RE: Bibliothek | Der neue beste Freund der Hausherrin
Ich spürte, wie mein Herz raste, während Leander sprach. Sein Blick war dunkel, sein Tonfall schneidend – so hatte ich ihn noch nie erlebt. Das war keine kühle Distanz mehr, keine nachsichtige Geduld. Das war Wut. Und sie traf mich. Jedes seiner Worte war wie ein Stich. Er hatte mich für klüger gehalten, für verantwortungsvoller. Für jemanden, der bereit war, schwere Entscheidungen zu treffen. Doch nun sah er in mir eine selbstsüchtige Träumerin, die lieber alles verlor, als sich der Realität zu stellen. War ich das? Ich wollte ihm sagen, dass er sich irrte. Dass es nicht um mich ging, sondern um Cassia. Dass ich nicht tatenlos zugesehen hatte. Aber er hatte sich Gedanken gemacht – nur anders als ich. Er hatte nicht aus Kaltherzigkeit entschieden, sondern weil er weiterdachte, weil er Konsequenzen sah, die ich nicht hatte sehen wollen.
Mein erster Impuls war es, mich zu verteidigen, doch ich hielt inne. War das nicht genau das, was er mir vorwarf? Mich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, anstatt das größere Ganze zu sehen?
Ich atmete langsam aus. "Nein", sagte ich schließlich, meine Stimme ruhiger, als ich mich fühlte. "Ich erwarte keine Entschuldigung."
Einige Herzschläge vergingen. Meine Finger ballten sich zu Fäusten, doch ich zwang mich, nicht auszuweichen. "Ich war nicht selbstsüchtig", sagte ich leise und ließ meinen Blick sinken. "Ich war einfach überfordert." Meine Stimme zitterte leicht, doch ich sprach weiter. "Als mir klar wurde, dass mein Vater wohl nicht wiederkommt, wusste ich nicht, was ich tun sollte. Bis dahin war ich nie allein auf mich gestellt. Es gab immer jemanden, der Entscheidungen für mich traf, der wusste, was zu tun war." Ich schluckte hart. "Plötzlich lag alles auf meinen Schultern, und ich hatte keine Ahnung, ob ich das Richtige tat."
Die Sklaven waren meine familia. Ich hatte sonst niemanden mehr. Mutter hatte nie jemanden verkaufen müssen, während mein Vater in der Welt unterwegs war. Bei ihr hatte alles immer so leicht ausgesehen. Doch zugegebenermaßen hatte ich mich damit auch nie näher beschäftigt.
"Es tut mir leid, was ich gesagt habe", fügte ich schließlich hinzu. Allerdings erwartete ich nicht, dass er meine Entschuldigung annehmen würde.
Als er weitersprach, spürte ich, wie sich meine Kehle zuschnürte. Seine Worte trafen mich mit einer Schärfe, die ich nicht erwartet hatte. Ich hatte ihn verletzt. Ich hatte ihn zutiefst verletzt. Und das Schlimmste war – ich hatte es nicht einmal bemerkt. Nicht in diesem Ausmaß.
"Leander…" Meine Stimme war leise, zögerlich. Ich wollte ihm in die Augen sehen, doch sein abgewandter Blick sagte mir, dass er es nicht wollte. Dass er nicht mehr die Kraft hatte, mir direkt gegenüberzutreten.
Ich atmete tief durch. "Ich habe nicht gelogen, als ich sagte, dass ich dich nicht verabscheue. Und ich wollte dir auch nicht vorwerfen, dass du pflichtvergessen oder faul bist." Ich suchte nach den richtigen Worten, nach etwas, das ihn nicht noch weiter von mir forttrieb. "Bitte… ich möchte nicht mehr mit dir streiten."
Ich schluckte und zwang mich, weiterzusprechen. "Eigentlich bin ich zu dir gekommen, um dir zu sagen, dass ich mir sehr wünschen würde, wenn du heute die Nacht mit mir verbringen würdest. Doch jetzt fühlt es sich an, als hätte ich alles nur schlimmer gemacht." Ich schüttelte den Kopf, spürte, wie ein bitteres Lächeln meine Lippen umspielte. "Es tut mir leid. Ich war wütend bei der Vorstellung, dass diese Sklavin – Innogen – dir mehr bedeuten könnte als ich. Dass sie es ist, die dich begleitet, und nicht ich." Meine Stimme wurde leiser. "Aber vielleicht… habe ich es auch nicht anders verdient."
Die Distanz zwischen uns fühlte sich unüberwindbar an, und vielleicht war sie das auch. Vielleicht hatte ich bereits alles gesagt, was noch zu sagen war. Vielleicht war es zu spät.
Ein bitteres Lächeln huschte über meine Lippen, als ich einen Schritt auf ihn zuging. Langsam, fast zögernd, hob ich die Hand, als wollte ich ihn berühren – doch dann ließ ich sie sinken. Stattdessen beugte ich mich leicht vor und hauchte einen Kuss auf seine Wange.
Es war kaum mehr als eine Berührung, ein flüchtiger Moment, der so schnell verging, dass ich mir nicht sicher war, ob er ihn überhaupt erwidern konnte. Doch er schmeckte nach Abschied. Dann wandte ich mich um, bevor ich noch sehen konnte, ob er mich aufhielt – oder mich gehen ließ.
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Vormund: C. Numonius Pusinnus, Duumvir von Iscalis (NSC)
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