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Gefangen zwischen den Welten - Ein Nachhauseweg
01-14-2024, 10:55 AM,
Beitrag #1
Gefangen zwischen den Welten - Ein Nachhauseweg
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Die letzte Nacht hatte ich in Cheddar verbracht. In der Schmiede war es eiskalt gewesen, da ich tagsüber nicht hier gewesen war, um zu arbeiten. Im Gegensatz zur Casa war es in der Tat ungemütlicher. Anfangs hatte ich tatsächlich versucht, einzuschlafen. Aber es gelang mir nicht. Zu viele Gedanken und zu viel Wut, aber auch Schmerz geisterten in meinem Kopf herum. So konnte ich kein Auge zu machen. Diese ständigen Fragen, was ich nun tun sollte und was nicht, quälten mich die halbe Nacht. Sollte ich gehen oder bleiben? Aber gehen konnte ich nicht! Denn meine Tocher wollte ich nicht verlassen. Ich musste sie doch beschützen! Ich hatte mich sofort in den süßen kleinen Fratz verliebt! Und was war mit Aglaia und mir? Liebte sie mich wirklich oder war ich und unsere Ehe nur ein Mittel zum zum Zweck für sie? Antworten darauf fand ich nicht. In den frühen Morgenstunden war ich dann doch eingeschlafen.

Völlig verkatert war ich ein paar Stunden später wieder aufgewacht, als es bereits hell war und draußen vor meiner Hütte bereits Geschäftigkeit herrschte. Ein paar Kunden aus Cheddar warteten dort bereits mit Aufträgen. bis ich mein Schmiedefeuer entzündete.
Den Tag arbeitete ich so vor mich hin. Dadurch war ich wenigstens abgelenkt und musste nicht über all meine Probleme grübeln. Als es dann aber am späten Nachmittag wieder dunkel wurde, fragte ich mich, ob ich nach Iscalis reiten sollte, oder besser doch in Cheddar bleiben sollte. Dann kam aber noch Gruffudd, der Schreiner und brachte mir die Wiege aus Eschenholz vorbei, die ich bei ihm in Auftrag gegeben hatte. Nun überwog doch der Drang, mein Töchterchen zu sehen und ihr ihre neue Wiege zu schenken. Ich lud sie auf den Rücken meines Esels, nahm ihn am Zügel und lief neben ihm her bis nach Iscalis.

Als ich in der Stadt angekommen war, war ich ziemlich durchgefroren. Zu allem Übel traf ich auf dem Weg zur Casa dann auch noch Narcissus. "Salve Narcissus," grüßte ich ihn und fragte mich, was der Kerl um diese Zeit hier auf der Straße machte. Eigentlich hätte ich ihn eher im Bett eines seiner Kunden vermutet. Ich blieb bei ihm stehen. Zwar hatte ich nicht wirklich das Bedürfnis, mit ihm zu plaudern, aber ignorieren konnte ich ihn auch nicht. "Verdammt kalt heute!"
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01-14-2024, 12:28 PM,
Beitrag #2
RE: Gefangen zwischen den Welten - Ein Nachhauseweg
Es war arschkalt draußen. Der Himmel hatte eine bleigraue Farbe und blieb in Wartestellung, ganz als ob er nicht wisse, ob er regnen, schneien oder stürmen wollte. Narcissus konnte dieses Wetter nicht leiden. Er brauchte Sonne. Wärme. Und einen Umschwung im römischen Modedenken. Hosen waren vielleicht unzivilisiert, aber sie hielten wenigstens warm!

Was mich trotzdem herausgetrieben hatte, war das gestrige Gespräch mit Aglaia gewesen. Nach all dem und den Gedanken, die er sich über Nacht gemacht hatte, brauchte er jetzt etwas Abstand vom einengenden Haus. Sonst war keiner auf der Straße. Natürlich, sonst war ja keiner so dämlich, sich hier draußen eine Erkältung zu holen, statt sich drinnen am Ofen aufzuwärmen.

