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Beim alten Hügelgrab - ein Samhain-Nachttraum
02-09-2025, 12:20 AM,
Beitrag #37
RE: Beim alten Hügelgrab - ein Samhain-Nachttraum
Dies war unsere letzte Nacht. Die letzte Berührung, der letzte Kuss – in diesem Leben. Saturnus fragte mich, ob ich Angst vor dem Tod habe, doch ich schüttelte den Kopf. Auch er verspürte keine Angst. Er meinte, er würde mich vergessen, dort wo er nach dem Tod sein würde, im Hades. Ich runzelte die Stirn. "Hades…?" Das Wort selbst klang schon so fremd in meinen Ohren, seltsam und kalt. Es schien ein düsterer Ort, ohne Licht und ohne Freude zu sein.
Ich setzte mich auf, legte eine Hand auf seine Brust, als könnte ich ihn mit meiner Wärme trösten. "Nein, mo croí, wir gehen nach Tír na nÓg. Das Land jenseits des Meeres, wo immer Frühling herrscht, wo wir ewig jung und unvergänglich sein werden. Es gibt keine Kälte dort, keinen Hunger und keine Furcht. Nur Schönheit und Glück." Meine Stimme war ruhig und voller Überzeugung. Ich glaubte daran. Ich wusste es. 
"Glaubst du mir?" fragte ich leise.
Ich lächelte und küsste ihn. Ich wollte, dass dies seine letzte Erinnerung war – nicht Dunkelheit oder Vergessen, nicht Schmerz und auch keine Furcht. Nur Liebe. Nur ich.


Sie kamen mit dem ersten Licht. Die Helfer des Druiden Mogh Ruith. Sie kleideten uns in festliche Kleider und malten mir geheimnisvolle Zeichen auf die Stirn, deren Bedeutung nur die Druiden kannten.
Die Welt um mich verschwamm, als wir durch die Reihen meines Volkes schritten. Sie hatten sich versammelt, um dem Opfer beizuwohnen, so wie sie es seit Generationen taten, so wie es die Götter verlangten. Ihre Gesichter waren eine Mischung aus Ehrfurcht und Grausamkeit, Stolz und Distanz. Ich erkannte viele von ihnen, sah vertraute Züge in den Reihen der Männer und Frauen, mit denen ich aufgewachsen war. Heute war ich ein letztes Mal ihre Königin. Sie gaben uns das Geleit bis zum Moor. Die Carnyces ertönten, ihr rauer Klang hallte über die Hügel, ein Klang, den mein Geliebter nur aus der Schlacht kannte. Für ihn war es das Signal des Unheils. Für mich war es der Ruf in die Ewigkeit.

Saturnus hatte seinen Arm um mich gelegt. Beide schritten wir mit erhobenen Häuptern an meinem Volk vorbei. Meine Schritte waren leicht und sicher. Ich spürte den Wind, der mein offenes Haar erfasste und mir kühl über die Wangen strich. Doch ich lächelte. Ein zartes, friedvolles Lächeln lag auf meinen Lippen – nicht für sie, sondern für mich selbst.

