Forum

[Marcus Sabinius Merula]

Das Atrium 

In der Mitte des offenen Innenhofes befindet sich das Impluvium, in welchen sich das Regenwasser sammelt. es ist von vier tragenden Säulen gesäumt. Die Wände sind mit aufwändigen Fresken gestaltet. Des Weiteren befinden sich hier einige Bänke aus weißem Marmor. Vom Atrium aus gelangt man in diverse andere Räume, wie dem Tablinium, dem Triclinium, den Cubiculae der Familienmitglieder oder dem Peristyl.

[Alun]

Ich war den jungen Mann, einem Sklaven der Casa Sabinia, der Midas gerufen wurde, gefolgt. Er führte mich zu einem typisch römischen Stadthaus, das zwei Stockwerke hatte. Es war bei weitem von außen nicht so protzig, wie manche der neuen Häuser in Londinum, die man nach dem Aufstand Boudiccas wieder neu aufgebaut hatte. Dafür war es ein paar Jahre älter, wie mir schien.
Auch das Innere wartete nun nicht mit prallem Luxus auf. Es strahlte eher einen bescheidenen Wohlstand aus, so wie es wohl früher einmal Sitte gewesen war. Der Sklave nahm mich mit ins Haus hinein und bat mich, im Atrium so lange zu warten. Er wolle seinen Herrn in Kenntnis setzen, dass sich ein Bewerber im Haus befand. Ich nickte dankend und wartete. Dabei sah ich mich ein wenig im Atrium um, um eine Vorstellung von diesem Haus zu bekommen. 
Wenige Minuten später kam der Sklave zu mir zurück und bat mich, ihm zu folgen. Er brachte mich zu seinem Herrn ins Tablinum.
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[Accia Prisca]

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Der Ianitor hatte Prisca Bescheid gegeben, dass Militärtribun Ovidius Decula von der II. Legio Augusta mit ihr sprechen wollte. Eine Tatsache, die Prisca allein schon ängstlich stimmte. Warum sollte ein Tribun der Legion mit ihr sprechen wollen und nicht mit ihrem Mann? Sie überlegte kurz, ob sie von irgend etwas hätte Zeuge sein können, aber in den vergangenen Wochen war so rein gar nichts besonderes in ihrem Leben vorgefallen.
Und dann kam die zweite Vermutung, dass ihr Bruder irgend etwas angestellt hatte. Sie konnte sich zwar nicht vorstellen, dass er desertieren würde, aber das war so ziemlich der einzige Grund, warum irgendjemand sie aufsuchen sollte.

Ein bisschen nervös und mit schwitzigen Handflächen kam Prisca also ins Atrium, wo der Tribun schon wartete. Instinktiv machte sie sich etwas kleiner, da sie Angst hatte, sonst am Ende noch größer als er zu sein. “S-salve, Tribun Ovidius. Ich bin Accia Prisca.“ Ihre Stimme hatte sich einmal ungünstig piepsig überschlagen und sie schaute schnell zu Boden, weil es ihr sehr peinlich war, dass ihre Nervosität sich so gezeigt hatte. Ihr Bruder hätte sicher einige abfällige Bemerkungen dazu parat gehabt. “Möchtest du dich setzen? Mein Mann ist gerade noch unterwegs, aber wir können auf ihn warten?“ Prisca war sich ziemlich sicher, dass es ungehörig wäre, ohne ihren Mann vernommen zu werden, deshalb deutete sie den Sklaven auch explizit an, dazubleiben, damit sie nicht das Opfer von Gerede werden würde.

[Titus Ovidius Decula]

Der Centurio war ein vierschrötiger Mann, breitschultrig und kräftig gewesen. Accia Prisca, die nun eintrat,  machte auf mich einen anderen Eindruck. An ihr war alles lang und schmal, und sie war beinahe so groß wie ich selbst. Solche Größe war für eine Frau fast wie eine Missbildung. Im Gegensatz dazu war ihre Stimme jedoch sanft und mädchenhaft. Sie bot mir an, Platz zu nehmen. 
Ich schaute sie ernst an:
"Salve Accia Prisca. Nein, ich möchte mich nicht setzen. Und ich muss dich sprechen, nicht deinen Ehemann. Doch wäre es gut, wenn du deinen Dienern befiehlst, dir einen Stuhl zu bringen. Bitte setze du dich.  Denn ich habe eine betrübliche Nachricht für dich"
Soweit ich wusste, war Accia Prisca Tochter eines Soldaten, Schwester eines Soldaten, Frau eines Soldaten. Ich erwartete also von ihr die Haltung, die einer Römerin geziemte. Dennoch merkte ich, dass ich einen nahezu zartfühlenden Ton anschlug.