Nun, Korrektur. Einer war offenbar doch so dämlich und es war niemand anderes als Owain. Den hatte er seit dem Empfang für den LAPP nicht mehr gesehen und ihre letzte Unterhaltung lag sogar noch weiter zurück. Damals hatte Saturninus die Statuen von ihm in Auftrag gegeben. Das war für sie vermutlich beide unangenehm gewesen. Doch obwohl er sich Mühe gegeben hatte, Owain sich nicht den Zorn des Furiers zuziehen zu lassen, hatte er den Eindruck, dass der Kelte ihn nicht besonders leiden mochte.
In Wahrheit hätte er ihn bemitleidet, hätte er es nicht geschafft, was keiner sonst schaffte: Sich in eine Hetäre zu verlieben und sie für sich zu gewinnen. Mal ehrlich, wer konnte das von sich behaupten? Verlieben taten sie sich alle. Und alle wurden sie unglücklich. Dieser hier hatte nicht nur das Mädchen bekommen, sondern auch noch Freiheit, Ruhm und ein Kind. Ging wohl nicht viel besser. Insofern konnte man Owain wohl für vieles beglückwünschen.
Doch es liegt in der Natur des Menschen, immer neue Gründe dafür zu finden, lieber unglücklich zu sein. So war es bei Aglaia. Und so würde es auch hier sein, wenn man ihren Worten Glauben schenkte.
"Owain! Geliebter Schwager, was macht die Kunst?", fragte er heiter, wenn auch zittrig. Er hoffte, dass sich der Blonde wenigstens in  Bezug auf ihn etwas sicherer fühlte, wenn Narcissus die Verhältnisse geraderückte. "Götter, du hast recht. Es ist wirklich erbärmlich kalt. Ich frage mich, warum zur Hölle ich Rom je verlassen habe. Da war es wenigstens warm! Ich schwöre, ich stehe kurz davor, einen auf Nero zu machen und die ganze Stadt abzufackeln, nur damit es mal wärmer wird...
Nun, egal. Was führt dich her? Ich nehm an, du besuchst Frauchen und Töchterchen?"
[Bild: 1_26_01_24_4_36_43.jpeg]
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01-14-2024, 07:50 PM,
Beitrag #3
RE: Gefangen zwischen den Welten - Ein Nachhauseweg
Ich konnte es nicht ausstehen, wenn er das sagte! Er war nicht mein Schwager, denn er war schließlich nicht Aglaias Bruder! Was sollte das also? Er hatte das schon vor einigen Monaten im Garten des Furiers gesagt, als wir uns dort getroffen hatten.
Dass er vor Kälte zitterte, überraschte mich nicht. In seinem dünnen Kleidchen würde ich mir auch alle wichtigen Teile abfrieren. Aber ich trug eine warme Wollhose. Sie sah vielleicht nicht so schick aus und entsprach keinesfalls dem römischen Modetrend, aber sie hielt wenigstens warm. "Ich kann nicht klagen", antwortete ich ihm mit einem Schulterzucken. Tatsächlich hatte ich seit dem Besuch des Statthalters und dem Empfang, den der Furier für ihn gegeben hatte, viel zu tun. Alle römischen Familien, die etwas auf sich hielten und das nötige Kleingeld hatten, gaben nun Skulpturen in Auftrag.

