Der Nebel zog sich etwas dichter um uns zusammen und stieg schließlich bis deutlich über meinen Kopf. Ich mochte Nebel nicht. Man sah nichts, und selbst alle Geräusche waren gedämpft. Ich mochte es nicht, wie er die Sinne verwirrte und alles in diese unangenehme, feuchte Stickigkeit zwängte. Langsam führte ich das Pferd immer weiter und achtete darauf, nicht irgendwo in ein Sumpfloch oder Kaninchenbau zu geraten, sondern auf dem festen Boden zu bleiben.
Irgendwo über mir hörte ich Flügelrauschen und fragte mich, welcher Vogel nachts bei dem Nebel herumflog. Vielleicht eine Eule. Oder eine Fledermaus. Ich sah ja nichts, und hatte definitiv viel zu viel Zeit und Raum für meine Gedanken.
Vor mir bewegte sich etwas im Nebel, und instinktiv legte ich meine Hand an den Schaft der Handaxt, die ich gern als Waffe benutzte. Weniger sperrig als das Schwert und genauso tödlich. Ich lauschte, aber der Nebel verschluckte alles. Vor mir schien ein Schatten sich zu formen und ich zog meine Waffe.
“Wer bist du? Gib dich zu erkennen“, forderte ich und machte mich bereit, die Zügel loszulassen und mich notfalls zu verteidigen. Auch wenn heute Beltane war, waren Leute, die Nachts reisten, grundsätzlich einmal suspekt. Und ich war in bester Stimmung für einen Kampf, an dessen Ende ich idealerweise am Ende nicht mehr lebte.
“Ganz ruhig“ kam eine tiefe Stimme links von mir aus dem Nebel – weit weg von dem Schatten, der wohl doch nur ein Stein oder Busch war.
Ich drehte mich zu der Stimme um und beobachtete, wie ein älterer Mann aus dem Nebel trat. Er trug einen Umhang um den Körper, die Kapuze locker über den Kopf geschlagen, und breitete die Hände aus, zum Zeichen, dass er unbewaffnet war. Sein dunkler Bart war von grau durchsetzt, und er wirkte friedfertig. Ich hatte keine Ahnung, wer der Typ war, aber seine dunklen Augen kamen mir vertraut vor. Es war ein seltsames Gefühl, und ich behielt meine Axt in der Hand, auch wenn ich nicht den Eindruck hatte, dass er mich angreifen wollte.
“Ich grüße dich, Louarn“ sagte er freundlich und schaute mich so erwartungsvoll an, dass es mir seltsam vorkam. Moment, hatte er meinen Namen genannt?
“Kennen wir uns?“ fragte ich angespannt.
Ein undeutbarer Ausdruck huschte über sein Gesicht, was mich nicht unbedingt beruhigte.
“Ich kenne dich, Louarn. Ich hab dich gesucht.“
Okay,
jetzt war ich wirklich angespannt. Mein Griff um die Axt wurde fester und ich versuchte, die Umgebung zu erkennen, was dank des Nebels aber zwecklos war. Ich ließ den Zügel des Pferdes schon einmal los, um beide Hände frei zu haben, hielt mich aber nahe bei ihm, um vor Pfeilen ein wenig Deckung zu haben.
“Schön, du hast mich gefunden“, sagte ich alarmbereit und wahrscheinlich weniger freundlich, als der Kerl gehofft hatte.
“So misstrauisch“, murmelte er und schüttelte kurz den Kopf, betrachtete mich von oben bis unten.
“Ich wollte mit dir reden. Du verlässt den Pfad.“
Welchen Pfad denn?
“Wir sind mitten im Nirgendwo, hier ist kein Pfad. Und danke, aber ich brauche keinen Wegführer.“
Wieder ein seltsam anmutendes, resignierendes Lächeln und ein Kopfschütteln.
“Du musst zurück auf deinen Pfad, Louarn“, sagte er nochmal, als hätte er mir nicht zugehört. Mir war das ganze mittlerweile nur noch suspekt.
“Wer bist du?“ wollte ich wissen. Irgendwelche Typen im Nebel, die meinten, mir den Weg zeigen zu wollen, sollten sich zumindest vorstellen.
“Noch bin ich niemand. Nur eine Erinnerung an Dinge, die noch kommen werden.“
Okay, das war mal so gar nicht hilfreich.
“Kryptischer ging es nicht, hm?“ fragte ich nach, ohne eine Antwort zu erwarten.
“Du verstehst es nicht, aber du wirst es verstehen, am Ende. Du musst deinem Pfad folgen, Louarn.“
“Was interessiert dich, wohin ich gehe?“ schnappte ich, jetzt eindeutig nicht in der Stimmung für kryptische Gespräche und vage Andeutungen. Aber zumindest war ich inzwischen zu der Überzeugung gelangt, dass hier wohl doch kein Angriff stattfinden würde, weshalb ich mir die Zügel des Pferdes wieder schnappte und weitergehen wollte, weg von seltsamen Kerlen mit kryptischen Antworten auf Fragen, die ich nie gestellt hatte.
“Weil ich werden muss, was ich bin, damit er werden kann, wer er ist.“
Er? Wer war denn jetzt schon wieder er?
“Wer muss werden?“
“Der Sohn des Drachen. Der große Eber.“
Ja, klar doch, jetzt auch noch Drachen, die Eber zur Welt brachten.
“Kryptischer ging es nicht?“ fragte ich noch einmal genervt und zog am Zügel, um den Verrückten hier hinter mir zu lassen. Ich hatte keine Lust mehr, mich mit diesem Schwachsinn zu befassen.
“Geh mir aus dem Weg“, brummte ich nur, da ich vorbei wollte.
“Kann ich nicht, ich bin gar nicht hier“, meinte er, und seine Stimme klang fern und unheimlich.
“Wie heißt du?“ fragte ich ihn.
Er lächelte, und ein Name, den ich nie gehört hatte, flüsterte im aufkommenden Wind. Eine Nebelschwade wurde zwischen uns aufgewirbelt, und als ich wieder schaute, war der Kerl weg.
Ich schaute mich um und drehte mich, während die aufkommende Brise weitere Nebelfetzen erst aufwirbelte, dann wegwehte, bis schließlich wieder der klare Nachthimmel über mir zu sehen war. Aber von dem Kerl war weit und breit keine Spur zu finden. Ich vertrieb das Frösteln, das sich meiner bemächtigen wollte, und zog mich wieder auf mein Pferd. Der Ort hier war unheimlich, und was immer das jetzt auch gewesen sein sollte, ich wollte schnell Abstand zwischen mich und hier bringen.