[Accia Prisca]

Dass er wirklich zu ihr wollte, verunsicherte Prisca irgendwie noch mehr. Dass er meinte, sie solle sich setzen und er habe eine schlechte Nachricht für sie, half bei diesem Gefühl erst recht nicht. Prisca knetete ein wenig ihre Hände, weil sie überlegte, ob es nicht ungebührlich wäre, zu sitzen, während der Gast stehen blieb. Allerdings war sie die Hausherrin, und bei einer Salutatio saß die Domina des Hauses ebenfalls neben ihrem Mann, während die Besucher standen. Allerdings war der Tribun kein Bittsteller.
Sie zögerte also kurz, unschlüssig, was das richtige war, ehe sie nickte und den Sklaven einen kleinen Wink gab. Die brachten auch sogleich einen Korbstuhl herbei und stellten ihn so, dass sie nur zwei Schritte gehen musste, um sich bequem zu setzen.
Jetzt bestand wenigstens nicht mehr die Gefahr, dass sie größer wäre als der Mann, und Prisca richtete sich züchtig gerade im Stuhl auf. “Hat mein Bruder etwas getan, das… das die Familienehre beschattet?“ fragte sie recht direkt nach dem, was sie befürchtete, als der Tribun sagte, er habe betrübliche Nachrichten. Ihr Bruder war ein Spieler und insgesamt kein netter Mensch. Auch wenn er Centurio gewesen war, gab es einige Dinge, die die Legion nicht duldete. Und sie hatte wenig Zweifel daran, dass ihr Bruder auch in solche Dinge verstrickt sein könnte.

[Titus Ovidius Decula]

Accia Prisca setzte sich.

"Nein , Domina, das hat er nicht", erwiderte ich automatisch auf ihre Frage und bemerkte, dass ich angesichts der stillen Würde der Acciusschwester eine Anrede benutzte, die mir selten bei Damen der Gesellschaft heraus rutschte: Domina, Hausherrin. Die modernen Römerinnen hatten die Werte unsererer Vorfahren schon längst verraten, waren wenig mehr als nur hübsch angemalte Huren. Ob die Tugend der Accia Prisca unfreiwillig oder freiwillig war, ich meinte sie hinter ihrer Züchtigkeit zu erahnen:

"Ich habe dir die traurige Mitteilung zu machen, dass dein Bruder, der Centurio Accius Florus, verstorben ist", die hässlichen Details würde ich ihr ersparen.
Dennoch musste ich ihr die Wahrheit sagen und eine Frage stellen. Denn auch wenn Bruder und Schwester unterschiedlichen Naturells waren, konnte es sein, dass sie vertrauliche Gespräche miteinander geführt hatten. Sie war doch seine einzige lebende Verwandte.
Ich machte eine Pause, um Accia Prisca zu erlauben, ihre Fassung wieder zu gewinnen. Ich schaute zur Seite, um sie nicht in Verlegenheit zu bringen.

[Accia Prisca]

Der Tribun verneinte ihre frage, und Prisca atmete erst einmal durch. Dass er sich nicht in Schwierigkeiten gebracht hatte, war beruhigend.

Für ungefähr fünf Sekunden.

Dann rückte Tribun Ovidius damit heraus, was der Grund seines Besuches war. Marcus Accius Florus war tot. Wie er getötet worden war, sagte er nicht. Prisca wusste nicht, ob ihr Bruder gerade einen Patrouilleneinsatz hatte, der ihn aus dem Legionslager herausgeführt hatte. Er vermied es, mit ihr zu reden, wann immer möglich, und, naja, so traurig war Prisca deshalb nicht. Wann immer er mit ihr redete, war er gemein gewesen. Es dauerte einen geschockten Moment, bis sie realisierte, dass er nie mehr gemein zu ihr sein würde. Und trotzdem fühlte sie nicht wirklich Erleichterung, nur zum Teil. Aber auch Schock und Angst und vielleicht sogar eine Spur von Trauer. Ihr letzter Verwandter, den sie noch gekannt hatte, war tot. Sie wusste, dass es in Gallia noch ein paar Menschen ihrer Gens gab, die weitläufig mit ihrem Vater verwandt waren, aber die kannte sie alle nicht.
Bestürzt sah sie noch intensiver zu Boden. Die Sitte hätte ihr erlaubt, jetzt laut zu Heulen und sich die Wangen zu zerkratzen – wo ihre Sklaven sie hätten aufhalten müssen – aber sie war zu geschockt, um daran zu denken. Ihr Körper wurde ein wenig bei dem versuch, zu atmen, durchgeschüttelt, und sie schluchzte einmal leise mit vorgehaltener Hand, ehe sie sich wieder fangen konnte. Es dauerte einige Augenblicke, bis sie ihre Fassung zurück hatte, und sie wischte sich schnell unauffällig über die Augen.

“Danke, dass du den Weg auf dich genommen hast, Tribun. Werde ich… hab ich die Möglichkeit, ihm die letzte Ehre zu erweisen?“ Wenn ihr Bruder irgendwo auf Patrouille gefallen war, dann hatten seine Kameraden ihn sicher schon eingeäschert und beigesetzt. Eben dafür hatten die Legionen ja Sterbekassen, um ein anständiges Begräbnis für jeden Soldaten zu gewährleisten.Und da ihre Familie in diesem Land ja auch nur zugezogen waren und nicht zu den reichsten gehörten, hatte die Gens Accia hier ohnehin kein Mausoleum, in das man die Gebeine bringen könnte. Auch ihr Vater hatte einen schön gearbeiteten Grabstein auf seinem Grab außerhalb von Londinium und nicht mehr.

