Alle seine guten Absichten wurden von ihr ins Gegenteil verkehrt und ihm vorgeworfen. Sie fragte noch nicht einmal wirklich nach seinen Gründen, sondern warf ihm einfach das vor, das in ihrem Weltbild zu seinem Charakter passte, ob es der Wahrheit entsprach oder nicht. Und Leander war es leid, immer ruhig, besonnen und verzeihend zu reagieren, weshalb sein Blick sich bei ihrer Tirade verfinsterte.
“Ja, ich habe gedacht, dass du dazu fähig wärst. Ich habe gedacht, dass du einfach nur finanziell unerfahren und wenig begabt bist, weil du es nie gelernt hast, einen Haushalt zu führen. Aber dass du für die Konsequenzen deiner Handlungen einstehst und in der Lage warst, auch die Entscheidungen zu treffen, die nicht leicht sind. Die sogar so schwer sind, dass sie einem das Herz zerreißen. Weil sie notwendig sind. Dass du Cassia ein sicheres Zuhause gesucht hast, indem sie genug zu Essen, einen sicheren Platz zu schlafen und die Möglichkeit auf ein Leben hat, auch wenn das nicht unter deinem Dach ist, damit du mit dem Geld dafür den anderen Personen unter deinem Schutz ebenfalls einen sicheren Platz zum schlafen und genug zu Essen bieten kannst, anstatt dass ihr alle gemeinsam hungert. Für so eine Person habe ich dich gehalten.“ Wäre es nur die finanzielle Ungeschicklichkeit, das hätte sie mit der Zeit lernen können. Lieber zu verhungern, als das nötige zu tun, um alle zu retten, zeugte für Leander von Selbstsucht, und da half auch Zeit wenig. Er überlegte kurz, ob er ihr entgegenschleudern sollte, dass ihm seine Fehleinschätzung sehr leid tat, aber er schluckte es runter, das wäre seiner unwürdig.
“Und wenn du ernsthaft wissen willst, warum ich mich dagegen entschieden habe, und mir nicht nur Vorwürfe machen willst: Ich habe dabei an Cassia gedacht. Die nun schon einmal aus ihrem Heim und ihrer vertrauten Umgebung gerissen wurde und es durch mich wieder würde. Und im Falle einer Scheidung bei mir gestrandet wäre, wieder ohne ihre familia, da du dir nicht leisten könntest, sie mir zu erstatten. Und selbst wenn ich dir ein zinsloses Darlehen dafür gewähren würde und die Steuer für den Verkauf selbst tragen würde, stündest du am Ende wieder vor demselben Problem, wie du alle ernähren sollst und müsstest dieselbe, schwere, das Herz zerfetzende Entscheidung ein weiteres Mal treffen. Erwartest du dafür jetzt eine Entschuldigung?“ Denn offensichtlich tat sie das. Weil er in ihren Augen ein arrogantes Monster war.
Als sie zu einer weiteren Tirade ansetzte und dabei fragte, ob sie je etwas gegen seinen willen getan hätte, sagte er nur einmal leise
“Ja, und ließ sie weiter zetern, wie schlecht er sie ihrer Meinung nach behandelte.
“Ich habe dir vor heute nur ein einziges Mal einen Vorwurf gemacht, als du mich in der Hochzeitsnacht zwingen wolltest, entgegen meinem Willen mit mir in einem Bett zu schlafen. Und ich habe es dir noch am nächsten Morgen verziehen.
Und wenn ich dich erinnern darf, ich wollte dir auch vor unserer Hochzeitsnacht näher kommen. Und habe auf deine Ängste nur mit Verständnis reagiert und dir versprochen, dass ich dich nie gegen deinen Willen anfassen werde und mich dir nicht aufzwingen werde. Was ich dir ebenfalls In der Hochzeitsnacht noch einmal gesagt habe. Und ich weiß nicht, wie oft ich dir in jener Nacht gesagt habe, dass ich dir deine Unerfahrenheit und Angst nicht vorwerfe. Aber du glaubst meinen Worten weder damals, noch heute.“
Und heute hatte sie ihm direkt gesagt, dass sie ihn nicht für einen Mann hielt, der sein Wort hält. Das galt wohl auch schon damals, nur hatte Leander das bis heute so eher als allgemeine Angst abgetan und es nicht so sehr direkt auf sich bezogen. Aber das musste er auch revidieren.
“Und ich habe niemandem irgendwas befohlen. Ich habe dir meine Gründe sogar sehr ausführlich dargelegt und betont, dass ich weder von dir, noch von ihm irgendetwas erwarte. Ich habe euch lediglich eine Erlaubnis erteilt, mehr nicht. Und wenn du denkst, es wäre die Pflicht eines Ehemannes, der Frau beim Beischlaf Freude zu bereiten, solltest du dich mehr in der Welt umhören. Den meisten Männern ist die Freude ihrer Frau völlig gleichgültig, solange sie selbst nur ihren Samen weitergeben können. Nur mir ist sie nicht egal, und genau deshalb, wie ich dir damals schon gesagt habe, wollte ich, dass deine ersten Erfahrungen nicht von Angst und Pflicht geprägt sind, sondern von Vertrauen, Begehren und Freude. Die du Nicander gegenüber verspürst, mir gegenüber aber nicht. Was du im übrigens damals nicht einmal abgestritten hast, sondern dich lediglich für mein Verständnis bedankt hast.“
Inzwischen war Leanders Tonfall resignierend und bitter. Er hatte sich seitlich gedreht, um sie nicht mehr direkt anzusehen.
“Du behauptest, du verabscheust mich nicht, sagst mir aber gleichzeitig, dass du mich für einen Mann hältst, der sein Wort bricht, der schlecht von dir denkt, der dich schlecht behandelt und dir Vorwürfe macht, der pflichtvergessen – oder faul – ist und Sklaven zu Sexdiensten zwingt.“ Er blickte seitlich zu ihr.
“Habe ich etwas vergessen?“ Dass sie selbst glaubte, all das wäre keine Verachtung, war in seinen Augen schon Selbstbetrug.
Sie wollte gehen, und er zuckte die Schultern.
“Ich wüsste nicht, dass ich dir je verwehrt hätte, zu gehen. Du brauchst meine Erlaubnis nicht, die Türen in diesem Haus sind nicht verschlossen.“
Er sah noch einmal zu ihr.
“Und ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich kein Sklave mehr bin, den man herbei befiehlt. Und dass ich mit keiner Frau aus Pflicht intim werde.“