Die Carnyces kreischten weiter ihr raues Lied, und der Wind trug den dumpfen Klang bis ins düstere Moor.
Ich spürte schonbald die Kälte, die von dem dunklen Wasser ausging. Es war, als riefe es mich. Ich wusste, was dort auf mich wartete – auf uns beide. Mogh Ruith, der alte Druide, stand bereits dort und wartete, seine Augen waren auf mich gerichtet. Mit einem Mal verstummten die Carnyces und ich blieb stehen. "Tir na nÓg," waren meine letzen Worte wie ein heiliges Versprechen.

~~~

Als der Zug das düstere Moor erreichte, verstummten die Carnyces. Ihr raues Echo verlor sich im Wind. Die Menge stand in ehrfürchtigem Schweigen. Nur das leise Rauschen des Wassers war zu hören.
Ein Helfer des Druiden trat vor und reichte Niamh und dem Rómhánaigh einen Becher mit einer dunklen Flüssigkeit. Ohne zu zögern nahm die Königin den Trank und führte ihn an ihre Lippen. Der bittere Geschmack verzog kurz ihre Miene, doch sie trank weiter, bis der Becher leer war.
Der Helfer trat an Niamhs Seite, legte sanft eine Hand auf ihren Arm und führte sie weiter. Ihre Schritte wurden weicher, fast schwebend, betäubt von den Kräutern, die nun ihren Geist betäubten. Sie wurde entkleidet und kniete dann nieder. Der alte Druide trat hinter sie, seine Stimme murmelte leise Worte, die nur die Götter verstanden. In seinen Händen hielt er eine goldene Axt – ein heiliger Gegenstand, geschmiedet für diesen Moment, die er wie aus dem Nichts herbeigezaubert hatte
.
Die Menge hielt den Atem an.

Die Axt sauste herab.

Niamhs Körper sackte leblos nach vorn. Ihr rotes Haar fiel über ihre Schultern, als ihr Kopf zur Seite kippte. Der Druide trat näher, zog sein Opfermesser und schnitt ihr mit ruhiger Hand die Kehle durch. Warmes Blut sickerte in eine Schale, die bereitgestellt worden war - ein letzter Tribut an die Götter. Dann wurde ihr Körper dem Moor übergeben. Das dunkle Wasser schloss sich über ihr und nahm sie in seine Tiefe auf.

Auf ein Zeichen des Druiden wurde nun auch der Geliebte der Königin zu ihm gebracht und er wiederholte noch einmal das Opferritual.
Die Menge verharrte weiter in andächtigem Schweigen. Das Opfer war vollzogen.

~~~

Ich erwachte in einer düsteren Zwischenwelt, umgeben von den geisterhaften Schatten meiner Ahnen. Ihre Blicke brannten vor Enttäuschung und Schmerz, und ihre stummen Worte trafen mich wie eisige Nadeln: "Niamh, wie konntest du? Du hast dich mit einem Rómhánaigh eingelassen! Du hast unser Erbe verraten!" Der Vorwurf hallte in meinem Inneren wider, während ich mich an jene letzte Nacht erinnerte – den leidenschaftlichen Kuss, der mir für einen kurzen Moment Hoffnung gegeben hatte. Saturnus, jener Fremde, dessen Wärme mich in den letzten Stunden umhüllt hatte, war nun zum Symbol meines Verrats geworden. Der Zorn meiner Familie mischte sich mit unendlicher Trauer. "Du hättest uns ehren sollen, unsere Traditionen wahren, statt dich von einem Fremden verführen zu lassen", flüsterten ihre geisterhaften Stimmen, während die Schwere ihrer Anschuldigungen mich erdrückte. Meine Seele zitterte unter ihrer Enttäuschung, und ich begann zu begreifen, dass mein Weg, meine Träume von einem anderen Leben, alles nur ein schmerzhafter Trugschluss gewesen waren. Kein Funken Liebe, kein Licht, das die Dunkelheit durchbrach – nur der dumpfe Klang ihrer Vorwürfe, der mich zu ersticken drohte. Ich war die Verräterin, in ihren Augen unrettbar verloren, und es war keine Erlösung in Sicht. Ich senkte den Blick und konnte keinen Ausweg finden. Die Schatten meiner Familie umgaben mich, und ihre Stimmen verschwammen zu einem Meer der Anklage, ohne Trost, ohne Antwort. In dieser ausweglosen Welt blieb mir nur das Echo ihrer Enttäuschung und der unerträgliche Fall in die Stille, die mich mit kalter Umarmung umfing.


Ich erwachte schweißgebadet. Das Samhainfeuer war längst niedergebrannt und der Morgen graute bereits. Mo rúnsearc lag neben mir. Er lebte – wir beide waren noch am Leben! Wir waren wieder hier, beim alten Hügelgrab. Die Schatten des Alptraums hatten mich noch immer fest im Griff. Voller Angst sah ich mich um. Meine Ahnen waren fort, doch ihre anklagenden Worte hallten noch in meinen Ohren.
[Bild: 1_29_07_23_5_35_37.png]
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RE: Beim alten Hügelgrab - ein Samhain-Nachttraum - von Furiana Nivis - 02-09-2025, 12:20 AM

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