[Titus Ovidius Decula]

Accia Prisca schluchzte und rang nach Fassung. Sie hatte etwas entschieden Rührendes an sich. Wie mein edles Pferd Invictus, als er ein schlaksiges Fohlen gewesen war. Vielleicht war es das, was mein Zartgefühl weckte:

" Es ist mir eine heilige Pflicht, das Andenken des Accius Florus zu ehren.
Ich kannte den Centurio, er war ein guter, tapferer Mann mit festen Überzeugungen, persönlich. 
Doch ich muss dir leider sagen, dass dein Bruder nicht auf dem Feld der Ehre fallen durfte. Centurio Accius ist heimtückisch ermordet worden. Hier in unserem Iscalis, als er auf dem Nachhauseweg in die Castra war. Es tut mir sehr Leid, dir das sagen zu müssen", 
ich verschränkte die Arme und schaute grimmig drein:
"Wir werden alles tun, seinen oder seine Mörder zu finden, das verspreche ich dir! Und daher muss ich dich das fragen, Accia Prisca, da du seine Schwester bist: Hat er dir gegenüber einmal erwähnt, dass er einen bestimmten Feind hat? Oder gar mehrere Feinde? Liebeshändel vielleicht?"

Die oder der Mörder hatten auf Accius Brust das Wort Vergewaltiger geritzt. Das konnte die wütende Familie eines Mädchens gewesen sein - unabhängig davon, ob die dumme Gans freiwillig mitgemacht hatte. Aber vielleicht konnte mich Accia Prisca auf eine Spur bringen, ohne dass ich ihr von der Folterung ihres Bruders berichten musste.

[Accia Prisca]

Die genauen Umstände seines Todes schockierten Prisca noch ein wenig mehr. So zu sterben war schrecklich. Hier in der Stadt auch noch! Erst dieses schreckliche Feuer bei dem Tuchhändler, dann die Minenexplosion und nun das! Über Iscalis lag vielleicht wirklich ein Fluch. Prisca wünschte sich sehr zurück ins sichere Londinium.
Betreten sah sie zu Boden und atmete auffallend tief durch, um ruhig zu bleiben. Auf die Frage des Tribuns hin schüttelte sie den Kopf. “Nein, mein Bruder hätte solche Dinge auch nicht mit mir besprochen. Ich weiß, dass er… gerne gewürfelt hat, auch gerne mehr, als gut für ihn war. Aber sonst weiß ich nichts.“

[Titus Ovidius Decula]

Ein Centurio verdiente gut. Trotzdem konnte er Spielschulden haben. Aber das passte wiederum nicht zur Anklage auf seiner Brust. Das Accius mit seiner Schwester nicht alles besprochen hatte, klang plausibel:
" Du bist eine Dame. Es ist nur natürlich, dass dein Bruder hässliche Dinge von dir fern gehalten hat, werte Accia Prisca", sagte ich.

Denn so war es. Damit Frauen wie Accia Prisca behütet in ihren römischen Heimen im ganzen Imperium leben konnten, waren wir es, Soldaten Roms, die sich die Hände schmutzig machten. Wir waren es, die knöcheltief in Blut wateten. 
Aber ich hätte es nicht anders haben wollen. Ich kannte meine Pflicht und den Platz, die mir im Leben bestimmt waren. Und ich folgte nach wie vor meinem Stern. 

"Es tut mir Leid, dass ich das fragen musste. Für ein angemessenes Begräbnis wird von seiten der Legion gesorgt werden. Wenn die Familie jedoch anderes wünscht, ist auch das möglich. Da dein Bruder aber nicht im Einsatz umgekommen ist, wird keine Summe an die Angehörigen ausgezahlt werden.
Er hat jedoch etwas Geld hinterlassen" trotz des guten Soldes nur etwa zweitausend Sesterzen. Accius Florus schien kein Kind von Traurigkeit gewesen zu sein, er hatte fast alles durchgebracht:
"Testiert hat er zugunsten seiner Kameraden", seine Schwester würde nur einen Pflichtanteil erhalten.


"Die Aufbahrung findet in einem Raum im Lazarett in der Castra statt. Wenn du es wünschst, Accia Prisca, dich noch einmal von deinem Bruder zu verabschieden, dann sollte dich dein Mann heute noch zu uns bringen. Vale bene"

Ich erhob mich abrupt. Es war nicht gut, in dieser Stunde an so etwas zu denken. Doch Sabinius Merula musste ein zufriedener Mann sein, wenn er der Accia lange Glieder umschlingen durfte. Ich stellte sie mir kühl und gelassen vor, wenn sie unter ihm lag. Dieser Gedanke an ihre Tugend weckte jetzt mein Begehren. Aber es war nicht recht. Hätte sie gewusst, was mir durch den Kopf schoss, sie hätte mich aus tiefstem Herzen verabscheut. Ich musste es verbergen. Daher bot ich nicht an, sie in die Castra zu bringen.