Die Amtsübernahme des Statthalters Lucius Petilius Rufus
Lucius Petilius Rufus stand am höchsten Punkt des Decks der Liburne der Classis Britannica und blickte auf seine Provinz.
Vor einigen Wochen schon war er von Rom aus aufgebrochen, erst mit der Classis von Ostia westlich zwischen Corsica und Sardinia hindurcht, mit einem kurzen Zwischenstopp in Gallicum Fretum auf Corsica, um neues Wasser aufzunehmen und sich nach drei Tagen etwas die Beine zu vertreten. Dann weiter nordwestlich bis Narbo, wo sie an Tag sieben angekommen waren. Von dort aus ging es über Land, immer in nördliche Richtung. Erst nach Tolosa in Gallia Narborensis, dann mit der Flussflotte die Garunna hinauf, über Arginnium bis Burdigala in Aquitania.
Hier nahmen sie dann mehrere Schiffe der Classis Britannica in Empfang, die die letzte Strecke überwältigen sollten. Erst zur Civitas Namnetum, die früher auch Condevicum genannt wurde, am nördlichsten Ende Aquitaniens. Ab dort ging es wieder östlich, erst einmal nach Iuliobona in Gallia Lugdunensis und schließlich zum Flottenstützpunkt der Classis Britannica nach Portus Itius in Belgicae. Hier konnte sich der gesamte Zug des neuen Statthalters von Britannia erst einmal eine Woche ausruhen und wieder zu Kräften kommen, denn neben dem Statthalter reiste natürlich auch ein umfangreiches Gefolge bestehend aus seiner Ehefrau und nicht weniger als siebzig Sklaven, nebst einigen Rittern und deren Sklaven und den Söhnen des ein oder anderen Senators nebst deren Sklaven, wie das eben immer so war, wenn ein neuer Statthalter eingesetzt wurde. Die jungen Leute witterten ihre Chance im Umfeld eines großen Mannes, so dass die Entsendung eines Statthalters der Entsendung einer kleineren Stadt gleichkam.
Schließlich aber kam der letzte Teil der Reise, die Überquerung des Oceanus Britannicus von Portus Itius aus, vorbei an der Landspitze im Südlichen Britannia mit der Stadt Rutupiae mit der beeindruckenden Festung, und dann hinein in die Ausläufe des Flumen Tamesis.
Die Ruderschläge der Besatzung waren gleichmäßig und präzise, während sich die Liburne ihren Weg gegen die Strömung ankämpfte und schließlich Londinium in Sicht kam. Die Stadt war bunt geschmückt, wie es sich für den Empfang eines neuen Statthalters auch gehörte, und die gesamte Uferpromenade war von Schaulustigen gesäumt. Schon als die ersten, kleineren Schiffe der Vorhut an ihnen vorbeifuhren, brach die Menge in Jubel aus, noch ehe die große und schwere Liburne mit Rufus an Deck an ihnen vorbeifuhr. Er selbst trug volles Staatsornat, wie es sich für einen Amtsantritt gehörte, mit leuchtender Toga und den dicken, dunkelroten Streifen. Als Legatus Augusti pro Praetore hatte er kein eigenes Imperium, so dass er folglich nicht zum Imperator ausgerufen werden konnte und folgerichtig auch kein Paludamentum, aber es war wohl dennoch eindeutig, dass er der neue Statthalter dieser Provinz sein musste. In einer Grußgeste hob er seinen rechten Arm, während das Schiff an den wartenden vorbeifuhr, den Blick nach vorne gerichtet.
Die Stadt Londinium selbst war noch immer im Aufbau begriffen, selbst zwanzig Jahre nach dem Icener-Aufstand. Am nordwestlichen Ende thronte das Castellum zum Schutz der Stadt, in dem ein Teil der Legio XX Valeria Victrix stationiert war. Man hatte aus den Fehlern des Aufstandes gelernt und nun eine Schutzeinheit der Stadt dort eingerichtet, während der Großteil in Viroconium weiter nordwestlich stationiert war. Eine Brücke war gebaut worden, die die Stadt am Nordufer mit der Siedlung am Südufer verband und schnellen Transport von Waren erlaubte, deren Klappmechanismus in der Mitte aber auch eine Durchfahrt von Schiffen erlaubte, wenn er mittels Ochsengespannen wie jetzt hochgezogen wurde, so dass die Liburne ungehindert passieren konnte. Der Handelshafen der Stadt war östlich dieser Brücke, aber dorthin steuerten die Schiffe nicht. Ihr Ziel lag im westlichen Teil, wo der neue Statthalterpalast noch immer im Bau war. Dieser verfügte über eine eigene Anlegestelle direkt an der Tamesis, die mit Treppen zum eigentlichen Palast hinaufführte. Dorthin steuerte also das Schiff und zog höchst eindrucksvoll die Ruder schon zuvor ein, so dass das Schiff ganz sanft an seinen Anlegeplatz trieb.
Seile wurden hin und her geworfen und eine Planke donnerte herunter. Das Schiff hatte angelegt. Rufus sah sich kurz nach seinem Schreiber um, der ihm wie ein Schatten folgte.
“Claudius ist bereit für uns und die Übergabe?“ fragte er noch ein letztes Mal, da er keine unliebsamen Überraschungen wollte. Sein Schreiber nickte. “Er wurde vor zwei Wochen über deine Ankunft informiert und hat auch Botschaft nach Itius geschickt, dass alles bereit ist.“
Rufus nickte noch einmal, straffte ein letztes Mal die Schultern und begab sich dann schließlich von Bord, um seinen ersten Fuß in seine neue Provinz zu setzen.
|