RE: Bibliothek | Der neue beste Freund der Hausherrin
Als Leander bestätigte, dass Londinium eine große Stadt war – mit Tempeln, Märkten und viel zu vielen Menschen, konnte ich mir ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. Zu viele Menschen? Natürlich würde es laut und geschäftig sein, aber genau das machte eine Stadt doch lebendig. Eben das genaue Gegenteil von Iscalis. "Es wird bestimmt aufregend", erwiderte ich leise. "Und du wirst keine Ruhe mehr haben, weil ich alles sehen will." Ich blinzelte ihn an, bevor ich mich an seine Schulter lehnte.
Seine nächsten Worte ließen mich leicht erschaudern. Vier Wochen, bis wir das hier wiederholen könnten, wären ihm zu lang? Ich wusste, was er meinte, und ich spürte es an der Art, wie seine Stimme klang. Mein Herz schlug schneller, nicht vor Angst, sondern weil mich die Vorstellung mehr berührte, als ich erwartet hatte.
Unser Gespräch kam auf Achilles und Patroklos, und Leander erklärte mit ruhiger Stimme, dass sie nicht nur Freunde, sondern Liebende gewesen seien. Ich hielt seinem Blick stand, auch wenn ich für einen Moment unsicher wurde.
"Natürlich gefällt mir die Vorstellung, dass Achilles Patroklos so sehr geliebt hat. Aber... ich habe mich nie gefragt, was für eine Liebe es war." Ich runzelte die Stirn. "Die Götter wissen, dass in den Geschichten so manches verschwiegen wird."
Sein nächster Satz ließ mich allerdings noch einmal verstummen. Ich hörte genau hin, als er über Verlangen nach fremder Haut sprach, über seine Ansicht von Treue und dass er mir dasselbe erlauben würde. Ich hatte keine naive Vorstellung von der Treue eines Mannes – ich wusste, dass viele sich ihre Freiheiten nahmen. Aber er sagte es so offen, so direkt, dass ich für einen Moment nicht wusste, was ich darauf sagen sollte.
Ich sah ihn an, ließ seine Worte auf mich wirken. "Ich weiß nicht, ob das etwas ist, das ich für mich will", sagte ich schließlich ehrlich. "Aber ich verstehe, was du meinst. Und ich weiß es zu schätzen, dass du offen mit mir darüber sprichst."
Ich hatte nie darüber nachgedacht, ob ich jemals nach jemand anderem verlangen würde. Doch während ich seinen Worten nachhing, schlich sich ein Gedanke in meinen Kopf, den ich nicht einfach beiseiteschieben konnte: Nicander! In den letzten Wochen hatte sich etwas zwischen uns entwickelt, das mehr war, als nur Freundschaft.
Doch als er hinzufügte, dass das alles Zeit habe – sehr viel Zeit –, musste ich doch leicht lächeln. "Ja", murmelte ich, "heute brauche ich keine weiteren Lektionen mehr."
Meine Müdigkeit wurde stärker, und als Leander mich auf die Arme nahm, lehnte ich mich an ihn, ohne Widerstand zu leisten. Sein Körper fühlte sich vertraut an, sein Geruch beruhigend. Doch als er mit einem durchaus bestimmten Tonfall meinte, dass ich erst einmal auf die Latrine gehen sollte, hob ich überrascht eine Braue.
"Das ist wohl die unromantischste Anweisung, die ich heute bekommen habe", sagte ich trocken, aber mit einem leichten Lächeln.
Trotzdem ließ ich mich ohne Murren zu dem Raum bringen, erleichterte mich und kehrte bald darauf zu ihm zurück. Er wartete bereits auf mich, und als er mich in mein Zimmer brachte, seufzte ich zufrieden.
Als ich in die Kissen sank und er sich neben mich legte, schloss ich für einen Moment die Augen. Seine Nähe war mir inzwischen nicht mehr fremd, auch wenn ich wusste, dass er nicht bleiben würde.
"Danke", murmelte ich schläfrig und küsste ihn. Ich wusste nicht, ob ich mich für seine Worte bedankte, für seine Wärme – oder einfach nur für die Tatsache, dass er mich nicht allein ließ, bis ich eingeschlafen war.
![[Bild: 3_15_08_22_9_37_19.png]](https://adlerchronik.de/gallery/3_15_08_22_9_37_19.png)
Vormund: C. Numonius Pusinnus, Duumvir von Iscalis (NSC)
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