RE: In den Wäldern Britannias: Im Netz der Spinne - eine Sklavenjagd
Heute war Samhain. Die Pforte zwischen den Welten würde sich bei Sonnenuntergang öffnen und die gesamte Nacht offenstehen, bis zu den ersten Sonnenstrahlen des nächsten Morgens. Die Götter und ihr Volk würden unter uns wandeln, unerkannt, und so manche Fae würde heute einen Handel abschließen mit einem nichtsahnenden Sterblichen. Und so mancher Sterbliche würde sich bei Sonnenaufgang auf der falschen Seite der trennenden Wasser wiederfinden und verloren sein. Es lag uralte Macht in der Luft.
Und ich war so unruhig! Die letzten tage hatte es sich schon abgezeichnet, aber heute wusste ich es mit Bestimmtheit. Die Götter verlangten ein Opfer, aber sie zeigten es mir nicht. Und Cinead hatte mir verboten – naja, nicht direkt, aber irgendwie doch – heute Nacht in ein Dorf oder zur Quelle zu gehen. Wie sollte ich denn da das Mädchen finden, das dazu gedacht war, mir wieder Ruhe zu bringen? Wie sollte ich hier am Arsch der Welt das Werkzeug der Götter sein?
Die Sache mit Erwan war viel zu lange her. Ich erinnerte mich kaum noch an das Mädchen in der Küche. Ich wusste nicht mehr, wie ihre Haut gerochen hatte. Ich war mir nicht einmal mehr ganz sicher, welche Haarfarbe sie gehabt hatte. Oder bei welcher Handlung sie welchen Laut von sich gegeben hatte. Ich wusste nicht mehr, wie ihr Tod schmeckte. Ich fühlte nicht mehr ihr warmes Blut. Die anderen verstanden das nicht, sie konnten es nicht verstehen, aber für mich war das schlimm. Für mich war das wie ein Biest, das in meinem Inneren erwachte und nach draußen gelangen wollte, welches ich nur so gerade eben noch in gezügelten Bahnen halten konnte. Das war wie ein wütender Bienenschwarm in meinem Kopf, der immer lauter und immer ärgerlicher wurde und nach und nach alles andere auslöschte.
Ich hatte mich also von Cinead und Dunduvan etwas verabschiedet. Dunduvan saß immer noch bei uns in der Höhle und brütete vor sich hin wie eine Ente im Schilf, aber wenigstens teilte er prinzipiell meinen Durst nach Blut oder er behinderte mich dabei zumindest nicht. Aber gerade konnte ich keinen von ihnen um mich haben. Es war, als wäre mir meine eigene Haut zu eng. Ich war kurz davor, sie mir selber herunterzuschaben, als ich den Krach eines Pferdes hörte, das sich seinen Weg durch den Wald suchte.
Im Wald gab es eigentlich nur einen Wildwechsel, der breit genug für ein Pferd war, also musste ich nicht lange suchen oder mich orientieren, ehe ich los ging. Als ich schließlich den Reiter auf seinem Pferd erblickte, wäre ich beinahe in irres Lachen ausgebrochen. “Nicht ganz die Maid, die ich erwartet habe“, amüsierte ich mich laut genug, dass der Kerl mich bemerkte. Das war der eitle Römer, dem der Sklave weggelaufen war, damals, als wir in Erwans Haus eingedrungen waren und ich das letzte Mal diese süße Erleichterung verspürt hatte. Die Götter zeigten mal wieder ihr verschlungenes Netz, und ich verstand ihr Geschenk. Auch wenn mir ein rothaariges Mädchen lieber gewesen wäre. Vielleicht eines mit einer Zahnlücke.
Falke
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