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Tablinum
10-10-2024, 08:48 PM,
Beitrag #1
Tablinum
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Ich saß schon eine ganze Weile im Tablinum und wartete, während die Nervosität langsam in mir aufstieg. Mein bestes Kleid hatte ich angezogen und eine der Sklavinnen hatte mir eine ordentliche Frisur verpasst. Plautius Leander würde bald hier sein, um mir zu sagen, wer mein Vormund sein würde. Ich wusste, dass es eine wichtige Entscheidung war, aber das machte es nicht weniger beängstigend. Schließlich sollte ein Wildfremder an die Stelle meines Vaters rücken, von dem ich nicht wusste, ob ich ihm vertrauen konnte. Die Gedanken drehten sich in meinem Kopf, während ich versuchte, ruhig zu bleiben.

Dann hörte ich endlich das Klopfen an der Tür. Das konnte nur er sein. Corax würde Plautius Leander jeden Moment hereinbringen. Da ich wollte nicht unvorbereitet wirken wollte hatte ich Corinna aufgetragen, einen kleinen Imbiss und Getränke zu richten. Einer der Sklaven würde ganz bestimmt gleich mit einem Tablett kommen.

"Salve, edler Plautius Leander! Ich freue mich, dich wieder zu sehen! Bitte setze dich doch!"
Ich war aufgestanden, als Corax ihn hereinbrachte und bot ihm einen Korbsessel an. Dann setzte auch ich mich wieder hin. Dabei spürte ich, wie meine Hände leicht zitterten, und wartete gespannt darauf, was Plautius Leander mir sagen würde.
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Vormund: C. Numonius Pusinnus, Duumvir von Iscalis (NSC)
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10-11-2024, 01:04 PM,
Beitrag #2
RE: Tablinum
Leander hatte also das Haus der Norbani betreten und ging ruhigen Schrittes ins Tablinum. Die junge Orestilla hatte  ihn bereits erwartet, wie es schien, denn sie saß in einem Korbsessel bereits im Zimmer und stand auf, als er näherkam und das Tablinum betrat.
Leander gab ihr die Andeutung einer Verbeugung zur Begrüßung – ein Römer verneigte sich nur vor den Göttern – und trat mit freundlichem Gesichtsausdruck näher. “Salve, edle Norbana Orestilla.ich freue mich auch sehr, dich wiederzusehen.“
Wie von ihr angeboten nahm Leander Platz und tat so, als bemerke er ihre Nervosität gar nicht. Er war nicht so von sich selbst überzeugt, dass er diese Reaktion etwas anderem als ihrer Unerfahrenheit zuschrieb, und wie sollte sie die Rolle einer Hausherrin erlernen, wenn nicht durch Übung und geduldige Ermunterung?
“Ich gehe davon aus, dass du schon gespannt bist bezüglich deiner tutela mulierum, weshalb ich dich da auch nicht allzu lange auf die Folter spannen möchte.“ Vielleicht wäre es taktisch klüger, erst lange Alltäglichkeiten auszutauschen, um den Termin in jedem Fall in die Länge zu ziehen, allerdings lag diese Vorgehensweise Leander nicht besonders. Und obendrein war er auch nicht besonders erfahren damit, mit jungen, römischen Damen zu flirten. Flirts mit Sklavinnen hatte es gegeben, durchaus auch viele im Laufe der Zeit, allerdings waren viele davon dadurch entstanden, dass Leander Maiordomus gewesen war und die Damen bei ihm beliebt sein wollten. Ein Umstand, der jetzt wohl weniger gegeben war, da er kaum darauf hoffen konnte, dass Norbana Orestilla ihrerseits dringend einen Ehemann suchte und ihn dazu auserkoren hatte. Also beschritt Leander hier für ihn neues Terrain.
Er zog also die Lederrolle und öffnete deren Verschluss, um die darin eingerollte Urkundenabschrift hervorzuholen und Norbana Orestilla zu überreichen. “Diese Abschrift ist für dich. Das Original ist im Archiv der Stadt verwahrt. Darin wird festgelegt, dass der jeweils amtierende Duumvir deine tutela mulierum kommissarisch übernimmt, während dein Vater absent ist und solange keine anderen, männlichen Verwandten in der Stadt sind, die diese Aufgabe übernehmen könnten. Was auch bedeutet, dass die tutela an einen Verwandten automatisch abgetreten wird, solltest du einem Onkel oder ähnlichem schreiben wollen und ihn hier herbitten.
Ansonsten gilt, dass du für alle Rechtsgeschäfte, die die Absegnung deines Vaters eigentlich bräuchtest, die Erlaubnis beim Duumvir auch jederzeit einfordern kannst. Beispielsweise, wenn du Eigentum verkaufen möchtest, oder wenn du eine Heirat anstrebst.“
Ja, das letzte war ein kleiner Test, um ihre Reaktion zu erforschen, ob es da schon konkrete Pläne ihrerseits gab oder ob sie generell offen für dergleichen wäre. Denn Leander brauchte schon bald eine Ehefrau, nicht erst nach Jahren der Werbung.
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10-11-2024, 06:04 PM,
Beitrag #3
RE: Tablinum
Als Plautius Leander das Tablinum betrat, bemühte ich mich, ruhig zu bleiben, doch mein Herz schlug schneller als gewöhnlich. Ich war vorbereitet, aber dennoch nervös. Seine Begrüßung war förmlich und freundlich, und als er sich setzte, tat er so, als würde er meine Aufregung nicht bemerken. Vielleicht wollte er mich beruhigen.

