RE: [Thorianum A|Wohnung IX] Wohung von Accia Prisca
Eine ganze Weile verbrachte Prisca damit, sich auszuweinen, bis sie sich wieder gesammelt hatte.
“Na, na“, machte Miriam ganz oft und immer wieder “Na, na“, während sie ihr über den Rücken streichelte.
“Es ist so ungerecht! Ich war schon fast verheiratet! Und jetzt kann ich nicht einmal richtig trauern hier“, beschwerte sich Prisca mit verheultem Gesicht. Denn ihr Bruder hatte verfügt, dass sie sofort noch während des Trauerjahres zu ihm kommen sollte, dabei war der Vater kaum beerdigt. Nicht einmal die Wangen vor Kummer zerkratzen durfte sie sich, denn er hatte es untersagt. Ja, sie hatte noch nicht einmal bei der Schneiderin die schwarzen Kleider für diese Zeit abholen dürfen oder mit offenen Haaren und barfuß herumgehen. Gar nichts hatte Florus ihr gestattet, er wollte sie sofort hier in Iscalis haben. Und jetzt war sie hier in dieser fremden Stadt und hatte gar nichts mehr. Nur Miriam war ihr geblieben, sonst nichts.
“Komm schon, Lämmchen. Wir bringen erst einmal deine Sachen herauf und richten uns schön ein“, sagte die Kinderfrau, und nach einer Weile nickte Prisca ergeben und begab sich mit ihr runter zur Straße, wo noch ihre Truhen warteten, die ihr Bruder natürlich nicht hochgetragen hatte für sie.
Es war nicht sehr viel, nur insgesamt drei Truhen, die ihr ganzes Leben fassten, und trotzdem brauchten sie ganz schön lange, bis alles in der kleinen Wohnung war. Prisca taten die Hände weh und sie rieb die schmerzenden Stellen, während Miriam die Truhen öffnete und ein wenig auspackte. “Hier, Lämmchen, das wird dich aufmuntern“, sagte sie und gab Prisca eine Schriftrolle.
Prisca stutzte, als sie die Schriftrolle entgegen nahm und vorsichtig öffnete. Ein freudiges Schluchzen kam über ihre Lippen, als sie sie erkannte. “Oh, du hast Sappho eingepackt!“ rief sie begeistert aus und überflog die Gedichte und Lieder der griechischen Dichterin, die einmal in der Bibliothek ihres Vaters waren. Einer Bibliothek, die Florus eigentlich auch komplett verkauft hatte.
“Ja, und Ovid und den Plato und ein bisschen was von Aristoxenos“, gab sie freimütig zu und räumte weiter Sachen von hier nach da, auch wenn das in nur einem nicht besonders großen Raum irgendwie seltsam aussah.
“Aber Florus wird ausflippen, wenn er das erfährt!“ Prisca war da wirklich nicht erpicht darauf, ihren Bruder noch mehr zu reizen, als sowieso schon. Er behandelte sie jetzt schon nicht nett. Wie würde er sie behandeln, wenn er dachte, sie hätte ihn bestohlen? Auch wenn zumindest diese Schriftrolle hier ihr von ihrem Vater geschenkt worden war.
“Und deshalb werden wir es ihm nicht sagen“ sagte Miriam und kam zu Prisca herüber, nahm ihre beiden Hände und sah sie an. “Hör zu, Lämmchen, dein Bruder ist sicher ein ehrenhafter Mann, aber an dem, wie er dich hier behandelt, ist wenig ehrenhaftes. Deshalb nehmen wir die Schriftrollen hier, und auch den Schmuck deiner Mutter, der dir gehört, und behalten das für uns. Und wir nehmen jede Woche die fünf Denare, ob wir sie brauchen, oder nicht, und sparen, so gut es geht, ja? Und dann machen wir einfach das beste aus der Situation hier. Aber ich hab dich nicht aufgezogen, dass du jetzt hier in einem kleinen Loch versauerst, nur weil dein Bruder dich nicht hat heiraten lassen, wie du es solltest.“
Prisca zögerte ein wenig, nickte dann aber. Sie mochte den Gedanken nicht, ihren Bruder zu hintergehen. Aber bei der Aussicht, hier den Rest ihres Lebens zu verbringen, hatte sie auch nicht gerade kleine Angst. Und sie vertraute Miriam, dass die wusste, was jetzt zu tun war.
Vormund (Tutor): Aulus Carisius Primus (NSC)
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