Der arme Kerl tat mir schon irgendwie leid. Er wollte sogar die Stadt in Brand setzen, um sich aufzuwärmen. Aber vielleicht musste es ja gar nicht so weit kommen. Obwohl ich wesentlich wärmer angezogen war als er, fror ich auch. Außerdem hatte ich Hunger und Durst. Trotzdem hatte ich nichts dagegen, meine Ankunft in der Casa Liciniana noch etwas hinauszuzögern. "Ja, ich komme gerade von der Arbeit zurück. Ich habe für Delith eine Wiege besorgt." Ich nannte sie einfach so, obwohl Aglaia diesen Namen nicht hören wollte. Meine Tochter brauchte zweifellos einen keltischen Namen! Auch wenn sie eine Römerin sein würde. Ein Teil von ihr war keltisch! Da biss die Maus keinen Faden ab!
"Aber weißt du was? Ich lade dich auf einen heißen Met ein! Dann wird dir schnell wieder warm. Dort drüben gibt es eine nette kleine Taverne." Ich deutete auf eine Seitenstraße, in der sich die Taverne 'Zum durstigen Gallier' befand. Der Wirt war tatsächlich Gallier, was ihn umso sympathischer machte. Im Sommer zapfte er leckeres Bier. Im Winter bot er leckeren heißen Met an, der einen von innen heraus wärmte. Für all diejenigen, die kein Bier oder Met mochten, hatte er natürlich auch Wein im Angebot. Außerdem konnte seine Frau wirklich gut kochen.
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01-14-2024, 11:21 PM,
Beitrag #4
RE: Gefangen zwischen den Welten - Ein Nachhauseweg
Narcissus zeigte sich erfreut von der Reaktion des Kelten, der sich freundlich und zugänglich zeigte. Er hatte befürchtet, abgewiesen zu werden, denn natürlich war der Vater auf dem Weg zu seinem Kind. Wie er es verstanden hatte, war Owain noch nicht viel Zeit mit dem Töchterlein vergönnt gewesen. Im Gegensatz zu Aglaia hatte er jedoch bereits einen Namen parat. Ob das der Mutter gefallen würde? Aglaia zeigte sich da ja... weniger zugänglich.
"Die Wiege ist wunderschön", lobte er den Schmied, der ihn dann auch noch einlud. Er kannte das Getränk der Kelten - oder der Gallier - ganz gut, denn der Job brachte viel Ausprobiererei mit sich. Wenn man einmal vom hohen römischen Ross herunterkam, dann lernte man auch, Neues zu schätzen.
"Met! Das klingt himmlisch", sagte er mit einem dankbaren Nicken. "Da sage ich wirklich nicht nein. Danke für die Einladung, mein Freund."
Er gab sich Mühe, Owain einen willkommenheißenden Eindruck zu vermitteln, denn im Grunde konnte ich ihn gut leiden. War ich sauer, weil man ihn mir nicht offiziell vorgestellt hatte? Na und ob! Aber... dafür konnte er ja nichts.

Sie erreichten die Taverne 'Zum durstigen Gallier', die Narcissus bislang nie betreten hatte. Sie war natürlich nicht unbedingt das, was der typische Patrizier aufsuchte und da diese schließlich Narcissus' bevorzugten Kundenkreis ausmachten...
Er fand es jedoch nicht ungemütlich, grüßte den Wirt und setzte sich mit Owain an einen Platz möglichst weit weg von der Tür.
"Ich habe gehört, du hast viel zu tun, Freund? Seit der Cena scheint die ganze Stadt es auf dich abgesehen zu haben. Schaffst du das alles allein? Das muss wirklich verdammt viel sein."
[Bild: 1_26_01_24_4_36_43.jpeg]
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01-21-2024, 11:04 PM,
Beitrag #5
RE: Gefangen zwischen den Welten - Ein Nachhauseweg
"Danke! Ein Handwerker aus Cheddar hat sie gemacht. Ich hatte sie schon vor ein paar Wochen in Auftrag gegeben. Sie ist rechtzeitig fertig geworden, " gab ich Narcissus zur Antwort, als er die Wiege lobte. Ich hoffte, Aglaia würde sie auch mögen. Sicher legte man römische Kinder auch in eine Wiege. Also konnte an ihr nichts falsch sein.