Kurz nachdem auch ich wieder Platz genommen hatte, erschien der Sklave mit einem Tablett in der Hand. Es war nur ein sehr kleiner Imbiss: ein Schälchen mit eingelegten Oliven, eine Kanne mit Posca, der mir selbst kaum schmeckte, und zwei Becher. Mehr konnte ich ihm nicht anbieten, und diese Kargheit machte mich noch unruhiger. Unser Leben war so bescheiden geworden, seit mein Vater fort war.
Ich fragte mich, ob mein Gast das bemerken würde. Unmerklich warf ich ihm einen schüchternen, beinahe entschuldigenden Blick zu. Doch Leander ging sofort zum eigentlichen Thema über: die tutela mulierum – die Vormundschaft, die ich akzeptieren musste, auch wenn ich es nicht wollte. Er sprach direkt und erklärte alles klar und ohne Umschweife. Das beruhigte mich ein wenig, denn ich mochte keine komplizierten Gespräche, die ich ohnehin kaum verstand.

Als er die Urkunde ausrollte und sie mir überreichte, betrachtete ich sie einen Moment lang schweigend. Der Duumvir würde mein Vormund sein – jemand den ich nicht kannte. Der Gedanke war unangenehm, bei jeder Entscheidung zuerst jemand Unbekannten um Erlaubnis fragen zu müssen. Was, wenn mein Vater lange fortblieb und das Geld knapp wurde? Früher oder später müsste ich Sklaven verkaufen, und der Gedanke daran schmerzte mich, denn schon der Verkauf von Cassia hatte mir das Herz gebrochen. Die Verantwortung lastete auf mir, und doch lag sie gleichzeitig auch beim Duumvir.

Plautius Leanders Hinweis, dass ich einen Verwandten um Hilfe bitten könnte, brachte mir keine Erleichterung. Ein Brief würde Wochen brauchen, und ich wusste, dass mein Onkel niemals Massilia verlassen würde, um mir hier, im fernen Britannien, zu helfen.

