RE: Gästezimmer zum Hinterhof
Ich wartete ruhig, bis sie gegangen war, ehe ich mir die Haare raufte und mit beiden Händen über mein Gesicht fuhr. Verdammt, was war nur falsch mit mir? Ich hatte so viel, worüber ich mir Gedanken machen sollte: Ein Überfall an Samhain, meine Brüder verstreut, Caradoc tot, Cathbad vermutlich enttäuscht, wenn ich von meiner Reise berichtete, Calum verzweifelt wegen einem Mädchen, das vielleicht unsere Schwester war, Dunduvan in Cheddar, den ich erst besuchen musste und mit ihm reden musste. Und alles, woran ich dachte, war dieses Mädchen, und wie sehr ich wollte, dass sie bei mir wäre, auch wenn ich sie als Feind sehen sollte und sie bestenfalls nur benutzen sollte, ansonsten aber nicht näher beachten. Und stattdessen schmerzte mein Körper und ich überlegte, wie ich sie beeindrucken könnte und doch noch einmal in meine Nähe bringen konnte. Viel näher. Sehr viel näher. Irgend etwas stimmte mit mir ganz und gar nicht. Vielleicht war ich nicht nur ein miserabler Druide, sondern auch ein miserabler Falke. Ein miserabler Mann.
Ich setzte mich auf die Bettkante und versuchte, die vielen, kreisenden Gedanken abzuschalten und mich auf meine Aufgabe zu konzentrieren. Dunduvan aufsuchen. Cathbad Bericht erstatten. Calum unterstützen. Auf weitere Befehle warten. Nicht auffallen.
Ich atmete noch einmal durch, und irgendwann zog ich mich auch aus und legte mich ins Bett, nur den Dolch griffbereit unter dem Kissen. Man wusste schließlich nie.
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Ich lief über erdig feuchten Boden. Ich war schnell, und meine starken Pfoten fanden guten Halt, während ich rannte. Die Luft war kalt und klar. Ich wusste, wohin ich rannte. Ich hatte ein Ziel. Zu ihr. Immer zu ihr. Sie wartete, wie sie immer wartete.
Ein Vogel flog über mir hinweg. Ich sah seinen Schatten, erkannte es erst aber nicht. Vielleicht ein Turmfalke oder ein Bussard. Ein Krächzen ertönte, aber es war die Stimme eines Mädchens. Sie sagte etwas. Ich kannte die Stimme, aber ich verstand doch nicht, was sie von mir wollte.
Ich rannte weiter, hinein in den Wald. Das Unterholz zerrte an meinem Fell, verteilte Kratzer auf meiner Haut und meiner Schnauze. Trotzdem hielt es mich nicht auf, während meine Pfoten sich immer tief in die feuchte Erde gruben und mich voranbrachten, über Wurzeln und Steine und Moos, bis hin zu der Lichtung.
Dort stand sie, aber es war nicht sie. Ich war verwirrt, richtete mich auf. Ich schritt auf sie zu, jetzt auf zwei starken Beinen. Ihr schwarzes Haar lag offen über ihren nackten Schultern, und sie sah mich an mit diesen unergründlichen Augen. Ich ging zu ihr, zog sie in meine Arme, küsste sie, küsste sie, als wollte ich nie wieder damit aufhören, drängte ihren warmen, weichen Körper an meine harten, verschwitzten Muskeln. Ihre Hände vergruben sich in meinem Haar, zogen mich dichter, noch dichter, bis wir auf dem Boden liegend eins wurden, ein Herzschlag, ein Geist, ein Wesen aus Licht.
Ich richtete mich leicht auf meine Ellbogen auf, um sie wieder anzusehen, schlug die Augen auf, um sie anzulächeln. Doch sie lag in meinem Arm. Ihr rotes Haar überall um uns herum, und ihre Augen, meistens geschlossen, blickten mich an und waren reines Licht, das mich verbrannte und durch mich hindurch sah, das harte Schatten hinter mich warf. Gezackte Schatten.
“Louarn“ flüsterte sie, und es war wie ein Donnerschlag.
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Ich schreckte aus dem Bett hoch, den Dolch griffbereit in der Hand, und starrte in die Dunkelheit vor mir. Es war kurz vor Sonnenaufgang, die Vögel draußen schrien schon, hier und da bellte ein Hund. Aber hier warn niemand. Weder Helena, noch… noch sie.
Ich schluckte und versuchte, mein rasendes Herz wieder einzufangen, das so sehr gegen meine Brust hämmerte, dass es schmerzte. Das Bild verblasste langsam in meinem Geist, und ich wusste, dass ich geträumt hatte. Manchmal hatte ich diese Träume von ihr, auch wenn ich nicht wusste, wer sie war. Normalerweise hatte sie die Augen geschlossen und manchmal lächelte sie. Selten. Meistens sah sie traurig aus. Aber sie hatte nie gesprochen.
Als Kind hatte ich mit Caradoc darüber einmal gesprochen, und er meinte, sie wäre meine Mutter. Das konnte sein, ich wusste nicht mehr, wie meine Mutter aussah. Sie hatte rote Haare gehabt, wie ich, aber der Rest? Aber diese Vorstellung machte das, wovon ich gerade geträumt hatte, nur noch erschreckender.
“Verdammt, ich bin wirklich kaputt“, brummte ich und ließ mich mit einem resignierenden Stöhnen wieder zurück ins Bett fallen. Ich musste unbedingt zu Dunduvan gehen. Mein Bruder würde mich wieder auf Kurs bringen. Er würde irgendeinen Plan haben, den ich nicht verstand, aber ich würde eine Beschäftigung haben und diese komischen Träume vergessen können.
Falke
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