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Die Hütte der Gwrach
10-05-2023, 09:42 PM,
Beitrag #33
RE: Die Hütte der Gwrach
Furius bedankte sich bei mir und kam dann auf die kuriose Idee, die Hütten der Leute von Cheddar durch römische Häuser zu ersetzen, denn er meinte, niemand würde auf Dauer auf den römischen Komfort verzichten wollen. "Ich für meinen Teil bin mit meiner Behausung zufrieden. Aber ich bin ja auch schon alt und brauche nicht viel," meinte ich zufrieden lächelnd. Der Römer sah sich weiter um. Wahrscheinlich hatte er noch nie zuvor ein Rundhaus von innen gesehen. Wenigstens hatte es in der Mitte kein Loch, so dass es hineinregnen konnte.

Natürlich erblickte er auch irgendwann die Kräuter, die ich zum Trocknen aufgehängt hatte und wollte dann prompt wissen, ob alle Dorfältesten halbe Medicae wären. Ich musste bei diesem Gedanken grinsen. Wenn Furius wüsste, wen oder besser was er vor sich hatte, würde er sicher anders reden. Wahrscheinlich würde er dann gar nicht mehr mit mir reden. "Ja, ich kenne mich ein wenig damit aus. Die Leute kommen gelegentlich zu mir, wenn sie leichte Verletzungen oder kleine Wehwehchen haben. Dann bereite ich ihnen eine Tinktur oder einen Aufguss zu." untertrieb ich. Natürlich verschwieg ich ihm, weswegen die Leute noch so zu mir kamen: Zaubertränke oder gar Gift – nein, das musste er nicht wissen! "Nein, nicht alle Dorfältesten sind Heiler. Manche gehen auch anderen Tätigkeiten nach."

Er trank etwas von seinem Wasser und kam dann endlich zum eigentlichen Grund seines Besuches. Denn tatsächlich wollte er den Bewohnern von Cheddar keine römischen Häuser aufschwätzen, was mich irgendwie doch beruhigte. Stattdessen begann er vom anstehenden Besuch des Statthalters von Britannien zu sprechen. Hier in Cheddar interessierte sich nicht wirklich jemand dafür, was die Römer in ihrer Stadt trieben. Ebenso wenig, ob der Statthalter gerade vorbei ritt oder nicht.
"Ja, ich habe davon gehört," meinte ich, denn ich hatte ja gerade davon gehört. "Ja, mir ist bewusst, was ein Statthalter ist," sagte ich, auch wenn ich nicht gewusst hätte, wie der aktuelle Statthalter hieß. Furius sollte ihn also empfangen. wie schön für ihn. Natürlich wollte ein solcher Mann auch gebührend unterhalten werden, wenn ich Furius Saturninus richtig verstanden hatte. Ich konnte mir schon lebhaft vorstellen, was er damit meinte. Römer mochten es meist gerne blutig, wenn es ums Showgeschäft ging. "Nein, ich war noch nicht in einem Circus und habe auch noch keine Gladiatorenkämpfe gesehen. Aber ich habe davon gehört." Oh ja, das hatte ich! Als er dann auch noch meinte, es gäbe viele Kelten unter ihnen, denn die -  oh, beinahe hätte er wieder das böse Wort mit B gebraucht! -  Krieger konnten dort viel Geld und Ruhm ernten, wollte mir beinahe der Kragen platzen. Ich fragte mich, wie viele von ihnen freiwillig dort waren und wie viele man dort als Sklaven hielt. Aber natürlich ließ ich mir nichts anmerken und lächelte erwartungsvoll meinen Gast an. Denn auch potentielle Kämpfer zu finden, war nicht der Grund seines Besuches.

Schließlich plapperte er weiter, welche Vorlieben die Zuschauer hatten und dann wollte er mir doch tatsächlich erzählen, dass solche Kämpfe auch als Lehrveranstaltungen angesehen werden konnten, denn die Zuschauer konnten etwas über die Geschichte und Mythen ihres Volkes lernen. Daher wollte er nun von mir einige passende Geschichten hören. Ich überlegte kurz, während er in der Zwischenzeit eine Wachstafel hervor holte, um sich Notizen zu machen . "Oh, da würde mir eine schöne Geschichte einfallen, die aus der Heimat meiner Mutter stammt und die sie mir als Kind einmal erzählt hat. Meine Mutter kam von der Insel, die ihr Hibernia nennt, musst du wissen. Aber die Geschichte ist auch hierzulande bekannt." sagte ich und nahm noch einen großen Schluck meines Getränks, bevor ich zu erzählen begann:

"Vor lange Zeit, als die Tuatha de Danaan nach der Schlacht von Tailltin einen König für sich wählten, übertrugen sie Bodb Dearg diese Aufgabe. Doch Lir gefiel diese Entscheidung nicht, denn er glaubte, er habe selbst das Recht, König zu sein. Er verließ die Versammlung, bevor er dem neuen König die Treue schwören konnte. Die Getreuen des neuen Königs wollten Lir verfolgen, um ihn zu töten und sein Haus niederzubrennen. Doch der König verbot es, denn auch ohne Lirs Treueschwur würde er König sein.
Doch einige Jahr später erlitt Lir einen tragischen Schicksalsschlag: Seine Frau starb unerwartet und er verlor fast seinen Lebensmut. Der König Bodb Dearg hörte davon und lud seinen ehemaligen Rivalen an den königlichen Hof ein. Ergriffen von Lirs Schicksal bot der König ihm an, eine seiner drei Ziehtöchter zur Frau zu nehmen. Lir wählte nach reiflicher Überlegung schließlich die Älteste. Sie hieß Aoibh und schenkte ihm schon bald darauf zwei Kinder: Das Mädchen Fionnuala und den Jungen Aodh.