Dann fiel plötzlich das Wort Heirat. Ich zuckte leicht zusammen und fühlte, wie sich auch mein Magen zusammenzog. "Eine Heirat?" wiederholte ich leise. Es gab keine Pläne dafür, obwohl das einer der Gründe war, weshalb ich nach Britannien gekommen war. Aber mein Vater hatte das vernachlässigt – wie so vieles andere. "Es gibt noch keinen... Ich habe nichts geplant", antwortete ich, leicht verunsichert. Schließlich war ich in einem Alter, in dem viele Mädchen bereits verlobt oder sogar schon verheiratet waren.
Ich hob meinen Blick und sah Leander direkt an. "Ich kenne niemanden, den ich heiraten könnte," sagte ich mit zitternder Stimme. "Der Duumvir als mein Vormund wird sich wohl kaum auch darum kümmern können." Ich musste mich zusammenreißen, um nicht in Tränen auszubrechen, denn die Ungewissheit über meine Zukunft überwältigte mich.
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Vormund: C. Numonius Pusinnus, Duumvir von Iscalis (NSC)
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10-11-2024, 09:50 PM,
Beitrag #4
RE: Tablinum
Vielleicht waren Leanders Worte etwas vorschnell gewählt. Schon allein bei der Erwähnung des Wortes Heirat zuckte sie geradezu zusammen und schien leicht verwirrt. Aber gut, mit einem quasi Fremden dieses Thema zu erörtern war wohl auch nicht unbedingt angebracht und darüber hinaus war es vielleicht doch zu deutlich gewesen, und sie schreckte vor ihm und damit der Aussicht auf einen deutlich älteren Ehemann zurück. Leander könnte es ihr auch nicht verdenken, viele Mädchen hatten eher romantische Vorstellungen, was das anging, und bevorzugten die geölten Jünglinge auf dem Sportplatz und nicht den langsam ergrauenden Rechtsgelehrten.
Als sie dann aber anfing, zu reden, war Leander sich nicht sicher, ob es nicht doch an etwas anderem lag. Es klang eher nach Scham denn nach Ekel. Ein wenig klang es sogar so, als hätte sie eher Sorge, nicht zu heiraten. Natürlich hatte Leander die spärlichen Häppchen bemerkt. Es waren Oliven – was hier in Britannia durchaus nicht ganz billig war, da sie erst weite Strecken transportiert werden mussten und auf dieser kalten Insel nicht wuchsen. Ein Wunder, dass hier im Süden der Insel Wein wuchs, wenn auch ziemlich saurer – aber eben nur Oliven.Wie viele Wochen war ihr Vater wohl schon abwesend und kümmerte sich nicht um die Geschäfte? Er schenkte sich ein Glas Posca ein und nippte daran, um etwas Zeit zu haben und sich unauffällig umzusehen. Das Haus sah ordentlich aus, aber war nicht unbedingt sehr reichhaltig ausgestattet. Vielleicht gab es wirklich Probleme.
“Der Duumvir ersetzt nicht deinen Vater, verehrte Orestilla“, nahm er sich die kleine Vertraulichkeit heraus, sie beim Cognomen zu nennen, um zu sehen, ob es sie stören würde. “Er wird nicht aktiv nach jemandem suchen, falls du das erwartest. Vielmehr ist es so, dass er lediglich ein Angebot abwägen, auf Ernsthaftigkeit und den Nutzen für dich prüfen würde. Wenn du heiraten wolltest, müsstest du also selbst dich mit dem Bräutigam weitestgehend einigen und dann auf den Duumvir zugehen, damit er das weitere regelt“, erklärte er die Abläufe.
Dass sie niemanden hatte, den sie gerade aktuell heiraten wollte, hatte Leander zur Kenntnis genommen. Allerdings war er sich noch immer unsicher, ob ihre Reaktion eher Scham oder einer Abneigung entsprang. “Würdest du denn generell bald heiraten wollen?“ fragte er also und hoffte, dass es unverbindlich klang und nicht, naja, wie ein Raubtier, das auf der Lauer lag. Abgesehen davon, dass Leander ein sehr höfliches und gesittetes Raubtier wäre, das sich seiner Beute wohl zuerst noch vorstellen würde, sah er dies alles nicht als Jagd an und hatte auch nicht die Absicht, die ganze Angelegenheit als solche zu betreiben.
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10-12-2024, 09:06 AM,
Beitrag #5
RE: Tablinum
Glücklicherweise schaffte ich es, meine Tränen zurückzuhalten. Obwohl mir danach war zu weinen – alles um mich herum schien im Chaos zu versinken. Doch ich war eine Römerin! Ich durfte nicht einfach in Selbstmitleid versinken, sondern musste den Anschein von Ruhe und Würde wahren… zumindest äußerlich. Weinen konnte ich später, wenn Plautius Leander fort war.