Als Narcissus nichts gegen einen Met einzuwenden hatte und meine Einladung annahm, steuerte ich zielstrebig die Taberna des Galliers an. Den Esel machte ich draußen fest und betrat dann mit dem Hetär den Schankraum. Die Wiege hatte ich mitgenommen, damit sie am Ende nicht gestohlen wurde. Dort war es mollig warm und es roch nach leckerem Hammeleintopf. Der Wirt kannte mich inzwischen, da ich immer mal wieder auf ein Bier oder einen Met vorbeischaute.
Nachdem wir uns an einen der Tische gesetzt hatten, kam recht bald auch schon Gwen, die Tochter des Wirts vorbei, um unsere Bestellung aufzunehmen. 
"Zwei heiße Met für meinen Freund und mich. Und zwei Portionen von eurem keckeren Hammeleintopf."  Die junge Frau nickte. "Zweimal Met und zweimal Hammel, geht klar!" Sie eilte wieder davon. Wir mussten uns nicht lange gedulden, bis sie uns zwei Becher mit dampfenden Met an den Tisch brachte.
"Iechyd da! Zum Wohl!" wünschte ich ihm, als ich meinen Becher nahm und vorsichtig daran nippte. Das warme Getränk tat wirklich gut, wenn man durchgefroren war! 

Narcissus sprach noch einmal meine Aufträge an, die sich seit dem Empfang für den Statthalter verdoppelt, ja sogar verdreifacht hatten. Dass ausgerechnet der Furier dafür verantwortlich war, machte ihn dennoch nicht sympathischer. Letztendlich tat er das nur, um sich Aglaias Gunst zu erhalten. "Ja, das stimmt! Ich habe sehr viel zu tun. Alle wollen sie nun eine Skulptur von mir. Sogar der Statthalter meinte, ich könne in seinem Palast vorbei kommen, wenn ich in Londinium wäre. Nun, alleine ist das kaum noch zu schaffen. Ich habe inzwischen zwei Gehilfen. Doch die Feinarbeiten bleiben nach wie vor an mir hängen. Einen Tag, wie gestern, an dem ich nicht arbeite, kann ich mir nicht oft leisten." Doch gestern war ein besonderer Tag gewesen. Der Tag an dem unser Kind zur Welt gekommen war. Leider hatte ich mein Töchterchen nur kurz gesehen, denn Aglaia war nach der Geburt sehr erschöpft. Unser Zusammentreffen war alles andere als gut verlaufen.
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01-22-2024, 12:39 AM,
Beitrag #6
RE: Gefangen zwischen den Welten - Ein Nachhauseweg
"Iechyd da", murmelte Narcissus nachdenklich, bevor er den Krug ansetzte. "Was heißt das? Sowas wie 'zum Wohl'? Hach, ist das lecker. Weißt du, manchmal denke ich, meine Landsleute verteufeln neue Geschmäcker einfach zu schnell. Römer können so furchtbar verstockt sein, findest du nicht?"
Schweigend hörte er zu, wie Owain von der Arbeit erzählte. Selbst zu dritt sah es also stressig aus. Nun, wenn man so gefragt war, war dies wohl kein Wunder. Der Hetär schmunzelte.
"Tut mir leid, wenn dir die Statuen von mir solch unliebsamen Ruhm einbrachten. Nun, sieh es positiv, mit einer solchen Reputation musst du nicht fürchten, dein Kind nicht durchbringen zu können. Römer sind gut zu ihren Handwerkern, die Kunst liegt nur darin, dass man nicht den Trends hinterherrennt, mit denen man eh nicht mithalten kann, sondern ihnen klarmacht, dass man die Trends setzt.
Aber wenn dir das Pensum noch immer zu groß ist, solltest du dir vielleicht überlegen, einen Lehrling zu nehmen. Ich kenne zufällig einen. Einen jungen Römer, der eure Sprache spricht. Soll ganz gescheit sein, aber der hiesige Schmied scheint nicht ganz die Zeit für ihn zu finden und vielleicht hätte er an kunstvollerem Handwerk als Nägeln und Hufeisen mehr Freude. Die Grundlagen scheint er jedenfalls zu beherrschen. Wenn du willst, gebe ich ihm gern einen Wink, sich mal in Cheddar blicken zu lassen. Du wärst einer der ersten Kelten, die einem Römer was beibringen würden."
Viele fragten sich, woher er solche Sachen immer wusste. Doch Tatsache war, dachte Narcissus zufrieden, dass er sehr gut informiert war.
"Aber sollte es das nicht sein, helfe ich gern auf jede Weise, die mir möglich ist. Falls du für den Übergang weitere helfende Hände brauchst, helfe ich gern finanziell aus. Du wärst mir dafür auch nichts schuldig."
Narcissus stellte sich vor, dass Owain vermutlich zu stolz war, sein Angebot anzunehmen, aber versuchen konnte er es ja mal.
"Ich hab dein Töchterchen übrigens gestern Abend gesehen. Sie ist ein Prachtstück, da kann man euch beiden wirklich gratulieren. Ich will dich auch nicht lange aufhalten, damit du sie bald besuchen kannst."
[Bild: 1_26_01_24_4_36_43.jpeg]
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01-23-2024, 12:04 AM,
Beitrag #7
RE: Gefangen zwischen den Welten - Ein Nachhauseweg
Ich nickte zustimmend und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, als Narcissus den Met in den höchsten Tönen lobte und seine Landsleute als etwas stur bezeichnete. "Ja, genau! Es bedeutet zum Wohl!" entgegnete ich. "Die Römer neigen dazu, ihren Wein zu sehr zu verherrlichen und vergessen dabei, dass es auch andere Getränke gibt, die durchaus schmackhaft sind." Zumal der Met im Vergleich zum Wein der Römer stärker war und selbst diesen verdünnten sie auch noch mit Wasser.

