Ja, er erkannte mich. Ich sah es in seinen Augen, noch ehe er die Worte sprach. Dieses stumme Entsetzen, das dem Tod stets vorausging. Er ertrug es besser als die meisten, das musste ich ihm zugestehen, und doch war es da, hinter dem Schein seiner Augen. Ich hatte bislang noch niemanden getroffen, der diesen Funken, diesen Stich des Schicksals nicht verspürt oder es vollständig hätte verbergen können.
Als er sagte, dass er nicht geglaubt hätte, dass ich davongekommen sei, lockerte ich meinen griff und ließ ihn atmen.
“Bin ich nicht“, war die kurze, prägnante und vollkommen zutreffende Antwort. Der Tod damals wäre eine Gnade gewesen, ein Ende eines unwürdigen Lebens, bevor es gänzlich verloren und den tiefsten Abgründen des ewig brennenden Orcus geweiht war. Damals, mit grade mal 24, war ich schon bereit gewesen, all die Albträume enden zu lassen. Ich hätte es begrüßt, wenn Galba mein Leben genommen hätte. Aber sein militärischer Verstand und sein Geiz hatten meine Gaben nutzen und nicht verschwenden wollen. Otho hatte die Prätorianer bestochen und sich Galbas entledigen lassen, weshalb er natürlich auch keinen von uns hatte hinrichten lassen. Und Vitellius…
“Vitellius war ein charakterloses Schwein“, sagte ich nur, weil der Medicus Sporus erwähnte. Ich hatte das junge Ding gekannt. Natürlich hatte ich das. Er hatte Poppaea Sabina spielen sollen für Nero. Dieser war sogar so größenwahnsinnig geworden, jedem Arzt eine Unsumme an Geld zu versprechen, wenn dieser aus Sporus eine empfängnisfähige Frau machen würde, da Nero so dringend einen Erben brauchte. Noch so ein zartes Geschöpf, das durch die Politik aufgerieben worden war. Noch ein Leben, das durch Vitellius sein Ende fand. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich den Jungen schnell und schmerzlos getötet. Er hätte sich nicht erhängen müssen.
Aber doch schweiften meine Gedanken ganz automatisch zu den Geschehnissen so kurze Zeit später. Zu
Maesas Vater und dem letzten Tag von Vitellius Herrschaft. Zu dem Moment, als er meinen Arm ergriffen hatte und mir dieses Versprechen abgenommen hatte, mich um seine Tochter zu kümmern. Ich konnte diese Geister gerade nicht brauchen, aber sie waren verdammt noch mal
DA, auch nach all den Jahren. Alle von ihnen. Ich schüttelte kurz den Kopf, um sie zu vertreiben.
“Wenn du Vespasian dienst und ihr Leben schützen willst, dann weißt du, dass beides nur möglich ist, wenn ihr Mann nicht weiß, wo sie ist. Wenn du im Palast warst, weißt du auch, dass kein Brief an den Kaiser je geheim bleibt. Du kennst die Kanzlei. Du weißt, dass sie alles lesen. Und du weißt, dass Vespasian dann nicht weiter so tun kann, als wisse er nichts.“
Ich schaute den Medicus an. Ich wollte ihn wirklich nicht töten. Vielleicht war es die Erinnerung an Sporus, diesen dünnen, lachenden Jungen, für den ich nichts hatte tun können, um ihm Schmerz zu ersparen. Vielleicht war es ein klein wenig Wiedergutmachung, wenn sein Freund dafür weiterleben konnte. Aber ich brauchte die Sicherheit, dass er wirklich verstand, dass er dem Kaiser nur dann wirklich diente und Flavia Maesa nur dann wirklich schützte, wenn er eben nichts in die Wege leitete, auf das der Kaiser reagieren musste und das irgendwer in der Kanzlei weitererzählen konnte.