Sein Blick ruhte auf mir, als er mir bestätigte, dass der Duumvir lediglich als formeller Vormund agieren würde, nicht aber als Vermittler in Sachen Heirat. Er nannte mich bei meinem Cognomen, vermutlich ohne darüber nachzudenken, aber das störte mich nicht. Im Gegenteil, es gab mir ein Gefühl von Nähe, das in diesem Moment tröstlich war. Was er jedoch sagte, war alles andere als tröstlich. Der Duumvir würde mir nicht dabei helfen, einen Ehemann zu finden – und genau das war das Problem! Wie sollte ich das alleine bewältigen? Mein Vater hätte sicher Kontakte gehabt, vielleicht sogar bereits jemanden im Blick, doch ich? Sollte ich nun selbst durch die Stadt ziehen, wie eine läufige Hündin auf der Suche nach einem passenden Mann? Nein, das konnte ich nicht.

Vielleicht sollte ich einfach Nicander, meinen treuen Sklaven, freilassen und ihn heiraten. Doch so lieb er auch war, was konnte er mir bieten? Nichts. Wir würden das Haus verkaufen müssen, und irgendwann wären wir beide auf der Straße. Ich biss mir auf die Lippen, hielt kurz inne und sprach dann: "Mir ist bewusst, dass es meine Pflicht ist, zu heiraten, und ja, ich weiß, dass es bald geschehen sollte. Aber..." Meine Stimme zitterte leicht, doch ich zwang mich, ruhig zu bleiben. "...ich habe niemanden, den ich in Betracht ziehen könnte."
Ich spürte, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete. "Mein Vater wollte sich darum kümmern, dass ich hier einen passenden Ehemann finde... aber jetzt…" Ein Schluchzen entkam mir, bevor ich es unterdrücken konnte.

Ich suchte Leanders Blick, als könnte er mir den Weg weisen und eine Lösung anbieten. Die Vorstellung, bald einen eigenen Haushalt zu führen, war überwältigend, aber die Idee, allein und ohne einen Ehemann zu bleiben, erfüllte mich mit noch größerer Angst.

"Vielleicht..." setzte ich an, doch die Worte blieben mir im Hals stecken. Wie sollte ich jemanden um Hilfe bitten, der nicht einmal zu meiner Familie gehörte? Schließlich hatte er mir gegenüber keinerlei Verpflichtungen. Und doch sammelte ich all meinen Mut. "Würdest du mir helfen, Leander?" fragte ich schließlich leise, fast zaghaft. "Ich weiß, es ist viel verlangt, aber ich bin unsicher, wie ich ohne die Unterstützung meines Vaters vorgehen soll."
Auch ich hatte ihn jetzt mit seinem Cognomen angesprochen, ohne es bewusst zu tun. Es war ein Zeichen meiner Verzweiflung, aber in diesem Moment konnte ich es nicht mehr zurücknehmen.
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Vormund: C. Numonius Pusinnus, Duumvir von Iscalis (NSC)
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10-12-2024, 12:33 PM,
Beitrag #6
RE: Tablinum
Ihre ersten Sätze klangen nun nicht gerade freudig, was eine Ehe an sich anging, eher wie eine Sache, die eben erledigt werden musste, und es flossen dann sogar Tränen. Leander war ein wenig überfordert, wie er mit dieser Situation umgehen sollte. Natürlich hatte er schon Frauen weinen sehen. Er hatte auch schon Frauen getröstet. Nur waren das eben Sklavinnen gewesen und nicht römische Damen, die er kaum kannte. Er konnte ihr ja schlecht eine tröstende Schulter anbieten, das wäre ein völlig falsches Signal und eine Übergriffigkeit. Abgesehen davon kannte er sie wirklich nicht gut genug, um zu wissen, ob sie nur einmal ein paar Minuten weinen musste, um sich selbst zu fangen, oder ob sie tatsächlich ermutigende Worte in der Sache wollte, oder – noch schlimmer und etwas, das Leander bei Frauen nie verstand, aber als gegeben akzeptiert hatte – Zustimmung, dass das alles ziemlich hoffnungslos war.