Ich plauderte weiter über meine Arbeit und betonte, wie beschäftigt ich war. Natürlich konnte ich zufrieden sein, dass die Schmiede lief  und  ich nicht nur die Bauern aus Cheddar, sondern auch wohlhabende Römer aus Iscalis als Kunden gewonnen hatte. "Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Eher sollte ich mich bei dir bedanken! Ohne dich würde ich wahrscheinlich immer noch nur alte Kessel reparieren", sagte ich lächelnd. Die weiteren Äußerungen von Narcissus klangen vielversprechend. Tatsächlich überhäufte man mich momentan mit Aufträgen, einschließlich einer Bestellung von neun Statuen durch Claudia Sabina. Das konnte ich auf Dauer unmöglich alleine bewerkstelligen. Die Idee eines Lehrlings, dem ich mein Handwerk beibringen konnte, ähnlich wie es mein Vater einst bei mir getan hatte, erschien mir als vielversprechende Möglichkeit, um effizienter zu arbeiten.

Überraschenderweise kannte Narcissus sogar einen möglichen Lehrling, der bereits einige Vorkenntnisse besaß. Woher er den nur kannte? Ein junger Römer – nun ja, für seine Herkunft konnte er nichts - der unsere Sprache beherrschte. So etwas hörte man wirklich selten. "Das klingt interessant! Schick ihn doch einfach mal vorbei, damit ich sein Talent einschätzen kann. Falls er geeignet ist, kann ich ihn auf jeden Fall gebrauchen!" Es erstaunte mich, wie hilfsbereit und großzügig Narcissus war, denn er bot mir sogar an, mich finanziell zu unterstützen. Dennoch hatte ich mir geschworen, es aus eigener Kraft zu schaffen und meine Familie allein mit meiner Handwerkskunst zu versorgen. "Dein Angebot ist großzügig, aber lass mich zunächst mit dem Lehrling versuchen", schlug ich vor.

