Fleischerei. Würde sich das nicht gut anhören?" 
Auf meinem Gesicht zeichnete sich ein wages Lächeln ab, wie Bellus mein Angebot aufnehmen würde. Wenn wir uns zusammen taten, war uns beiden geholfen. Auch wenn mir persönlich der Beruf des Fleischers nicht viel bedeutete. Ich konnte mich mehr an Büchern und Literatur erfreuen. Weshalb ich auch plante, der Stadt diese auch näher zu bringen. Bei dem Gedanken daran sah ich aus dem Fenster, wo die ersten Zeichen des Frühlings zu erkennen waren. 
"Doch das ist nicht mein einziges Vorhaben. Ich war zwar Soldat, aber in meinem Herzen habe ich stets eine tiefe Liebe für Bücher gehegt. Ich träume davon, einen Buchladen oder vielleicht sogar eine Bibliothek hier in Iscalis zu eröffnen. Ein Ort, an dem Wissen und Geschichten geteilt werden können, ein Zufluchtsort für diejenigen, die Gefallen in den geschriebenen Worten finden." 
Noch war alles nur ein Traum, den ich lediglich meiner Frau anvertraut hatte - und nun auch Bellus. Doch ich plante bereits in naher Zukunft nach Londinium zu reisen. Doch zuvor wollte ich mich noch in Iscalis nach einer passenden Lokalität umschauen. Vielleicht konnte man hierbei zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Mit Bellus' Erfahrung als Fleischer und seinem kaufmännischen Verstand konnten sein und mein Traum Wirklichkeit werden. Dann konnten wir nicht nur unsere eigenen Geschäfte führen, sondern auch zum Wohlstand und zur Kultur unserer Heimatstadt beitragen.
[Bild: 3_15_08_22_9_36_30.png]

Honoratior von Iscalis
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05-11-2024, 02:21 PM,
Beitrag #6
RE: Ein neuer Sabinier im Haus - oder: Der Bruder, der ein Vetter war
Fast atemlos hatte ich meinem Vetter Merula von meinen Plänen erzählt, aber auch von den Schwierigkeiten, in die mich meine Naivität sowohl in Ostia als auch auf meinem Wege nach Iscalis gebracht hatten. Dankbar nahm ich wahr, dass er mich deswegen nicht etwa verurteilte oder gar verhöhnte, sondern mir im Gegenteil Mut zusprach. Ich nickte ihm erleichtert zu.

Gefesselt wurde meine Aufmerksamkeit dann aber richtig, als Merula seinerseits anfing, von seinen Zukunftsplänen zu sprechen. Ein Stück Land an der Straße nach Dubris... Der Name dieses Ortes sagte mir natürlich noch nichts, ja, ich hätte nicht einmal beschwören können, ob ich nicht möglicherweise schon auf meinem Weg nach Iscalis dort vorbeigekommen war. Merulas Beschreibungen aber weckten in mir sofort einige Phantasien: "Das, was du über dein Stück Land sagst, hört sich sehr interessant an. Eine eigene Quelle ist immer nützlich, und der Aufbau einer Schweinezucht wäre natürlich eine hervorragende Grundlage für einen Fleischerbetrieb. Selbstverständlich würde ich dir und deiner Gemahlin dabei so gut wie möglich zur Hand gehen."

Mir fehlte zwar konkrete Erfahrung in der Führung eines landwirtschaftlichen Hofes, denn in Ostia stammten die Tiere, die in unserer Fleischerei verarbeitet wurden, aus großen Latifundienwirtschaften, die sicher nicht mit dem Betrieb vergleichbar waren, den Merula und seine Frau vielleicht entstehen lassen würden. Doch war ich immerhin einige Male zum Aussuchen von Tieren und auch zum Schlachten mit auf die Latifundien genommen worden und hatte natürlich auch dies und das bei der täglichen Arbeit aufgeschnappt, so dass ich mir ein gewisses Bild machen konnte. Jedenfalls nahm ich diese Neuigkeiten von meinem Cousin hocherfreut auf: "Wenn es dir oder euch beiden möglich ist, könnten wir ja bald einmal zusammen zu diesem Stück Land fahren. Oder aber du beschreibst mir den Weg, und ich sehe mir das ganze in den nächsten Tagen vorab schon einmal alleine an."

Fast schon war ich in Aufbruchsstimmung, als Merula plötzlich eher besinnliche Töne anschlug und von seiner Leidenschaft für Bücher und Wissen erzählte. Der warme und aufrichtige Tenor seiner Worte berührte mich; wie, so fragte ich mich unwillkürlich, hatte er dieser seiner Liebe in jenen Zeiten nachgehen können, in denen er noch als aktiver Soldat im Dienst gestanden hatte? Auf jeden Fall wollte ich alles dafür tun, dass der Traum meines Vetters in naher Zukunft wahr werden würde: "Deine Ideen für einen Buchladen oder eine Bibliothek klingen sehr anziehend. Wenn ich kann, würde ich dich gerne dabei unterstützen. Sag' mir einfach, was du dafür von mir brauchst."

Insgeheim spürte ich, dass Merulas Vorhaben, einen Ort für "Wissen und Geschichten", so hatte er es selbst gerade genannt, in Iscalis zu etablieren, eine empfindliche Stelle bei mir traf. Obwohl ich in unmittelbarer Nähe zu Rom aufgewachsen war und dementsprechend natürlich auch Zugang zu gründlichen Schulen gehabt hatte, hatte ich den Weg zu echter Bildung eigentlich nie gefunden: Nachdem einmal die unerlässlichen Grundlagen erlernt waren, die jeder echte Römer beherrschen musste, hatten bei mir schon früh Nützlichkeitsaspekte im Vordergrund meiner Ausbildung gestanden. Sollte ich ausgerechnet hier, in der Provinz Britannia, diese Lücke ein wenig füllen können?
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