Dann aber fiel sie regelrecht mit der Porta ins Haus und bot ihm eine Ehe an. Oder zumindest konnte Leander das nicht ganz ausschließen, dass es so gemeint war. In jedem Fall war er deshalb recht überrascht und brauchte einen Moment, ehe er mehr machen konnte, als überrascht zu gucken.
“Oh, nun, natürlich“, meinte er also sich fangend und räusperte sich noch einmal, da er den Eindruck hatte, seine Stimme wäre leicht belegt. “In der Tat suche ich eine Ehefrau, da die Gesundheit meines Vaters den Eindruck zulässt, dass er den Winter vielleicht nicht überstehen könnte und ich zudem nun schon fast ein Jahr der Pflicht zur Eheschließung unterliege. Natürlich wäre die Frage der Mitgift praktischen Überlegungen zu unterwerfen. Am einfachsten wäre es wohl, ich würde die hier befindlichen Sklaven bis zur Rückkehr deines Vaters als Mitgift akzeptieren, so dass er sie dann gegen andere Werte auslösen kann. So wäre die Frage ihres Unterhalts zugleich geklärt und bedürfte keiner weiteren Verwaltung.“
Kurz lächelte er ein wenig überfordert. “Verzeih mir, wenn ich etwas unbeholfen wirke. Aber ich bin es in der Tat nicht gewohnt, dass junge, römische Damen derartiges Interesse an mir zeigen und dies auch kundtun. Aber ich fühle mich sehr geehrt, das kann ich dir versichern. Du siehst sehr hübsch aus und scheinst ein vornehmes Wesen zu haben.“ Ja, das mit den Komplimenten sollte er auch noch einmal üben.
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10-12-2024, 02:48 PM,
Beitrag #7
RE: Tablinum
Ich saß ganz still da, während das leise Schluchzen, das ich zuvor nicht hatte unterdrücken können, langsam verklang. Plautius Leanders Worte und seine überraschend pragmatische Haltung zu einer möglichen Ehe hatten mich völlig unvorbereitet getroffen. Ich hatte nie erwartet, dass er meine Bitte um Hilfe auf diese Weise deuten würde – als ein direktes Angebot, ihn zu heiraten. Innerlich spürte ich die Schwere der Entscheidung, die vor mir lag. Eine Ehe war keine Frage von Romantik oder Gefühlen, sondern eine Pflicht, die ich als Römerin erfüllen musste. Mein Vater hätte das genauso gesehen.

Ich blickte zu ihm, der genauso überfordert wirkte wie ich. Auch für ihn musste diese Situation ungewohnt sein. Die Art, wie er mich ansah, war nicht herablassend oder dominant, sondern eher die eines Mannes, der von den Umständen ebenso getrieben wurde wie ich. Er suchte nach einer Lösung – genau wie ich.

