RE: [Wälder um Iscalis] Nicht nur der Täter kehrt an den Ort des Verbrechens zurück
Ich hätte den Kopf geschüttelt, wäre es mir möglich gewesen. Nein, ich hatte vorher noch nie jemanden die Handsehnen durchgeschnitten. Kniesehnen von Gefangenen, damit sie nicht fortlaufen konnten, waren etwas anderes.
"Es war noch nie zuvor zweckdienlich gewesen", erwiderte ich:
"Außerdem war ein Medicus anwesend. Ich ging davon aus, dass er sein eigenes Leben retten würde. Aber du, woher hast du deine Kenntnisse?"
Wie ein Mensch inwendig aussah, das war keine verbreitete Kenntnis. Ärzte wussten es nur, wenn sie die Möglichkeit hatten, Anatomievorlesungen zu besuchen. Die meisten faselten etwas von einem Ungleichgewicht der vier Säfte. Soldaten und Gladiatoren wussten es schon besser. Aber woher wusste der Mörder so genau Bescheid?
"Ich nehme nicht an, dass du im Museion von Alexandria Vivisektionen beigewohnt hast. Oder doch?"
Es hieß zumindest, dass die Gelehrten dort ab und an vom Kaiser einen verurteilten Verbrecher überstellt bekamen, an dem sie die menschlichen Organe studieren konnten.
Ich zermarterte mir immer noch das Gehirn, wer und was der Mörder sein konnte.
Ich starrte auf Quirinus. Auf dessen heller Haut malten rostrote Linien ein hübsches Netzmuster. Der Kamerad saß mir gegenüber. Er gab mit halb geöffnetem Mund gurgelnde Geräusche von sich. Seine Augen waren weit aufgequollen wie die eines Frosches.
Der Mörder hatte sich mittlerweile zu einem Schemen manifestiert. Meine Sehkraft schien sich zu bessern. Dunkles Haar umrahmte ein bleichen Gesicht mit brennenden Augen, aber nach wie vor war alles undeutlich, als hielte ich den Kopf unter Wasser. Ich war auf seine Stimme angewiesen. Nur sie hielt mich in der Welt der Lebenden.
Jetzt versetzte er Quirinus Hand einen kurzen Schnitt. Vermutlich wollte er mir zeigen, welchen Effekt das hatte. Der Mörder behielt Recht, diese kleine Wunde blutete heftig.
Leider war da nur Quirinus. Wie gerne hätte Petilius Rufus an seiner Stelle gesehen.
Die Frage des Mörders riss mich aus meinem Rachegedanken:
"Es ist nicht nur das fließende Blut, das reizvoll ist", antwortete ich widerwillig:
"Ich gebe auch oft, ohne dass ich davon etwas zu sehen bekomme, den Befehl zum Töten",
da dachte ich an Centurio Octavius, der in eine Höhle verschleppt und zu Tode geprügelt worden war. Das hatte ich auch nicht gesehen, aber die bloße Vorstellung hatte meinen Tag erheitert.
Ich merkte, wie mein Puls schneller wurde. Ich spürte das Verlangen durch meine Adern rasen, in meinem Kopf, aber dort, wo mein Genius meine Männlichkeit behüten sollte, hielt es inne. Halb erwartete ich den furchtbaren Schmerz.
"Nein!", erwiderte ich. Ich musste flüstern, doch am liebsten hätte ich geschrien:
"Ich erlebe niemals Lust, weißt du! Es schmerzt so unsagbar. Ich bin verflucht",
ich war mir in diesem Moment sicher, dass es beim Mörder konträr war. Vermutlich f.... er sich ständig die Seele aus dem Leib. Ein heiseres Schluchzen wollte durch meine Kehle, ich kämpfte es nieder.
Nein, ich konnte nicht tun, was der niedrigste Sklave tun konnte. Es war ein Fluch in einer Welt, die voller Lust und Begehren war. Ich konnte nur ihre Geißel sein.
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