Narcissus berichtete dann, dass er meine Töchterchen am Abend zuvor bei Aglaia gesehen hatte. Offenbar hatte er nach meinem Besuch bei ihr vorbeigeschaut. Ich fragte mich, ob sie genauso gereizt auf ihn reagiert hatte wie auf mich. Um das genauer zu erfahren, bat ich ihn, noch etwas zu bleiben, während die Tochter des Wirts unser Essen brachte. "Ah, unser Essen ist da! Komm, bleib noch und lass es dir schmecken!" rief ich ihm zu, bevor ich mich dem lecker aussehenden Eintopf zuwandte. "Du warst gestern noch bei Aglaia und dem Kind? Mein Besuch bei ihr verlief leider nicht ganz so glücklich, wie ich es mir gewünscht hätte." Sicher hatte sie ihm davon erzählt, dass ich von ihr verlangt hatte, ihre Arbeit als Hetäre an den Nagel zu hängen.
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01-23-2024, 12:24 AM,
Beitrag #8
RE: Gefangen zwischen den Welten - Ein Nachhauseweg
Narcissus bemerkte erfreut, dass Owain der Idee mit dem Lehrjungen gegenüber aufgeschlossen erschien. Er kannte den jungen Atreus nicht besonders, aber er wusste schon über ein paar Dinge in dieser Stadt Bescheid und hatte schon einige Empfehlungen in anderer Angelegenheit aussprechen können.
"Schön, dann weise ich ihn an, morgen einmal in deiner Schmiede vorbeizuschauen", sagte er nickend, da Owain erwartungsgemäß die finanzielle Zuwendung ausschloss. Nun, es war gut, dass er es zunächst aus eigener Kraft schaffen wollte. Dank seines Könnens und der Aufträge hatte er auf jeden Fall die dazu nötige Grundlage. Doch er hatte das Angebot gemacht und würde helfen, sollte es je nötig werden.

Er besah sich das Essen, das soeben von dem hübschen Wirtstöchterlein gebracht wurde und roch daran. Etwas däftig für seinen Geschmack, doch hatte er schnell erkannt, dass däftig hier oben oftmals das Mittel der Wahl war, denn die Kost vertrieb im Winter die Kälte aus den Gliedern.
"Das sieht göttlich aus", lobte er das Mädchen in Owains Beisein. Als Meister seines Fachs wusste er, dass Kelten in dieser Hinsicht wie alle anderen Völker auch waren: Nichts baute so sehr Brücken wie die Anerkennung der heimischen Kultur - oder das Loben ihres Essens. Würden die Römer das häufiger machen, hätten sie wohl weit weniger Probleme, dachte er belustigt und nahm den ersten Bissen des erwartungsgemäß leckeren Eintopfs, bevor er sich Owain zuwandte.
"Ja, ich habe von deinem Besuch gehört", sagte er zurückhaltend. "Aglaia erzählte mir davon. Aber sei unbesorgt, mein eigener verlief auch zunächst sehr... spannungsgeladen. Wie ich erkannte, gab es einige Unklarheiten abzubauen, die sich im letzten Jahr aufgebaut haben. Doch zwischen uns ist wieder alles in Ordnung. Und ich bin sicher, dass es zwischen euch auch wieder wird. Ich will mich übrigens nicht in die Angelegenheit eines Mannes mit seiner Frau einmischen. Es ist nur so, dass Aglaia und ich uns bereits lange kennen und sie meine Meinung schätzt, bitte glaub also nicht, dass ein böser Gedanke dahintersteckte. Sie liebt dich wirklich sehr."
Er fand es wichtig, Owain auf diese simple Tatsache nochmals hinzuweisen, denn immerhin litt dessen Selbstwertgefühl als Ehemann bedingt durch Aglaias Profession bereits genug.
"Darf ich dich fragen, wie es dir damit geht? Du wirst dir auch Gedanken gemacht haben, nehme ich an? Wenn du reden willst, bin ich gerne da."
[Bild: 1_26_01_24_4_36_43.jpeg]
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01-25-2024, 12:02 AM,
Beitrag #9
RE: Gefangen zwischen den Welten - Ein Nachhauseweg
Nickend stimmte ich zu, als Narcissus meinte, er wolle mir den jungen Mann morgen vorbeischicken. Mehr als nein sagen konnte ich nicht und vielleicht entpuppte er sich ja als überaus wertvoll.

Der leckere Eintopf schien ihm auch zu gefallen. Ich war gespannt darauf, ob er ihm auch mundete. Ich nahm an, dass er für gewöhnlich etwas Besseres gewohnt war. Mir schmeckte es auf jeden Fall. Ich hatte gerade einen weiteren Löffel in meinen Mund geschoben, als er davon zu erzählen begann, dass er von meinem Besuch gehört habe. Offenbar hatte ihm Aglaia davon erzählt. Dann wusste er sicher auch, was ich von ihr verlangt hatte. Allerdings meinte er dann, dass sein Besuch wohl auch nicht ganz glatt über die Bühne gegangen war. Das beruhigte mich jedoch kaum. Er sprach davon, sie hätten einige Unklarheiten zwischen ihnen beseitigen können. "Dann hast du mir einiges voraus! Ich wünschte, ich könnte das auch von mir behaupten!" Ich wünschte mir wirklich, dass alles wieder so wäre, wie früher. Doch mich quälte einfach die Frage, warum ich ihr nicht genug war. Weshalb wollte sie weiter so leben, wie bisher. Sie hatte doch jetzt mich und unser Kind!