Während er sprach, schweiften meine Gedanken ab. War das wirklich, was ich wollte? Einen Ehemann, der mich als Teil eines notwendigen Abkommens betrachtete? Es war nicht so, dass ich ihn unsympathisch fand. Im Gegenteil, Leander war höflich, klug und offenbar sehr verantwortungsbewusst. Doch tief in mir sehnte ich mich nach mehr – nach einem Funken, nach einer Verbindung, die über reine Vernunft hinausging. Aber die Realität holte mich schnell wieder ein. Romantik war etwas für Träumer! Ich konnte es mir nicht leisten, noch länger zu warten. Ich konnte auch der harten Tatsache nicht länger ausweichen, dass mein Vater vielleicht nicht zurückkehren würde und ich selbst für meine Zukunft sorgen musste.
Leanders Worte über die Mitgift  indes waren kühl, aber ehrlich. Er wollte, dass ich mir darüber keine Sorgen machte. Es war vielleicht seine Art, mir zu zeigen, dass er bereit war, eine Last von meinen Schultern zu nehmen. Doch als er die Sklaven erwähnte, spürte ich einen Stich in der Brust. Ich wusste, dass dies Teil des Arrangements war, aber es ließ alles noch distanzierter erscheinen.

"Vielleicht…", begann ich erneut, doch ich wusste, dass es keinen Sinn hatte, weiter zu zögern. Ich konnte mich nicht ewig in Unsicherheit wiegen, und Leander wirkte zwar etwas unbeholfen und stocksteif, aber er war eine sichere Wahl.  Wie alt mochte er sein? Glücklicherweise war er noch ansehnlich genug. Er war nicht der hübsche Jüngling aus meinen Träumen, der mich mit Poesie betörte, aber er war verlässlich.

Ich atmete tief durch, mein Herz schlug schneller, als ich endlich den Mut aufbrachte, meine Unsicherheiten beiseite zu schieben. "Plautius Leander…", begann ich mit sanfter, aber entschlossener Stimme und sah ihm fest in die Augen. "Ich weiß, dass dies eine große Entscheidung ist – für uns beide. Und ich danke dir dafür, dass du mich trotz der Umstände in Betracht ziehst." Ich zögerte kurz und suchte nach den richtigen Worten, die sowohl meine Pflicht als auch meine inneren Konflikte widerspiegelten. "Ja, ich stimme deinem Vorschlag zu. Es wäre mir eine Ehre, deine Ehefrau zu werden."

Ein Gefühl von Erleichterung, gemischt mit Angst, überkam mich, als ich diese Worte aussprach. Ich wusste, dass ich nun einen Weg eingeschlagen hatte, der zwar nicht unumkehrbar war aber mein ganzes Leben verändern würde. Ich hoffte nur, dass wir beide lernen würden, miteinander glücklich zu sein – oder zumindest Frieden in dieser Ehe fanden, die wir aus Pflicht und Notwendigkeit eingingen.
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Vormund: C. Numonius Pusinnus, Duumvir von Iscalis (NSC)
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10-12-2024, 04:00 PM,
Beitrag #8
RE: Tablinum
Noch immer hatte Leander das dezente Gefühl, dass sie eigentlich lieber nicht wollte, und nach wie vor konnte er es ihr nicht so recht verübeln. Aber abgesehen von diesem Gefühl war er viel zu überrascht, wie einfach es letzten Endes nun gewesen war, eine Ehefrau zu finden. Ob sie passend war, würde sich zeigen, aber sie wusste zumindest, wie man sparsam lebte, war nicht laut, herrisch oder übertrieben modefixiert aufgetreten und hatte auch sonst keine Eigenschaft gezeigt, die Leander als unvereinbar mit seiner Lebensführung eingestuft hätte. Sicher würde es Reibungspunkte geben, aber er glaubte durchaus, dass dies zumindest fürs Erste funktionieren könnte. Und wenn einer von ihnen beiden feststellte, dass es doch größere Hindernisse gab, stand jedem immer noch eine Scheidung offen.