Später brachte Aoibh die beiden Zwillingsbrüder Fiachra und Conn zur Welt, bei deren Geburt sie jedoch starb. Lir verkraftete diesen erneuten Schicksalschlag nur schwer. Doch die Liebe zu seinen vier Kindern hielt ihn am Leben. Und Bodb Dearg kümmerte sich erneut um Lir. Er gab ihm schließlich Aoibhs jüngere Schwester Aiofe zur Frau. Diese war den Kindern zunächst eine liebevolle Stiefmutter. Als die drei Jungen und das Mädchen heranwuchsen, verspürte Aiofe immer öfter ein nagendes Gefühl: Eifersucht.
Sie erdachte einen finsteren Plan und um diesen in die Tat umzusetzen, lud sie die Kinder zu einen Ausflug ein. Freudig machten sich alle in Aiofes Kutsche auf den Weg. Unterwegs bei einer Rast, befahl die eifersüchtige Aiofe ihren Dienern, die Kinder zu töten. Diese waren entsetzt und weigerten sich. Aiofe wollte zunächst selbst zum Schwert greifen, brachte es aber letztlich nicht übers Herz. Stattdessen besann sie sich auf ihre Zauberkraft.
Da es ein schöner Tag war, wollten die Kinder in einem See schwimmen und plantschen. Als die Kinder den See wieder verlassen wollten, berührte Aiofe die Wasseroberfläche mit ihrem Zauberstab und sofort verwandelten sich die Kinder in vier junge Schwäne. Fionnuala, die ihre menschliche Stimme noch hatte, flehte Aiofe an, ihre Tat ungeschehen zu machen. Aiofe kam tatsächlich zur Besinnung und wollte den Fluch zurücknehmen. Doch dazu war es zu spät. Immerhin aber konnte sie den Fluch abschwächen und zeitlich begrenzen: Sobald ein Königssohn aus dem Norden eine Königstochter aus dem Süden zueinander finden würden, wäre der Fluch aufgehoben. Bis dahin aber sollten die Geschwister 900 Jahre  und jeweils 300 Jahre an einem anderen Ort ihr Schicksal als Schwäne fristen. Außerdem durften sie ihre menschliche Stimme behalten.
Aiofe kehrte alleine zurück und Lir und Bobd Dearg wussten sofort, dass sie den Geschwistern etwas angetan hatte. Doch die genauen Details wollte Aiofe nicht verraten. Bobd Dearg wurde daraufhin unglaublich wütend. Er verwandelte Aiofe in einen Dämon der Lüfte und verfluchte sie, bis zum Ende aller Tage über die Insel streifen zu müssen. Wenn es stürmisch ist und der Wind aus dem Norden heult, heißt es, dass Aoife der Dämon hinter den Schreien und dem Heulen ist.
Voller Trauer machte sich Lir auf, um mehr über das Schicksal seiner geliebten Kinder zu erfahren. Kurzerhand ritt er zu jenem See, von dem Aiofe nur undeutlich gesprochen hatte. Dort fand er vier Schwäne, die zu seiner Überraschung zu ihm sprachen: "Vater, wir sind es, deine Kinder. Wir müssen 900 Jahre in dieser Gestalt bleiben und jeweils 300 Jahre an einem anderen Ort leben. Deshalb können wir nicht nach Hause kommen." Das machte Lir traurig. Doch er war froh, mit seinen Kindern sprechen zu können. "Ich will Euch etwas schenken, sodass die Zeit nicht so lang wird", sagte er und warf vier Haselnusskerne in den See. Jeder Schwan aß einen davon und von da an besaßen sie die Gabe des wunderschönen Gesangs. Und sie sangen. Die Tuatha de Danaan und die Menschen kamen oft an den See und lauschten dem zauberhaften Gesang. Und auch Lir besuchte seine Kinder in Schwanengestalt wann immer er konnte.
Doch eines Tages, 300 Jahr später, verspürten die Schwäne den Drang, den Ort zu wechseln. 300 Jahre lebten sie an einem kalten unwirtlichen Ort im Norden  im Meer und dann, weitere 300 Jahre später, zogen sie weiter nach Erris. Eines Tages war es dann soweit: Sie flogen zu ihrem Zuhause zurück. Doch als sie dort ankamen, fanden sie den Ort verlassen vor. Das Haus war längst überwuchert mit Brennnesseln und niemand wartete dort auf sie. Ihr Vater war schon vor langer Zeit gestorben. Enttäuscht flogen die Schwäne nach Inis Gluaire und warteten dort, bis der Fluch gebrochen wurde. Zur gleichen Zeit aber geschah es, dass Lairgren, ein Prinz aus dem Norden Deoch, eine Prinzessin aus dem Süden zur Frau nahm. Damit war der Fluch gebrochen und die vier Schwäne verloren ihre Federn. Die verwandelten sich wieder zurück in ihre menschliche Gestalt. Doch sie waren inzwischen uralt geworden, so dass sie bald darauf starben. Man begrub die vier Geschwister engumschlungen in einem Grab, so wie es sich Lir, ich Vater es gewünscht hatte."
Ich hatte meine Geschichte zu Ende erzählt und war gespannt, was Furius dazu sagen würde.
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