>>> Aus der dunkelhäutigen Sklavin bekam Pytheas kein vernünftiges Wort heraus. Ihre Drohungen überhörte er, das schrieb er ihren bloßliegenden Nerven zu. Er klopfte dennoch auf das Holz der Tür, um sich bemerkbar zu machen, während sich seine Augen an das schwächere Licht gewöhnten, dass in dem Raum herrschte.
Eine Frau lag in ihrem Bett, und die Sklavin warf sich nun über sie und weinte und bat sie, sie nicht zu verlassen. Ein Mann saß an ihrer Seite. Pytheas kannte ihn,
das war der Nachbar, den er an seinem eigenen Vertragsabschlusstag zum Verwalter Hyginus Arvidus geführt hatte, weil er zufälligerweise auch eine Wohnung besichtigen wollte. Nun wohnten sie auch im Thorianum, waren jedoch sehr zurückgezogen lebende Leute. Der Name des Mannes lautete Bo, und er war wohl ein Freigelassener oder ein Sklave der Kranken, da er bei ihrer Begegnung immer von seiner Herrin gesprochen hatte. Pytheas tippte auf Grund des Auftretens von Bo auf Ersteres:
" Salve, ich bin Pytheas Medicus", sagte er. Im Gegensatz zur Sklavin brachte Bo vernünftige Sätze heraus, mit denen er etwas anfangen konnte. Er nahm eine metallene Schüssel aus seiner Theca und reichte sie dem Mann, der sie hoffentlich der Sklavin reichen würde. Arbeit war nach Pytheas Ansicht immer das Beste, um bloßliegende Nerven zu beruhigen.
" Wie lange ist sie schon in diesem Zustand? Habt ihr fließendes Wasser in diesem Stockwerk? Könntest du mir bitte diese Schale füllen, Bo war dein Name, nicht wahr? Ich bräuchte auch saubere Leintücher und eine Wolldecke, die nicht mehr viel taugt, damit man sie in Streifen schneiden kann"
Die Ladengeschäfte unten hatten alle Wasser, aber Pytheas wusste nicht, wie hoch der Wasserdruck in den anderen Stockwerken reichte. Er nahm die fieberheiße Hand der Frau, damit sie spürte, dass er hier war.
Dann näherte er sich mit seinem Unterarm der Stirn der Kranken, um festzustellen, wie hoch ihr Fieber war und nun erst sah er ihr ins Gesicht....
Pytheas hatte nie von sich behauptet, ein gutes Gedächtnis zu haben, aber Gesichter von Patienten vergaß er nie. Er kannte die Bos Herrin. Doch sie gehörte nicht nach Iscalis, sie gehörte überhaupt nicht hier in dieses Leben, sie gehörte mit zu der Vergangenheit, die hinter ihm im wesenlosen Schein lag. Sie kam direkt aus der Vergangenheit, die er mit
Persephone geteilt hatte, die seiner Jugend auf dem Palatin.
Der Medicus war sich so sicher, wie er nur sein konnte. Hier in diesem einfachen Bett in einer Mietswohnung in einer Insula in einem Provinzstädtchen in der fernen Provinz Britannia lag gerade:
FLAVIA MAESA.
Sie war eine Flavia, eine nahe Verwandte des Kaisers, verheiratet mit einem mächtigen Mann aus der Patriziergens der Quinctia , beneidet und bewundert - und doch hatte sie eines Abends wie ein Häufchen Elend in der Praxis von Pytheas Lehrmeister Andromachus gesessen. Pytheas war damals noch nur sein Gehilfe gewesen.
Einem Moment lang war dem Medicus seine Verwirrung anzusehen. Doch dann drängte er diese Gefühle zurück. Ganz gleich, was die Flavia hier zu suchen hatte und welche Gespenster sie aus seiner Vergangenheit wachrief, jetzt war sie eine Patientin. Ihr Zustand war besorgniserregend:
" Wir müssen das Fieber unbedingt senken", sagte er ernst zu Bo, als hätte er nichts anderes bemerkt. Ihm gelang es, alles auszublenden. Für Fragen würde später noch Zeit sein. Er bereitete Posca für Waden- und Brustwickel vor. Wenn sie nicht ausreichend wirken würden, würde er zum Aderlass greifen müssen. Das setzte er bei so fragilen Menschen wie Flavia Maesa äußerst ungern ein, auch wenn sein Lehrmeister wie fast alle Ärzte darauf geschworen hatte:
"Herrin...", sagte er leise :
" Bitte lass deine Sklavin deine Beine und deine Brust freimachen, um dir die Essigwickel anzulegen" Normalerweise hätte er bei keiner Patientin so sehr gezögert. Doch diese Patientin stand sehr weit über ihm. Es schickte sich ganz und gar nicht für ihn, sie zu berühren. Es gab Damen der Gesellschaft, die wären lieber gestorben, als sich von einem Wildfremden berühren zu lassen( Da waren eigene Sklavenärzte eine Ausnahme). In solchen Momenten wünschte sich Pytheas, er hätte Iuventia Helena dazu überreden können, eine ärztliche Ausbildung zu machen, um solche Patientinnen gut behandeln zu können.