Er räusperte sich noch einmal und lächelte nun doch deutlicher verlegen. “Entschuldige, wenn das alles gerade etwas unbeholfen wirkt. Wie gesagt, das war jetzt etwas unerwartet, aber nicht weniger erfreulich.“ Er gestattete sich jetzt einmal, sie wirklich anzusehen. Sie war wohl auch etwas überfordert.
“Wenn du möchtest, würde ich dich gerne auch in mein Heim einladen und dich meinem Vater vorstellen. Allerdings muss ich dich vorwarnen, seine Gesundheit ist wie gesagt sehr angeschlagen und er hat bessere und schlechtere Tage. Aber du könntest dir das Haus ansehen.“ Er hoffte, ihr so etwas Sicherheit zu vermitteln für ihre Entscheidung, damit sie mit eigenen Augen sehen konnte, worauf sie sich einließ.

Er überlegte einen Moment, ob er es ansprechen sollte, da es aber wie ein Elefant im Raum stand, entschied er sich dafür. “Ich weiß, dass ich deutlich älter bin als du und mir ist bewusst, dass junge Frauen häufig andere Vorstellungen haben. Aber ich kann dir versichern, dass ich nicht grausam oder ungerecht bin. Oder weltfremd. Ich würde es gerne sehen, wenn meine Ehefrau glücklich ist. Sei es, dass sie Freundinnen hat, oder dass sie sich während der Schwangerschaften einen Liebhaber sucht.“ Bevor sie widersprechen konnte, hob Leander kurz eine Hand. Sie brauchte sich nicht zu rechtfertigen. “Ich möchte nur, dass wir zueinander ehrlich sind. Und wenn es etwas gibt, dass du wünscht, oder das du fürchtest, oder das dich stört, will ich, dass du weißt, dass du es ansprechen kannst. Ich kann nicht versprechen, dass alles deinen Wünschen entsprechend geändert werden kann, aber ich werde mich bemühen, eine Lösung zu finden.“
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10-12-2024, 06:48 PM,
Beitrag #9
RE: Tablinum
Bevor ich meinen Blick wieder auf Leander richtete, atmete ich tief durch. Sein verlegenes Lächeln zeigte mir, dass auch er von der Situation überfordert war. Das machte ihn in meinen Augen menschlicher. Wahrscheinlich hatte er genauso wenig wie ich daran gedacht, hier und heute eine Ehe zu arrangieren. Es war alles sehr viel auf einmal.
Er lud mich ein, sein Heim kennenzulernen und natürlich auch seinen kränklichen Vater. "Ich werde gerne deine Einladung annehmen und freue mich darauf, deinen Vater kennenzulernen," antwortete ich mit einem scheuen Lächeln. So würde ich mir selbst ein Bild davon machen können, wo ich in Zukunft leben würde.
Doch seine weiteren Worte überraschten mich auf eine seltsame Art. Nicht, weil sie unerwartet kamen, sondern weil sie so anders klangen als alles, was ich mir je vorgestellt hatte. In meiner Vorstellung war eine Ehe immer ein Bündnis, geprägt von Vernunft und gesellschaftlichen Verpflichtungen – so, wie meine Eltern es mir vorgelebt hatten. Jedenfalls solange mein Vater in Massilia bei uns war. Doch was Leander nun ansprach, rührte an etwas Tieferem in mir. Es war nicht die Romantik, nach der ich in meinen jugendlichen Träumen geschmachtet hatte, sondern eine ganz andere Form der Ehrlichkeit und des Pragmatismus, die mich auf seltsame Weise beeindruckte.
Leander wusste selbst, dass er älter war, doch er versprach, weder grausam noch weltfremd oder ungerecht zu sein. Er schien sich wirklich zu bemühen, mir die Bedenken zu nehmen, die ich noch hatte. Aber das Angebot, während einer Schwangerschaft einen Liebhaber zu nehmen, ließ mich für einen Moment erstarren, ja sogar leicht erröten. So eine Offenheit hatte ich von ihm nicht erwartet, da ich glaubte, das solche Dinge in der Gesellschaft oft nur heimlich gelebt, aber nie offen besprochen wurden. Ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte. War es ein Zeichen von Großzügigkeit und Verständnis? Oder wollte er sich damit selbst absichern?
Für einen Augenblick war ich unsicher. Doch anstatt Ablehnung zu empfinden, fand ich mich plötzlich in einer seltsamen Ruhe wieder. Er hatte mir einen Raum zur Ehrlichkeit eröffnet, den ich bisher nie für möglich gehalten hatte. Und obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich jemals so direkt mit ihm über solche Themen sprechen könnte, beruhigte mich die Tatsache, dass diese Möglichkeit bestand. Eins wusste ich nun: Trotz seines pragmatischen Ansatzes hatte Leander den Wunsch, diese Ehe so angenehm wie möglich für uns beide zu gestalten.

