RE: Die Domus und das Ladengeschäft des Tuchhändlers Erwan
Niamh wollte einfach nur noch von hier fort! Alle ihre Peiniger waren nun tot. Aber trotzdem fühlte sie diese Leere in sich. Das Gefühl der Rache hatte nur einen kurzen Moment angehalten und war dann einfach verpufft. Unter normalen Umständen hätte sie nun erleichtert sein können, dass Erwan und seine Männer ihr nie wieder etwas antun konnten. Doch die Freude darüber konnte sich nicht einstellen. Sie hatte an diesem Abend ihre Freiheit wieder gewonnen, aber auch so viel verloren! Die Erkenntnis, dass sie ganz allein war, auf dieser Welt manifestierte sich in ihren Gedanken. Louarn hatte gewiss ein großes Herz, sonst wäre er nicht gekommen und hätte sie befreit. Doch einen festen Platz hatte sie niemals darin gefunden, denn er hatte niemals wirklich ihre Gefühle erwidert. Die Gleichgültigkeit, mit der er ihr begegnet war, hatte ihr einen Messerstoß versetzt.
Tränen rannen über ihre Wangen, als sie hinaus in die Nacht gelaufen war. Ohne darüber nachzudenken, wohin sie eigentlich wollte, lief sie los. Aber sie kam nicht weit. Als sie hinter sich einen Pfiff und eine hörte, blieb sie abrupt stehen und wandte sich um. Cinead, Ciarans Zwillingsbruder war mit seinem Pferd aus dem Schatten hervorgetreten. Nun bot er ihr an, ihr beim Aufsteigen zu helfen. Sie zögerte einen Moment. Von Ciaran und seinen Späßen hatte sie schon genug. Dies aber war sein Bruder, der im Zweifelsfall keinen Deut besser war, als sein Bruder. Ein Teil in ihr wehrte sich dagegen, auf das Pferd zu steigen, denn ihr Vertrauen in die Zwillinge war nicht besonders groß. Doch die Vernunft gebot ihr, das Angebot anzunehmen, da sie sonst in dieser fremden Stadt endgültig verloren wäre.
Niamh trat näher heran und wollte schon auf das Pferd steigen, als sie plötzlich Louarns Stimme hörte. Er kam auf sie zu, hielt aber ungewöhnlich viel Abstand zu ihr. Dann redete er auf sie ein, dass er wüsste, sie würde ihn verachten und hassen und dass er es verstehen könne. Aber er wolle ihr helfen, denn sie war noch immer nicht wieder völlig hergestellt. Sie merkte bereits, wie die Wirkung von Ciarans Wundermittel nachließ.
Ein großer Teil von ihr wäre liebend gerne mit ihm gegangen, denn ihre Gefühle für ihn waren immer noch da. Aber genau deswegen würde er ihr immer wieder von neuem wehtun, indem er ihr deutlich zeigte, dass er ihre Gefühle nicht erwiderte.
"Ich verachte dich nicht! Und ich hasse dich auch nicht," stellte sie klar. "Du willst, dass ich mit dir komme? Um ein weiteres Mal erfahren zu müssen, dass ich dir nichts bedeute und du mich nicht liebst? Wie oft willst du mir mein Herz noch zerreißen?" Sie erwartete keine Antwort von ihm und stieg auf den Rücken des Pferdes.
|