RE: [Londinium] Eine öffentliche Hinrichtung
Ich schob mich geschickt durch die Menge, die sich auf dem staubigen Weg zum Hinrichtungsplatz außerhalb der Stadt drängte, alle Augen auf den armen Kerl gerichtet, der bald seinen Kopf verlieren würde. Doch das war nicht mein Interesse. Ehrlich gesagt, interessierte mich der arme Tropf kaum. Vielmehr war die Gelegenheit, die sich inmitten dieses Spektakels bot, wesentlich interessanter. Es gab immer etwas zu holen, wenn die Blicke der Menschen auf das Blut und den Tod gerichtet waren.
Und da war es auch schon, mein nächstes Opfer! Ich hatte den Mann schon eine Weile im Blick, als er durch die Menge schritt, als wäre er der Mittelpunkt von allem. Was für ein Schnösel. Die teuren Kleider, der selbstgefällige Blick – er schien der Meinung zu sein, dass die Welt ihm gehörte. Und was hatte er da? Einen ganzen Haufen Sklaven um sich herum, die wie treue Hunde hinter ihm her wackelten, als wäre er der Kaiser höchstpersönlich. Aber ich wusste, wie man solche Männer behandelte. Sie waren wie offene Geldbeutel, die darauf warteten, geplündert zu werden.
Ich ließ die Szene vor mir – die blutige Hinrichtung, das Gestöhn der Leute, der Lärm – hinter mir und begleitete die Bewegung der Menge, um meinen Standpunkt zu wechseln. Ich hatte einen Blick für Gelegenheiten, und die Gelegenheit war hier, direkt vor mir.
Der reiche Schnösel war völlig in das Schauspiel vor ihm vertieft. Der Kopf des Verurteilten, der bald fallen würde, schien ihn mehr zu interessieren als das, was unter seiner eigenen Toga verborgen war. Doch stopp, nein! Reiche Säcke, wie er trugen ihren Geldbeutel nicht selbst! Diese Aufgabe stülpten sie einem ihrer Sklaven über. Beinahe hätte ich einen großen Fehler begangen. Also schaute ich mir die Sklaven genauer an, um herauszufinden, welcher von den Vieren der Richtige war. Das war aber keine große Schwierigkeit. Alles was dazu nötig war, war ein geübter Blick fürs Detail. Man musste den Vieren nur ins Gesicht sehen, um zu erkennen, auf welchem noch mehr Verantwortung lag. In diesem Fall war es der dunkelgelockte Sklave, der seinem Herrn am nächsten stand. Die anderen drei hatten mehr ihren Blick auf das Umfeld des Römers, dessen Eigentum sie waren. Dabei übersahen sie mich glatt. Offenbar war ich ihnen nicht gefährlich genug. Ein dummer Fehler!
Während der Geldsack in die Richtung starrte, in der der Mann zum Schandpfahl geführt wurde, wo er zunächst erst auspeitscht werden sollte, sah ich meine Chance. Die drei Wachhunde im Blick näherte ich mich dem gelockten Sklaven. Ich konnte fast den Geldbeutel unter seiner Paenula riechen. Da war er – ungeschützt, frech, so leicht zu greifen. Ich schob mich noch näher an ihn heran. Hier im Gedränge war das keine große Kunst. Der reiche Schnösel war immer noch so sehr in das Blutbad vor ihm vertieft, dass er keinerlei Aufmerksamkeit auf seine Umgebung richtete. Die Sklaven an seiner Seite schienen sich auch wenig um mich zu kümmern. Ich trat noch einen Schritt näher an den Sklaven heran, der den Geldbeutel trug, und mein Herz begann schneller zu schlagen. Mein kleines Messer lag schon in meiner Hand bereit. Dies war der Moment, in dem ich zuschlagen musste.
Mit einem flinken Griff glitt meine Hand unter die Paenula des Sklaven und fand sogleich den begehrten Beutel. Nur ein kleiner Schnitt durch das Leder und der Beutel landete in meiner Hand. Der Sklave ahnte nichts. Der Mann da vorne, dieser reiche Schnösel, noch weniger. Er hatte keine Ahnung, dass er soeben um einiges leichter geworden war. Ich trat einige Schritte zurück, verschmolz wieder mit der Menge und ließ die Leichtigkeit des Diebstahls in meinen Adern pulsieren. Keine Eile, keine Unruhe, das wäre nur allzu auffällig gewesen.
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