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[Wälder um Iscalis] Nicht nur der Täter kehrt an den Ort des Verbrechens zurück
02-20-2024, 03:32 PM,
Beitrag #17
RE: [Wälder um Iscalis] Nicht nur der Täter kehrt an den Ort des Verbrechens zurück
Ich wollte nicht davon berichten, wie es war, aufzuwachen. Denn gemeinsam mit meinem Geist erwachte auch der Schmerz. 
Einer meiner Männer war tot an einen Baum genagelt. Quirinus jedoch lebte noch. Was der Mörder ihm angetan hatte, überstieg meine Vorstellungskraft und doch konnte ich mich Bewunderung nicht erwehren. Er hatte ihn geschält, wie man einen Apfel schälte. Mit vor Pein irren Augen starrte er mich an. Ich humpelte zu ihm hin:
"Du hast Rom tapfer gedient, Miles. Deine Ahnen warten auf dich", flüsterte ich. Das Sprechen fiel mir schwer, als steckten rostige Nägel in meinen Stimmbändern. Ich schnitt Quirinus die Kehle durch und umarmte ihn, als er starb. Erst als er schlaff wurde, ließ ich ihn los. 
ich drehte mich um und da sah ich erst eine Tabula und  einen Tiegel dort liegen, wo ich vorhin gelegen hatte. Ich brauchte eine Ewigkeit, um beides aufzuheben. Ich brauchte auch ungewöhnlich lange, die Schrift zu lesen, da es mir immer wieder schwarz vor Augen wurde:

-Ich habe dich von deinem Leiden befreit. Denke daran: 2 Wochen braucht es zum heilen, und noch einmal 2 Wochen der Ruhe. Nicht reiten! Eine Woche Verband täglich wechseln mit Heilpaste.
Wir sehen uns wieder-

Der Mörder, mein dunkler Kairos, hatte mich nicht kastriert. Er behauptete, den Fluch von mir genommen zu haben. Konnte das möglich sein? 

Dann entsann ich mich des toten Invictus. Mein Freund, mein Seelentier, warst du der Preis, den ich für die Aufhebung meines Fluchs bezahlen musste? Wenn es so wäre, wusste ich, dass er sich nur zu gerne für mich geopfert hätte. Invictus war ein edles Geschöpf gewesen, von all den Toten hier das würdigste Opfer, auch wenn der Mörder gar nicht gewusst hatte, wer er war. Ich küsste Invictus Stirn und seine Nüstern und streichelte sein schwarzes Fell. Ich würde die wilden Bestien nicht abhalten können, seinen noblen Leib zu schänden.  Das bedauerte ich am meisten.

"Ich werde dir einen Altar weihen", flüsterte ich meinem toten Freund zu: "Und eines Tages werde ich die Macht haben, dich unter die Sterne zu versetzen" 
 Auch Iuppiter hatte seine Lieblinge zu Sternbildern gemacht. Dieses Versprechen war alles, was ich ihm noch geben konnte.

Mühesam erreichte ich eines der Pferde, die noch lebten. Die Heilpaste samt Wachstafel schob ich in eine Satteltasche. Ich konnte kein Bein heben, um mich aufzuschwingen, also warf ich mich über den Sattel und hing nun quer über seinem Rücken wie ein Sack.

Ob der Mörder noch irgendwo war und meinem Kampf zusah? Er hatte geschrieben, dass wir uns wieder sehen würden. 
Aber ich wusste nun, dass er sich nicht so einfach vor meinen Karren spannen lassen würde. Macht oder Ehrgeiz schienen ihm nichts zu bedeuten. Er mordete aus anderen Anlässen, vielleicht auch nur wie ein Kind, das Puppen zerschlug - oder vielmehr meisterlich zerlegte. Er würde Petilius Rufus nur töten, wenn er gerade Lust dazu verspürte. Nicht für Gold, nicht für gute Worte, auch nicht für Ehre. Wären alle wie er, würde das Imperium, würde die gesamte Zivilisation still stehen und zusammenbrechen. 

Es dauerte lange, bis ich in jener Zivilisation zurück war. Römische Landbesitzer brachten mich in die Castra.


Epilog.

Hätte ich über die Geschehnisse in jenem Wald wahrheitsgetreu berichtet, hätte man vielleicht die Gegend von hinten bis vorne aufgerollt. Vier Tote auf einem Privatausflug waren nicht gerade wenig. Aber Aufmerksamkeit dorthin zu lenken,  passte nicht in meine Absichten. 
Der Mörder sollte unbehelligt bleiben. Ich fühlte eine seltsame Verbundenheit mit ihm, nicht Freund-, sondern eher Komplizenschaft  als würde man ein finsteres Geheimnis teilen.

Ich trieb also Zeugen auf, die berichteten, dass  Gavius, Pinarius und Sentius in Lindinis in einen Händel geraten waren. Die Täter waren entkommene Minensklaven, denen wir auch habhaft wurden. Sie bekamen für ihre Missetaten schöne, hohe Kreuze. Drei zwar übel verstümmelte Leichen für eine statthafte Beerdigung gab es auch; ich hatte Sklaven ausgesucht, die den drei Soldaten von der Statur und Haarfarbe her glichen.
Über Quirinus berichtete ich, dass er mein Leben gerettet hatte, als uns ganz woanders eine Räuberbande überfiel. 

Die Kontrollen in der Gegend wurden verschärft. Die Schikanen gegenüber der Untertanen auch. Zeitweilig gab es zwischen Lindinis und Iscalis so viele Kreuze, dass niemand wegen des Gestanks die Römerstraße benutzen wollte.

Ich jedoch heilte.
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RE: [Wälder um Iscalis] Nicht nur der Täter kehrt an den Ort des Verbrechens zurück - von Titus Ovidius Decula - 02-20-2024, 03:32 PM

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