Er versicherte mir nun auch, sich nicht in unsere Angelegenheiten einmischen zu wollen. Doch er kannte sie natürlich schon viel länger. Zu guter Letzt meinte er, sie würde mich sehr lieben. Ich nickte nachdenklich, als ich das hörte. "Meinst du wirklich? Ich bin mir da manchmal gar nicht so sicher." Es tat weh, das zu sagen, doch so fühlte es sich manchmal für mich an.
Narcissus bot sich mir als Zuhörer an, wenn ich darüber reden wollte. Das hätte ich mir bis dahin nicht träumen lassen. Aber er schien es wohl wirklich ernst zu meinen.
"Natürlich mache ich mir Gedanken! Sie fürchtet sich davor, ihre Mutter könnte ihr das Kind abnehmen und aus ihm ebenso eine Hetäre zu machen, wie sie es damals mit ihr gemacht hat. Doch im gleichen Zug besteht sie darauf, als Hetäre weiter zu arbeiten. Das verstehe ich nicht! Was soll aus unserem Kind werden, wenn es sieht, wenn es erfährt, was seine Mutter tut? Irgendwann wird sie alt genug sein, um Fragen zu stellen. Was will sie ihr dann sagen? Und dann dieser überhebliche Mistkerl Furius! Ja, ich weiß, ich muss ihm dankbar sein. Aber was tut diese Made? Er lässt sich keine Gelegenheit entgehen, um mich zu provozieren und mir zu zeigen, wo mein Platz ist. Ich weiß nicht, ob ich das auf Dauer aushalten kann, Narcissus. Ich glaube, ich werde früher oder später daran zerbrechen." Nun hatte ich doch mehr gesagt, als ich eigentlich vorhatte. Doch es fühlte sich auch gut an, endlich einmal darüber zu sprechen.
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01-27-2024, 07:03 PM,
Beitrag #10
RE: Gefangen zwischen den Welten - Ein Nachhauseweg
Narcissus fand ihr Gespräch nicht so schlimm wie befürchtet. Natürlich hatte er Übung darin, Gespräche am Laufen zu halten, doch bei Owain hatte er befürchtet, es würde womöglich etwas... verkrampft...
Doch nein, der Kelte zeigte sich bemerkenswert offen. Entweder gelang es ihm doch sehr gut, sich für die Misses zusammenzureißen oder er konnte ihn doch ein wenig leiden.
Jedoch wirkte er in Bezug auf Aglaia inzwischen sehr pessimistisch. Narcissus war da kein Fachmann, doch die eigene Liebe anzuzweifeln oder jene des Partners, musste furchtbar sein. Owain schimpfte ganz schön ordentlich und Narcissus ließ ihn, zumal er ja in einigen Punkten - beispielsweise in puncto Furius - durchaus auf seiner Seite stand.
Als Owain vorerst geendet hatte, nickte Narcissus gemessen, nahm einen langen und tiefen Schluck Met und nickte noch einmal.
"Also, ich kann dir versichern, dass ihre Gefühle zu dir aufrichtig sind. Glaubst du denn, du bist der erste Mann, der sich in sie verliebt hat? Es haben schon viele versucht, Aglaia für sich zu erobern und die sind alle gescheitert - bis du kamst. Glaub mir, die Gute hätte nicht jeden Sklaven freigekauft, nur weil er ein schöner Anblick ist. Geschweige denn mit ihm eine Familie zu gründen. Das würde in Rom wahrlich nicht jeder tun, erst recht nicht, wenn sie darauf angewiesen ist, einen babyfreien Bauch zu haben. Nein, ihre Liebe solltest du nicht anzweifeln.
Aber ihre Mutter, ah, da hast du eben den Knackpunkt auch schon angesprochen. Weißt du, Aglaia hatte immer das Gefühl, ihr Leben nicht selbst bestimmen zu können. Als Hetäre hat man, wenn man gut ist, eine unglaubliche Macht, aber man kommt von diesem Weg auch nicht so einfach wieder runter, wenn man ihn einmal beschritten hat. Für Aglaia ist es, als hätte ihr ganzes Leben jemand anders die Entscheidungen gefällt. Was sie trägt, wann sie ausgeht, welcher Kunde. Welche geschäftlichen Entscheidungen, du weißt schon.
Nun hat Aglaia sich einen Namen gemacht und kann die Früchte ihrer Arbeit genießen. Sie hat sich mit ihrer Arbeit arrangiert, macht gutes Geld und ist ihre eigene Herrin, die Mutter einer Tochter. Und dann sagt ihr Mann ihr, dass sie nicht mehr arbeiten soll und er nun für sie aufkommt. Das ist für sie, als würde sie sich von einer Abhängigkeit in die nächste begeben."

