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Beim alten Hügelgrab - ein Samhain-Nachttraum
02-05-2025, 11:36 PM,
Beitrag #35
RE: Beim alten Hügelgrab - ein Samhain-Nachttraum
Ich sah ihn auf den Knien. Mein stolzer, unerschrockener Saturnus, nun gebeugt vor meinem Volk, der Staub Éires auf seinen Lippen und seine Stimme rau vor Verzweiflung. Er bat um das Leben unseres Kindes. Seine Worte hallten über den Platz, und obwohl die Meinen seine Sprache nicht verstanden, spürten sie seine Inbrunst. Sein Flehen galt nicht mehr ihm selbst, nicht einmal mehr mir, sondern nur noch unserem Kind. Ich liebte ihn in diesem Moment mehr als je zuvor.
So sehr wollte ich seine Hand fassen, ihn aufrichten und ihm Mut zusprechen. Doch meine Fesseln schnitten mir tief ins Fleisch. Stattdessen spürte ich die Blicke meines Volkes auf mir, hart wie die Felsen der Klippen. Als dann der alte Druide Mogh Ruith hervortrat und mit erhobenen Armen das Urteil über uns sprach, wusste ich: Wir waren verloren. Die Götter hatten geantwortet.

Die Menge rief zustimmend, einige streckten ihre Fäuste in die Luft, andere spuckten vor unsere Füße. Neben mir fühlte ich Saturnus' Anspannung und seine Verzweiflung. Seine Worte hatten nichts bewirkt, sie wollten uns sterben sehen. Doch ich hatte noch eine Wahl.

"Hört mich an!" Meine Stimme erhob sich über den Tumult. Die Menge verstummte für einen Moment, überrascht, dass ich sprach. Ich, die sie als Verräterin ansahen, wagte es, das Wort zu ergreifen.
"Ich werde mich opfern. So, wie es die Könige Éires tun, wenn das Land in Not ist." Ich ließ die Worte mit Bedacht erklingen, ließ sie tief in ihre Herzen sinken. "Ich werde gehen, wie es die Götter verlangen, und mein Blut wird das Land heilen und das Gleichgewicht wiederherstellen. So wird mein Volk Frieden finden."
Ein Raunen ging durch die Menge. Ich sah in die Augen der Krieger, der Frauen, der Alten. Einige von ihnen hatten mich einst geliebt und hatten mich verehrt. Doch das war vorbei. Ich war nicht mehr ihre Königin, sondern nur noch ein Schatten der Vergangenheit.

"Und er?" fragte Mogh Ruith mit erhobener Hand und deutete auf Saturnus.
Ich drehte mich zu meinem Geliebten und sah immer noch das Flehen in seinen dunklen Augen. Die Angst, nicht um sich selbst, sondern um mich und unser Kind.  
"Er wird mit mir gehen. Unser Blut wird euer Frieden sein." Der Druide musterte mich mit seinen alten, kalten Augen. Dann nickte er. „"So sei es. Die Götter nehmen willige Opfer mit größerer Gunst an. Eure Fesseln sollen gelöst werden."

Die Seile fielen von meinen Händen, und endlich konnte ich zu Saturnus gehen. Ich sank neben ihm auf die Knie, umfasste sein Gesicht mit meinen befreiten Händen. Seine Haut war aufgerissen, Blut und Schmutz klebten daran, doch seine Augen leuchteten wie damals, als er mich zum ersten Mal ansah. Ich wischte ihm mit dem Daumen über die Wange, eine hilflose Geste, um all das fortzuwischen, was zwischen uns stand. Ich legte meine Stirn gegen seine. "Nein, mo croí. Nicht du hast unser Schicksal besiegelt. Es war meine Entscheidung, dir zu folgen. Mein Herz wusste, dass es niemals zurückkehren wollte. Ich habe dich gewählt."


Man brachte uns in einen Anbau des königlichen Rundhauses, der für gewöhnlich für Gäste des Königs genutzt wurde. Eine Feuerstelle in der Mitte tauchte den Raum in ein sanftes Licht, das auf die Bänke mit weichen Fellen und das breite Bett am hinteren Ende fiel.
Man ließ uns nicht allein. Diener brachten warmes Wasser und wuschen uns mit duftenden Kräutern, entfernten den Staub der Gefangenschaft und die Spuren der Reise. Sie gaben uns frische Kleidung aus feinstem Wollstoff, so weich, dass ich kaum glauben konnte, noch eine Gefangene zu sein. Erst, als wir rein waren, brachte man uns ein üppiges Mahl. Geräucherter Lachs, gebratenes Fleisch, frisches Brot, ein warmer Brei aus Emmer, süße Beeren, Honig und Met. So viel Nahrung, dass es mir beinahe die Kehle zuschnürte. Ich wusste, dies war kein Zeichen der Gnade. Dies war unser letztes Mahl, unsere Stärkung für die Reise zu den Göttern. Doch wir aßen, weil unser Hunger einfach zu groß war.
Als die Diener fort waren, blieb nur die Stille zurück. Die Flammen der Feuerstelle warfen flackernde Schatten an die Wände.

Er hatte nichts von dem bereut, was zwischen uns gewesen war. Das hatte er mir gesagt und ich fühlte genauso. Wir hatten gegen alles angekämpft – gegen Schicksal, Königreiche, Götter – und dennoch verloren. Aber diese eine Nacht gehörte uns. Keiner konnte sie uns nehmen.
Ich schmiegte mich an ihn, meine Hände fuhren über seine Wangen, durch sein dunkles Haar, und küsste ihn, als wäre es das erste und das letzte Mal zugleich. Kein Schmerz und keine Angst existierte mehr. Nur wir, unsere Wärme und unsere Liebe, denn der Morgen war noch fern.
[Bild: 1_29_07_23_5_35_37.png]
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RE: Beim alten Hügelgrab - ein Samhain-Nachttraum - von Furiana Nivis - 02-05-2025, 11:36 PM

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