"Leander," begann ich leise, meine Stimme zitterte leicht, "ich danke dir sehr für deine Offenheit." Ich hob meinen Blick und sah ihm in die Augen. "Das ist alles sehr... anders, als ich es mir vorgestellt habe. Ich weiß nicht, ob ich jemals über so etwas wie Liebhaber nachdenken würde. Aber es bedeutet mir viel, dass du mir in unserer Ehe Respekt entgegenbringen möchtest. Das ist für mich von großem Wert."
[Bild: 3_15_08_22_9_37_19.png]
Vormund: C. Numonius Pusinnus, Duumvir von Iscalis (NSC)
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10-13-2024, 04:41 PM,
Beitrag #10
RE: Tablinum
Nun, damit waren sie wohl einig. Leander war sich noch nicht ganz sicher, wie er darüber denken oder fühlen sollte, aber er würde darüber nachdenken, wenn Zeit dazu war. Seiner neuen Verlobten schien es ähnlich zu gehen, denn sie sah auch ziemlich überfordert, aber gleichzeitig auch entschlossen aus. Ihr Zusammenleben würde sich definitiv ein wenig einruckeln müssen, aber Leander war durchaus zuversichtlich, dass das gelingen könnte. Und ja, wenn er sie so betrachtete, konnte er sich nicht ganz der Überlegung erwehren, dass es hoffentlich auch für sie angenehm sein würde, einen Erben zu zeugen.
Zumindest stimmte sie schon einmal zu, ihn ebenso zu besuchen. “Gut, was hältst du von in drei tagen? Bring ruhig einige deiner Sklaven mit, damit diese sich mit meinen ebenfalls unterhalten und einander kennenlernen können.“ Denn auch für diese würde es ja eine Umstellung sein. Und Leanders eigenes Leben hatte ihn gelehrt, dass diese Änderungen sehr überwältigend sein konnten. Da wollte er es allen so angenehm wie möglich machen. Wahrscheinlich würden sie auch anbauen müssen, da Senecas Haus bislang den Bedürfnissen eines älteren Herrn entsprach und nicht einer baldigen Familie. Aber ein zweites Stockwerk über dem Atrium sollte gut möglich sein, oder zumindest eines über dem Wohnbereich im hinteren Teil des Hauses. Sie würden alle Platz finden. Und dass seine Ehefrau die erste Zeit ein Zimmer mit ihm teilen musste, war nun auch nicht gänzlich entgegen Leanders Wohlbefinden.

Auch wenn sie es nicht musste, wiegelte sie die Sache mit einem potentiellen Liebhaber ab. Aber das war in der Tat etwas, das Leander eher wenig beunruhigen würde. Dafür hatte er in Rom schon zu viel gesehen und erlebt und Eifersucht entsprach nicht seinem Naturell. Abgesehen davon, dass er sicher auch nicht streng auf eine Frau beschränkt sein restliches Leben verbringen würde.
“Nun, du bist jung, und das Leben ist lang. Es muss nicht immer alles endgültig sofort entschieden sein“, meinte er freundlich und war froh, dass sie seine Ehrlichkeit schätzte.
Ein kurzer Moment der seltsamen stille entstand, den Leander schnell überbrücken wollte. “Du hast sicher auch Fragen, die über die rein verwalterische Seite des Ganzen hinausgehen. Möchtest du noch etwas über mich wissen?“
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