Narcissus trank noch einmal.
"Und glaub mir, ich verstehe dich. Als gestandener Mann, wer hat schon gern, dass die Ehefrau mit anderen Kerlen ins Bett steigt? Das hört keiner gern. Ich kann mir die ganzen Befürchtungen und Gedanken ausmalen, die du dir machst. Aber du bist ihr weder 'nicht gut genug' noch hat sie einen anderen. Jedenfalls nicht im traditionellen Sinne.
Du musst verstehen, dass Sex für uns... anders ist, als für jemanden wie dich. Oh, es ist gut, manchmal sogar fantastisch. Aber meist eigentlich eher anstrengend. Weder Aglaia noch ich betrachten Sex als eine Art... Zutrauensbeweis oder so etwas. Das messen wir an anderen Dingen. Aber... das jemandem zu erklären, der das nicht kennt, ist nicht so einfach.

Ich fürchte, wenn du sie zu sehr bedrängst, dann wirst du sie über kurz oder lang verlieren, denn Aglaia fürchtet Abhängigkeit. Sie hat dir schon viel mehr Vertrauen geschenkt, als jedem anderen, aber zu weit gehen würde ich nicht. Hier mein Vorschlag: Wieso gehst du nicht zu ihr und begegnest ihr mit einem Kompromiss? Fall nicht mit der Tür ins Haus. Sei ehrlich, wie du darüber denkst, aber mach ihr keine Vorschriften und schlag ihr vor, einen Tag die Woche nur für dich da zu sein. Und eure Tochter natürlich. Keine Kunden, keine Kolleginnen, kein Narcissus. Ein Tag in der Woche. Vielleicht gefällt es ihr ja und man kann diese Zeit ausdehnen? Irgendwann meine ich, nicht sofort. Du hast dir den dicksten Fisch im Teich geangelt. Ich fürchte, es dauert ein Weilchen, bis er gar gekocht ist. Da muss man schon wissen, was man tut."

Mit einem Lächeln boxte er gegen Owains Schulter.
"Und was den Furier angeht, mach dir da mal keine Sorgen. Der wird dir erst einmal keinen Ärger mehr machen. Siehst du, nachdem du gegangen warst, haben wir, ähm, noch etwas Zeit miteinander verbracht. Da hat er sich nicht nur im Ton, sondern auch mit der Hand ein wenig... vergriffen. Und es könnte sein, dass ich dies - und was er während des Treffens mit dir gesagt hat - möööglicherweise und natürlich ganz aus Versehen Aglaia erzählt habe.
Ich fürchte, Satunini wird noch eine ganze Weile sich mit Kiki begnügen müssen - die bei weitem kein Trostpreis ist, aber... seien wir ehrlich, er hasst es, wenn man Nein zu ihm sagt."
[Bild: 1_26_01_24_4_36_43.jpeg]
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