Ich betrachtete mit aufkeimender Wehmut Claras Scheitel, als sie so über ihre Wachstafel gebeugt schrieb. Bald würde sie nicht mehr hier auf dem Gabinierhof sein, und ich mochte es mir nicht vorstellen. "Geh doch zur Tante" , das war unter allen Kindern hier auf dem Hof so ein geflügeltes Wort. Weil Clara nicht römisch aussah, fassten viele der Kelten instnktiv zu ihr Vertrauen. Aber ja, Frauen zogen zu ihren Männern, zumindest heutzutage.
Ich las meiner Schwester meinen Brief vor, und sie fand ihn richtig und gut. Dann zeigte sie mir den ihren.
"Ein so schöner Brief. Unsere Eltern werden sich sehr freuen, von uns so viele Neuigkeiten zu hören, liebe Gerwina", sagte ich, und ich wickelte eine Schnur um beide Tabulae, siegelte sie, und alles wurde noch einmal in mit Fett imprägnierte Ledertücher verpackt, damit es heil und sicher ankommen würde.
"Und wir hier werden alle deine sanfte Hand und deine Anleitung vermissen. Aber der Gabinierhof gehört dir immer genauso wie er Stella und mir gehört. Er ist dein Vatererbe. Und damit du das nicht vergisst, habe ich dir einen Siegelring anfertigen lassen. Er ist aus Bronze und schlicht, aber er hat einen Stein, einen roten Karneol mit unserem Wappen, damit du siegeln kannst. Ich hoffe, er passt dir...."
Das war einer der drei Siegelringe,
den der keltische Schmied Owen für mich angefertigt hatte. Ich hatte noch keine Gelegenheit gehabt, ihn Clara zu geben, doch heute, da sie bald heiraten würde, sollte sie ihn haben zum Zeichen dafür, dass das Gabiniergut für immer ihre Heimat bleiben würde.
Ich holte den Ring, der in einem Geheimfach in meinem Schreibtisch geruht hatte, und ich steckte ihn an Claras rechten Mittelfinger.
Bevor mich die Rührung übermannte, klopfte es an die Tür. Also war es nicht Stella, die draußen stand. Ich öffnete, um den jenigen zu verscheuchen, der uns stören wollte, doch es war Stellas jugendlicher Sklave Spiros. Er trug Hosen, die ihm zu lang waren, und die er vermutlich von Rango geliehen hatte, und er sah aus wie ein kleiner, germanischer Reitersmann. Seine Wangen glühten vor Aufregung, so sehr freute er sich auf den Botenritt, auch wenn er kein feuriges Ross, sondern nur den gutmütigen Wallach Sarolf reiten würde.
"Ich nehme an, dass es dir nichts ausmacht, zu Andrippus zu reiten, um ihm unsere Post mitzugeben, junger Spiros?", fragte ich, drehte mich um zu Clara und lächelte. Die Kinder ließen mich nie sentimental werden, immer taten sie etwas, was uns zum Lachen brachte.