~~~
Das Verschwinden der Königin und ihres Sklaven hatte das Land in Aufruhr versetzt. Niamh, die strahlende Herrscherin, war während der Jagd spurlos verschwunden, und niemand wusste, ob sie freiwillig gegangen war oder ob ein Verbrechen geschehen war. Súileabhán, ihr einstiger Verlobter und Anführer ihrer Krieger, bemerkte ihr Fehlen noch vor dem Ende der Jagd. Er ließ keine Zeit verstreichen. Boten wurden ausgesandt, um das ganze Land zu alarmieren, während die besten Späher und Krieger beauftragt wurden, die Königin und ihren Sklaven aufzuspüren. Doch trotz tagelanger Suche blieb jede Spur verborgen, als hätte der Nebel sie verschluckt. Gerüchte machten die Runde – von Entführern, die mit dem Schiff geflohen waren, bis hin zu Geschichten über eine magische Verwandlung.
Mit der Zeit begann das Volk unruhig zu werden. Ohne eine Königin geriet die Ordnung ins Wanken, und schließlich, nach Wochen ohne ein Lebenszeichen von Niamh, erhob Súileabhán selbst Anspruch auf die Königswürde. Als neuer Herrscher übernahm er die Verantwortung, das Land zu stabilisieren.
Ein halbes Jahr nach ihrem Verschwinden entschied Súileabhán, mit seinen Kriegern durch das Land zu reiten, um seine Macht zu demonstrieren und das Vertrauen seines Volkes zu stärken. Niamhs treue Hunde begleiteten ihn auf diesem Zug, als stumme Erinnerung an die einstige Königin.
Als sie eines Tages die Küste erreichten, brach plötzlich Unruhe unter den Hunden aus. Die Tiere hatten die Nase tief am Boden, zogen an den Leinen und schnappten aufgeregt nach der salzigen Meeresluft. Súileabhán beobachtete sie mit wachsendem Interesse. "Was ist los mit ihnen?" murmelte er, als die Tiere sich nicht beruhigen ließen.
Der Sklave, der die Hunde hielt, schüttelte den Kopf. "Ich weiß es nicht, Herr. Aber sie haben eine Fährte aufgenommen. Sie ziehen alle in dieselbe Richtung."
Súileabhán folgte den Tieren, die unermüdlich vorwärts strebten, bis sie eine abgelegene Stelle am Strand erreichten. Zwischen rauen Felsen und einem alten hölzernen Boot, stand eine Frau und ein Mann, mit dunklem Haar und vollem Bart. Ihre Gestalt war aufrecht, wie ein Abbild der Königin. Doch der Kleidung nach war sie eine einfache Bäuerin. Ihr langes rotes Haar leuchtete im hellen Schein der Sonne.
"Niamh…" Súileabháns Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, doch die Hunde stürzten sich bellend auf sie zu, schwänzelnd und heulend vor Freude. Die Frau hob den Kopf, und für einen Moment trafen sich ihre Blicke.
Es war tatsächlich Niamh. Doch in ihren Augen lag ein Ausdruck, der Súileabhán innehalten ließ. Es war nicht mehr die stolze Königin, die vor ihm stand, sondern eine Frau, die eine lange, beschwerliche Reise hinter sich hatte – und doch strahlte sie etwas aus, das ihn verstörte. Hoffnung. Glück. Ihr sanfter Ausdruck erstarb und wich einem erschrockenen Blick, als sie realisierte, dass man sie entdeckt hatte.Schützend hielt sie ihre Hände vor ihre deutlich gewölbten Bauch und wandt sich hektisch an den Mann, der bei ihr war - den Sklaven, dem sie den Namen Suibhne gegeben hatte.
Auch der Sklave wirkte verändert. In seinem Auge lag ein Leuchten, das Súileabhán nur schwer ertragen konnte.
Die Hunde drängten sich an ihre alte Herrin, schnüffelten aufgeregt an ihrer Kleidung, sprangen an ihr hoch, als hätten sie sie nie verloren. Niamh kniete nieder, streichelte die Tiere und murmelte leise Worte, die das Heulen der Hunde besänftigten.
Súileabhán saß wie erstarrt auf seinem Pferd, unfähig, den Blick von ihr abzuwenden. In diesem Moment begriff er die Wahrheit. Das war keine Entführung gewesen. Es war eine Flucht – eine Flucht aus einer Welt, die sie nicht mehr wollte. Sein Kiefer mahlte, seine Hände verkrampften sich um die Zügel. Wie konnte sie es wagen, ihn und das Königreich zu verlassen, als wäre alles bedeutungslos? Sie hatte alles hinter sich gelassen, um mit einem Sklaven ein neues Leben zu beginnen. Ein dunkler Schatten legte sich über sein Gesicht. "Ergreift sie," befahl er schließlich mit kühler Stimme. Die Krieger zögerten nur kurz, ehe sie von ihren Pferden sprangen, um die beiden zu umstellen.
Niamh erhob sich langsam, ihre Augen unverwandt auf Súileabhán gerichtet. Sie sagte nichts, doch ihre Haltung sprach Bände – weder Furcht noch Reue spiegelten sich in ihrem Blick. Auch dann nicht, als die Krieger sie packten.